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REGIERUNGSWECHSEL — IM ZEICHEN GUFLERS! Wer am vergangenen Dienstag die Wiener Zeitung aufschlug, dem wurde es nicht gleich offenbar, daß an diesem Tag die Führung der österreichischen Regierungsgeschäfte von Julius Raab auf Alfons Gorbach übergingen. Dafür schrien die Balkenlettern den Namen, allenthalben den Namen eines Herrn Gufler, dem man im Grauen Haus wegen des dringenden Verdachtes mehrfachen Mordes den Prozeß macht. Arme Bundesregierung — armes Österreich! Aber vielleicht war wirklich über das Zuendegehen einer Ära bereits alles gesagt, möglicherweise sind die Konturen des neuen Kabinetts noch zu unscharf, daß man gerne seine ersten Schritte abwarfef. Die am 19. April im Parlament abgegebene Regierungserklärung wird schon deutlichere Hinweise geben, wohin die Fahrt mit dem neuen Steuermann am Deck und seiner Mannschaft gehen soll.

„UNVERMISCHT UND UNGETRENNT.* * Im vollbesetzten, festlich geschmückten Grofien Musikvereinssaal feierte die evangelische Kirche Österreichs den Gedenktag „100 Jahre Protestantenpatent’, zu einem Zeitpunkt, da die Verhandlungen über das neue Protesfanfengesetz als abgeschlossen gelten können und unmittelbar, bevor dieses Gesetz dem Parlament vorgelegt werden wird. Der Präsident der Generalsynode, Sektionschef Dr. Fischer, konnte nicht nur zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung und des diplomatischen Korps, sondern auch den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, den Unterrichtsminister und, als Vertreter des Kardinals, Generalvikar Dr. Moser begrüßen. Die Ansprachen des Bundespräsidenten, des Unterrichtsministers und des Bischofs der evangelischen Kirche, D. Gerhard May, hatten ein Leitmotiv: die Beziehung zwischen Kirche und Staat, die sich seit 1945 zu einem offenen Vertrauensverhältnis entwickelt hat. Das neue Protestantengesetz, das unter dem Motto stehl „Freie Kirche in einem freien Staat — unvermischt und ungetrennt’, soll, nach einer wechselvollen und krisenreichen Vergangenheit — wie sie Bischof D. May auf der Kirchenseite der „Furche* Nr. 14. geschildert hat — den- evangelischen Staatsbürgern ein echtes Heimatgefühl schenken. Die Ansprache des Oberhauptes der evangelischen Kirche mündete in ein Treuebekenntnis zum österreichischen Staat in seiner heutigen Form. Die gehaltvollen Festreden hatten einen symbolischen Hintergrund: die österreichische Fahne war von zwei evangelischen Kirchenbannern flankiert.

DER EICHMANN - PROZESS. Am 11. April 1961 hat in Jerusalem der Eichmann-Prozeß begonnen. Im Leitartikel einer westdeutschen Zeitung zu diesem Tag heißt es: „Der Prozeß von Jerusalem ist ein Bestandteil der deutschen Geschichte’, in dem einer anderen großen westdeutschen Zeitung steht der Satz: „Die Generation der heute das öffentliche Leben Beherrschenden ist weithin dieselbe, die damals versagt hat. Viele der Mitträger des großen Unrechts sind auch in Person wieder in Amt und Würden.’ Die israelischen Richter werden sich wahrscheinlich hüten, an diese unheilvollen Zusammenhänge zu rühren: um so mehr Grund für uns, ihrer bewußt zu sein. Uns Menschen in Österreich steht in der Gestalt des Durchschnittsmenschen, fleißigen Bürokraten und ehrgeizigen Handlangers eines Systems, Adolf Eichmann, ein Mann gegenüber, der für die vielen steht, die sein Werk mifermöglicht haben, teilweise heute noch billigen (Äußerungen dieser Art sind aus einem gewissen „Volksmund" nicht ganz selten zu hören), und deren Flüsterpropaganda in den letzten Wochen beachtlichen Umfang erreicht hat. Wagen wir es doch, dies zu sehen: der Eichmann- Prozeß in Jerusalem 1961 ist auch ein Prozeß über einige traurige, trübe Kapitel unserer österreichischen Geschichte. Wenn wir dies zu sehen wagen, dann wird es uns nicht an der Aufmerksamkeit für diesen Prozeß fehlen.

