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Die sieben Rot Jacken

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In Landsberg sind die Würfel gefallen Von Rechtsanwalt Dr. Gustav Steinbauer, Wien

Abseits der Schnellzugslinie München— Lindau liegt das altertümliche Städtchen Landsberg. Durch den Lech und ein Fabrikgelände getrennt, thront auf einem Hügel die Festung, in der 1924 Hitler seinen „Kampf“ geschrieben hat. Heute ist sie amerikanisches Gefängnis, in dem 600 bis 800 Häftlinge, die in Nürnberg und Dachau nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10/194S verurteilt wurden, ihre Strafe verbüßen. Warnungstafel: Zutritt, Photo-graphieren verboten! grenzen das Gefängnis ab. Oberst A. Graham hat ein mustergültiges Gefängnis geschaffen, in dem schwarzgekleidete, weiß behelmte DP den Wachdienst vollziehen. Hinter einer kleinen Kapelle liegt der neue Friedhof. Vor kurzem schritt ich durch die langen Reihen der einfachen Holzkreuze. Wo der Name fehlte, war die letzte Ruhestätte eines Hingerichteten. Im benachbarten Gefängnis, in weinrote Jacken gekleidet, warteten aber seit Jahren noch 28 Häftlinge auf die Entscheidung, ob auch an ihnen das Todesurteil vollzogen werde. Am 7. Jänner 1951 fand in der Stadt Landsberg eine Protestkundgebung gegen die Vollstreckung -der Todesurteile statt. Sie wäre besser unterblieben, weil sie dem amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy seine Entscheidung über 89 ihm vorliegende Gnadenanträge nicht gerade erleichterte. Lagen ihm doch nicht nur die Gnadengesuche, sondern auch Hunderte von Protestschreiben aus den Kreisen der Opfer des Nationalsozialismus vor, die sich gegen jede Milde stellten.

McCloy konnte auch nicht den Umstand übersehen, daß im Zusammenhange mit den Kriegsverbrecherprozessen Jahre hindurch in den USA eine starke Propaganda gegen Deutschland betrieben wurde. Wenn trotz der ungeheuren Verbrechen, die Prozeßgegenstand in Nürnberg und Dachau waren, ehrenwerte Männer, wie der protestantische Landesbischof Dr. Wurm und der katholische Weihbischof Neuhäusler, München, immer wieder eine Revision der Prozesse verlangten, so hatten sie berechtigte Gründe. Es darf nicht übersehen werden, daß die Prozesse in der Atmosphäre des Morgen-thau-Planes starteten, der aus dem hochindustrialisierten Deutschland ein Ackerfeld machen wollte — eine Einstellung, die sich in den letzten Jahren geändert hat. Hatten im Prozesse gegen Göring und Genossen die vier Siegermächte ihre besten Juristen nach Nürnberg entsandt, so überließen die Amerikaner die Vorbereitung der nachfolgenden Prozesse in der Hauptsache deutschen Emigranten, weil diese Land und Leute kennen. So verständlich nun deren leidenschaftliche Einstellung gegen das Nazitum war, so wenig machte diese sie geeignet, am Amte der Gerechtigkeit mitzuwirken. Man muß selbst als Verteidiger an den Prozessen mitgewirkt haben, um festzustellen, wie sehr durch die Beschlagnahme des ungeheuren Dokumentenmaterials,durch die automatische Inhaftierung von Zeugen, durch die Zonen- und Grenzsperre die Findung der historischen Wahrheit erschwert war. Schwerste Verfahrensmängel bei allem ehrlichen Streben der amerikanischen Richter waren die Folge. Die in Dachau vorgekommenen Übertreibungen mögen gar nicht erwähnt werden. Was die Todesurteile angelangt, so wurde dagegen ausgeführt, daß das deutsche Grundgesetz die Todesstrafe verbietet. Dr. Schumacher hat darauf hingewiesen, daß, wenn die Sozialdemokraten für die NichtVollstreckung der Todesstrafe einträten, es ihnen nur um die Anwendung des Prinzips in der selbstgeschaffenen Verfassung des deutschen Volkes gehe.

Am 31. Jänner 1951 haben nun McCloy und General T. Handy ihre Entscheidungen über die Gnadengesuche der in Nürnberg und Dachau verurteilten Kriegsverbrecher des Hitlerregimes bekanntgegeben. Bei insgesamt 28 noch zum Tode Verurteilten wurde die Todesstrafe in 21 Fällen in Gefängnisstrafen verwandelt und in 58 Fällen die Freiheitsstrafen weitestgehend gemildert. Auffallend und bei Begnadigungen ungewöhnlich ist, daß dem Gnadenakte ein ausführlicherMotivenbericht beigefügt wurde. Uber 7 Männer wird also die schwarze Haube am Galgen gestülpt, 21 aber werden ihre roten Jacken in Landsberg ablegen können. Die lange Dauer der Überprüfung galt für viele als Strafverschärfung. Sie zeugt aber für die gründliche Arbeit des Uberprüfungsausschusses. Von den sieben auch jetzt noch dem Tode Verfallenen habe ich nur einen aus Nürnberg in Erinnerung: SS-General Otto Ohlendorf, der als Zeuge zugestand, daß seine Abteilung, die Einsatzgruppe D, in der Ukraine und der Krim 90.000 Juden tötete. Es ist auch für den Gegner der Todesstrafe unendlich schwer, den Grundsatz des modernen Staates auf Verzicht der Todesstrafe denen gegenüber zu vertreten, die sich als Unmenschen unter den Landsberger Häftlingen herausgestellt haben.

Was die zeitlichen Strafen anbelangt, so ist die Entlassung Krupps und die Aufhebung der Vermögensbeschlagnahme bemerkenswert. Wenn bei uns von gewisser Seite dies als eine politische Konzession an die Zeitverhältnisse hingestellt wird, so ist dies unrichtig. Alfred Krupp kam an Stelle seines verhan,d-lungsunfähigenVatersaufdie Anklagebank, was stark nach der so verpönten Sippenhaftung roch. Die Beschlagnahme erfolgte gegen die Stimme des Vorsitzenden Anderson, und zwar als einzige in allen 13 Nürnberger Prozessen. Die Durchführung des Krupp-Prozesses führte zu ständigen Protesten der Verteidigung, die sogar deren Inhaftnahme zur Folge hatte. Daß bei General List die Strafe auf Lebensdauer nicht herabgesetzt wurde, wird in Deutschland allgemein bedauert, zumal man annahm, daß die Amerikaner aus den Härten des Partisanenkrieges in Korea die entsprechenden Lehren ziehen würden. Mir schien der Gnadenakt bei den sogenannten kleineren Kriegsverbrechern etwas linear. McCloy hat ausgeführt, daß drei Richtlinien für die Begnadigung maßgebend waren: als dritte die individuelle Gerechtig k e i t für den einzelnen Angeklagten! Dies gibt die berechtigte Hoffnung, daß hier noch in einem oder anderen Falle eine Remedur geschaffen wird. Gilt doch das Wort Abraham Lincolns: „Nothing is settled, until it is justly settled.“ „Nichts ist erledigt, bis es gerecht erledigt ist.“

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