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Das Welterleben und das moderne Recht

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Die Nachkriegszeit mit ihrer Not, mit ihrer gewaltsamen Bevölkerungsumschichtung, mit ihrer Zertrümmerung jahrhundertealter Grenzen hat im internationalen Privatrecht eine Fülle komplizierter Probleme, wie der Eheschließung, der Staatsbürgerschaft und anderes, geschaffen. Die Frage der „Besatzungs“kinder erheischt eine internationale Regelung.

Der Krieg selbst ward zum Problem. Im Briand-Kellogg-Pakt 1928 geächtet, fand er in Nürnberg seine fehlende Strafsanktion. Seine rechtswidrige Herbeiführung gilt nunmehr nicht nur als Delikt des Staates, sondern auch als Straftat der schuldigen Personen, der Staatsmänner und Heerführer. Einzelne Sieger wollten den Kreis noch weiter ziehen. Franjois de Menthon erklärte in seiner großen Anklagerede: „Die Verantwortliche!! eines Angriffskrieges setzen 6ich außer Gesetz. Jede Handlung eines solchen. Krieges verliert den Rechtscbarakter einer Kriegshandlung.“ Das heißt, jeder Soldat, der im Feindesland Quartier verlangt, begeht Hausfriedensbruch, wer im Kampf seinen Gegner tötet, begeht Mord. Die französische Delegation selbst sdireckte vor dieser Folgerung zurück und erklärte einschränkend, die komplizierte Organisation des modernen Staates ermögliche es der Einzelperson nicht, die Rechtmäßigkeit eines Befehles nachzuprüfen. Mit dem harten Urteil gegen Generalfeldmarschall v. Manstein fanden die deutschen Kriegsverbrecherprozesse ihr Ende. In Landsberg verbüßen 745, darunter 10 Frauen, ihre Strafe. 29 warten in ihrer scharlachroten PW-Uniform auf ihre Hinrichtung. 278 zum Tode Verurteilte wurden dort in den letzten drei Jahren hingerichtet.

Mit der Liquidierung der Kriegsverbrecher ging die der Kollaborateure Hand in Hand. Norwegen hat Quisling, die Niederlande Mussert hingerichtet. Dort wurde auch vor kurzem der aus Österreich stammende höhere SS- und Polizeiführer Rauter zum Tode verurteilt und erschossen.

In Frankreich schloß die Haute cour nach vierjähriger Tätigkeit ihre Pforten. Dieser 1944 geschaffene Staatsgerichtshof hatte die Tätigkeit der hohen Staatsfunktionäre der Vichy-Regierung zu überprüfen. 58 Verfahren waren anhängig. Es wurden 18 Todesurteile und drei Freisprüche gefällt, das übrige waren Gefängnisstrafen. Am 10. Oktober 1945 wurde Josef Darnand, am 15. Oktober 1946 Pierre Laval und am 15. April 1947 Fernand de Brinon hingerichtet.

Die Zeit hat die Wellen geglättet. Die westdeutsche Bundesregierung hat eine umfassende Amnestie angeregt. Die Amerikaner haben 70 Landsberger mit Strafen unter fünf Jahren entlassen. Die französische Regierung hat einen Gesetzentwurf zu einer Amnestie aller Franzosen mit Strafen für Kollaboration unter drei Jahren vorbereitet. 8000 Kollaborateure befinden sich noch im Gefängnis. Von 2700 zum Tode Verurteilten wurden 800 hingerichtet. 3000 erhielten lebenslängliche Zwangsarbeit. Nur in Österreich zögert man mit einer allgemeinen Am- -nestie. Die Volksgerichte arbeiten ruhig auf Grund rückwirkender Gesetze weiter. Ihr Hauptnachteil ist, daß der Gesinnungsverbrecher ohne Rechtsmittel schlechter gestellt ist als der Raubmörder, der mit einer Nichtigkeitsbeschwerde sein Leben verlängern kann.

Die Tötung von Millionen Menschen auf den Schlachtfeldern, in den KZ und im grausamen totalen Krieg durch Bomben und Seuchen hat das Menschenleben scheinbar wertlos gemacht.

Die Forderung der Euthanasie, des Gnadentodes, die im Dritten Reich eine so schauderhafte Erfüllung gefunden hat, lebt trotzdem weiter. Man schränkt sie zwar auf die unrettbar einem schmerzhaften Tode Verfallenen ein. Im Dezember 1947 hat ein Komitee von 2000 New-Yorker Ärzten einen Gesetzesvorschlag erörtert, laut welchem die Euthanasie unter gewissen Kau-telen freigegeben werden soll. Der Schritt zur Tötung Geisteskranker, zur Tötung aller nutzlosen Esser in Zeiten wirtschaftlicher Not ist dann nicht allzu weit.

In der Ostzone und eini3en Teilen der Westzone Deutschlands, wie Bremen, wird die Aufhebung des 218 StG ( 144 österreichisches StG) gefordert, insbesondere soll die soziale Indikation freigegeben werden. Es wird hier Aufgabe eines hochgebildeten Richterstandes sein, Härten des Gesetzes mit den Notstandsparagraphen auszugleichen.