* KAMINGESPRÄCH IN GLEICHER ZUNGE. Daß das erste wirklich große weltpolitische Gespräch des neuen amerikanischen Präsidenten mit dem britischen Premierminister — übrigens einem entfernt angeheirateten Onkel

Kennedys — statffand, wird nur den überraschen, der nichts von einer der wenigen unerschütterlichen Konstanten der Weltpolitik, der angelsächsischen Solidarität, weiß. Das Kommunique hält die faßbaren Ergebnisse fest, ein Großteil der Worte wurde unter vier Augert gewechselt. Was sich jetzt bereits abzeichnet, ist deutlich genug. England und Amerika wollen gemeinsam die praktische Führung der atlantischen Gemeinschaft — symbolisiert im sogenannten Atomschwert — in den Händen behalten. Durch diese Doppelführung aber soll zugleich ein moralisch-politischer Effekt für das gesamte Westbündnis erzielt werden. Es soll ihm der bislang deutlich spürbare Charakter einer Hegemonie der USA und ihrer kleineren Verbündeten auf dem

GENERAL REGEN. Die alterfahrenen Asiaten, deren Clanstreifigkeiten und dynastischen Rivalitäten als „Laos-Problem" für einige Tage die Schlagzeilen der recht ahnungslosen Weltpresse beherrschten, kennen ihren Kalender. Die Monsun-Regengüsse haben ihren festen Termin. („Es ist eine Zeit des Kämpfens, und es ist eine Zeit des Nichtkämpfens", würde der Prediger Salomonis sagen.) Der dramatische Höhepunkt des Bürgerkrieges, den manche schon mit dem Ausbruchstermin für Weltkrieg III gleichsetzten, ist ausgeblieben. Die Kampfhandlungen gerieten ins Stocken. Den Sowjets ist es zudem gelungen, den Westen — vertreten durch den unermüdlich nachfragenden britischen Botschafter in Moskau — über ihre wirkliche Haltung weiterhin im unklaren zu lassen. Am Ende wird wohl ein Koa- lifionskompromiß stehen, den man auch dann „österreichisch" nennen könnte, wenn selbst der US-Außen- minister das sanfte Fernostkönigreich mit seiner buddhistischen Staatsreligion und seiner politisch ahnungslosen Bergbevölkerung nicht mit unserem Ländchen verglichen hätte. Daß der stramm-westliche Präsident Diem im benachbarten Südvietnam die erwartete Mehrheit für seine Neuwahl erzielte, und also die westliche Position wenigstens in dieser Schlüsselzone erhalten blieb, kann als erfreulich verbucht werden. Wie lange er sich freilich gegen den große Teile des flachen Landes praktisch beherrschenden Terror der kommunistischen Partisanen behaupten kann, ist eine andere Frage.

Kontinent genommen und statt dessen eine multilaterale Partnerschaft geschaffen werden. Ob England aus dieser, -neuen Situation die Konsequenz eines förmlichen Beitritts zur EWG ziehen wird, steht noch keinesfalls fest. Es ist durchaus denkbar, daß es als politische Vormacht der EFTA die Mittlerfunktion beibehalfen und noch ausbauen wird. Kennedy wird es nun obliegen, die anderen Freunde der USA von der Gewichtsverlagerung im großen Westbündnis in Kenntnis zu setzen. Der erste dieser Bundesgenossen, Adenauer, ist bereits — präpariert durch Sonderbotschafter Acheson — auf dem Weg ins Weiße Haus.

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