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Windstille um Eidimann

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Die prinzipielle Erlaubnis, die die israelische Regierung an Frau Vera Eichmann erteilte, wonach sie kurz nach endgültigem Urteilsspruch ihren Mann einige Stunden besuchen darf, erregte stark? Empörung in der israelischen Öffentlichkeit. Obzwar der Beschluß erst nach einer langen Ministerberatung angenommen wurde, beeilten sich die israelischen Sprecher der Regierung zu betonen, daß die Gewähr der Aufenthaltsfrist von Eichmanns Frau sich nur auf einige Stunden beschränken wird und daß Frau Eichmann mit ihrem Mann nur durch eine Glaswand sprechen darf. Es handelt sich um dieselbe Glaswand, durch die es seinerzeit Dr. Robert Servatius gestattet wurde, mit seinem Klienten zu konferieren. Diese Empörung veranlaßt das israelische Außenministerium, sich an die Impresarien der Wiener Eisrevue zu wenden und sie zu bitten, den Besuch dieser Revuegruppe auf unbeschränkte Zeit zu verschieben. Die Truppe sollte ursprünglich im Juni d. J. als kulturelle Hauptattraktion der israelischen Industriemesse auftreten. Da jedoch anzunehmen ist, daß das endgültige Urteil der zweiten Phase des Eichmann-Prozesses im Juni veröffentlicht wird, befürchten die israelischen Instanzen, daß eine deutschsprachige Künstlertruppe bei gewissen Elementen der israelischen Bevölkerung unüberlegte Kundgebungen herausfordern könnte.

Die zweite Phase des Eichmann-Prozesses erweckte im allgemeinen nur einen schwachen Widerhall in der israelischen Öffentlichkeit. Der Gerichtssaal war halb leer. Und nachdem die Zeitungen am ersten Tag (der zweiten Phase) dem Prozeß noch ihre Schlagzeilen gewidmet hatten, ebbte dieses Interesse bereits am zweiten Tag vollständig ab. Von den 400 Auslandskorrespondenten, die den Prozeß in der ersten Phase verfolgten, waren es dieses Mal nur einige Unentwegte, die zum Berufungsverfahren nach Israel kamen.

Der greise Professor Martin Buber, der sich allgemeiner Anerkennung in Israel erfreut, verlangte schon in der ersten Phase des Prozesses, kein Todesurteil gegen Eichmann zu vollstrecken. Er wollte nicht Eichmann vom Tode retten, sondern laut seiner philosophischen Ansicht haben die Menschen kein Recht, das Leben anderer Menschen zu nehmen — ohne Rücksicht auf die Verbrechen, die die Verurteilten ausführten. Dieser Aufruf Prof. Bubers brachte eine Welle empörter Reaktionen mit sich, die durch die ganze israelische Presse ging. Doch schon bei der zweiten Phase des Prozesses wurden weitere Stimmen laut, die die Meinung Prnf Rubers

unterstützten. Prominente jüdische Persönlichkeiten des Auslandes schrieben öffentliche Briefe an die israelische Presse und erbaten, Eichmann nicht zum Tode zu verurteilen. In Israel selbst wurde Prof. Bubers Meinung bereits ohne Groll entgegengenommen.

Ein Redner in einer israelischen Loge, Herr Freudenberger, der selbst in Deutschland gebürtig ist und durch Hitler gelitten hat, schloß sich der Meinung Prof. Bubers an und erklärte in einem Referat:

„Es ist nicht wichtig, Eichmann abzuurteilen, da es im voraus klar war, daß Eichmann schuldig ist. Die Wichtigkeit des Prozesses besteht in seinen historischen Aspekten, damit die kommenden Generationen ein klares Bild von den Untaten des Hitler-Regimes erhalten. Doch gerade wir Überlebenden dieser schauerlichen Periode haben nicht das Recht, das Leben anderer Menschen zu vernichten.“ Diese Ansicht ist typisch für viele Juden, die aus Deutschland und Österreich durch Hitlers Verfolgungen nach Israel kamen.

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