Die ungeheure Verheerung durch Seuchen im Kriege — so hat das Fleckfieber Todesziffern erreicht, die die blutigsten Sdiladi-ten übertreffen — hat die Frage der Zuläs-sigkeit der Experimente am Menschen aufgeworfen und eine gesetzliche Regelung verlangt: Warum solle nicht eine Handvoll Menschen, so wird argumentiert, geopfert werden können, um die ganze Menschheit von einer schrecklichen Geisel zu befreien?

All die Forderungen und Vorschläge — nach dem Gnadentod, Tötung des keimenden Lebens bei sozialer Indikation und nach dem „human experiment“ — können nur mit Nein beantwortet werden. Jede noch so gut gemeinte Konzession, jedes Abgehen von einer klaren Linie bedeutet einem Dammbruch, der schmutzigen Fluten einen Weg ins Gebiet eines sauberen Rechtes gewährt. „D i e Ehrfurcht vor dem Leben is t“, wie Albert Schweitzer sagt, „das oberste Gebot der Ethi k.“ Nicht die Omnipotenz des Staates ist zu schützen, sondern der Mensch, besonders im Zeitalter totalitärer Diktaturen!

Noch zwei Probleme, die unsere Väter nicht kannten, erhitzen die Juristen unserer Zeit: die Frage der künstlichen Befruchtung und die Erzwingung von Geständnissen durch Drogen und psychische Mittel.

Wie sagt doch Wagner im „Faust“: „Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitle Possen.“ Man sieht bei der Frage der künstlichen Befruchtung, wie tief der Materialismus, der im Menschen nur ein Bündel von Knochen, Nerven und Muskeln sieht, die menschliche Würde herabgedrückt hat. Die Rechtsphilosophie lehnt die künstliche Befruchtung beim Menschen als etwas Naturwidriges ab und verlangt ihr Verbot wie etwa bei der Unzucht wider die Natur. Wessen Namen trägt der Homunkulus, hat er Ansprüche auch gegen den unbekannten Vater? Nicht nur im Osten, sondern auch im aufgeklärten Weten zieht der Unfug seine Kreise. 70.000 Retortenkinder werden über das große Wasser gemeldet. Mit Recht hat, ähnlidi wie zuvor der Papst, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche Deutschlands, Doktor Dibelius, kürzlich die künstliche Konzeption als „widernatürlichen Vorgang“ abgelehnt. „Wenn zur gleichen Zeit im bolschewistisch gewordenen Ungarn und in der amerikani-sdien Welt die Anpreisung des Unfugs gemeldet wird, so kann man sehen“, so erklärt Dr. Dibelius, „daß hier nicht in christliches Abendland einem antichristli-dien Osten gegenübersteht. Der Geist gegen den wir kämpfen, geht über die ganze Welt!“

In den Strafprozeßordnungen aller Kulturstaaten ist das Erzwingen von Geständnissen von seiten des Angeklagten verboten. Wir haben nicht Folter und Daumschrauben abgeschafft, um noch teuflischere Mittel anzuwenden. Abgesehen, daß die bereits be-v kannten Mittel in ihrer Wirkung noch unbestimmt sind, ist auch die Frage späterer Schädigung der körperlichen Integrität nicht ausgeschlossen. Daher muß selbst ein Einverständnis des Inkulpaten abgelehnt werden. Das gleiche gilt von unzulässiger Einwirkung von psychischen Mitteln, wie des „Lügendetektors“. In einzelnen Staaten begnügt man sich nicht mit der Erzwingung von Geständnissen, man geht folgerichtig weiter und bricht den Willen zur Gänze und macht aus dem Angeklagten ein willenloses Werkzeug, einen hohlen Schemen, der seine Menschenwürde verloren.

Ein düsteres Bild des modernen Rechtslebens, eine Welt voll Pessimismus; ohne Hoffnungsstrahl? Es, wäre zum Verzweifeln. Aber nein! Die Weihnachtsbot-sdiaft des Papstes ist ein ergreifender Aufruf zur Einkehr der Menschen, zu einem großen Verzeihen und Schuldenvergeben. Die weltumfassende Organisation des Roten Kreuzes hat aus den furchtbaren Ereignissen des zweiten Weltkrieges die Folgerungen gezogen und eine Verbesserung der Rotkreuzbestimmungen vorgeschlagen, der viele Nationen, darunter auch die Sowjetrepublik, zugestimmt haben. Im Dezember 1948 nahm die Vollversammlung der Vereinten Nationen die „Erklärung der Menschenrechte“ an. In der Präambel heißt es: Da die Achtung vor der angestammten Würde und vor den gleidien und unveräußerlichen Rediten des ganzen Mensdien-geschlechtes die Grundlage ist von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt, proklamiert die Vollversammlung als allgemeine Richtlinie und Ziel für alle Völker und Nationen diese Erklärung der Menschenrechte, damit jeder Mensch sich bemühe, die Achtung dieser Rechte und Freiheit zu fördern. Wege sind aufgezeigt, die Gewissen werden aufgerüttelt. Pessimismus? Nein. Mit Goethe wollen wir sagen: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß.

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