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Im Kreuzfeuer der Meinungen

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Eine andere Meinung äußerte eine 19jährige israelische Studentin namens Kuschnir. Sie ist Absolventin einer Mittelschule und fragte nur: „Was soll man mit solch einem Scheusal machen, im Falle, daß kein Todesurteil gegen ihn vollstreckt wird? Warum soll der israelische Steuerzahler auch noch weiter für Eichmanns Wohl aufkommen, nachdem schon eine gerichtliche Instanz ihn zum Tode verurteilt hat?“

Ein marokkanischer Jude, Jehuda Ochajon, waT anderer Ansicht. Er fand, daß die Auseinandersetzung zwischen dem Verteidiger und Ankläger in der zweiten Phase nur ein langweiliger Gelehrtendisput war, der die Öffentlichkeit ziemlich wenig interessierte. Seiner Ansicht nach müßte Eichmann gehenkt werden, und zwar so schnell wie möglich.

Ganz anderer Meinung war der Redakteur einer großen israelischen Tageszeitung. Seiner Ansicht nach erfüllte dieser Prozeß nicht seine Aufgabe, weil nicht alle erforderlichen historischen Aspekte berücksichtigt wurden. Auf einen Teil dieser Aspekte wurde verzichtet, weil sie nicht direkt mit Eichmann verbunden waren. Ferner verzichtete man bei den Prozeßverhandlungen aus israelischen innen-und außenpolitischen Gründen auf einen großen Teil von historischen Tatsachen, so daß dieser Prozeß nur teilweise der Nachwelt das richtige Bild des Hitler-Regimes bietet. Die Aburteilung Eichmanns selbst interessierte diesen Redakteur überhaupt nicht, da in dem Prozeß die Figur Eichmanns eigentlich nur eine Nebenrolle spielte.

Es gab auch andere Ansichten, wie z. B. in israelischen juristischen Kreisen, die der Meinung sind, daß Gerechtigkeit nicht geteilt werden könne und aus diesem Grunde Eichmann so wie jeder andere Verbrecher vor Gericht das volle Recht erhalten müsse. Darum sei auch die Berufung Eichmanns mehr als berechtigt.

Viele Ausländer, insbesondere Hunderte von Afrikanern, die sich zwecks Ausbildung in Israel befinden, waren voller Achtung über die israelische Gerichtsinstanz, die nichts unversucht ließ, um Eichmann jede Möglichkeit zu geben, zu seinem Recht zu kommen.

Anderseits veröffentlichten die hiesigen Tageszeitungen Dutzende Leserbriefe früherer KZ- und Vernichtungs-lagerinsassen, deren Inhalt ungefähr der war: „Warum macht man mit Eichmann nicht kurzen Prozeß und hängt ihn?“

Ein 22jähriger, in Israel geborener junger Mann namens Jehuda Cohen gab, als er über die zweite Phase des Prozesses gefragt wurde, die trockene Antwort: „Zuerst war ich schockiert und aufgeregt, aber wie lange kann ich mich aufregen?“

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