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Der Arzt und der Krieg

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In den Berichten Ihrer Tagungen und in dem Entwurf für Codifizierung einer ärztlichen Welt-Ethik, in dem Entwurf eines internationalen Aerzterechts und in der vorgesehenen Formel eines überall geltenden Welt-Aerzteeides kehrt immer der Gedanke wieder: Oberstes berufliches wie ethisches Leitprinzip für das Gewissen und Tun des Arztes ist helfen und heilen, nie schädigen, verderben und töten. Sie haben auf diesen Beratungen vom Arzt im Frieden, und noch mehr im Krieg verlangt: Ehrfurcht vor dem Leben des Menschen von der Empfängnis bis zum Tod, Sorge“ um sein Wohlergehen, Heilung seiner Wunden und Krankheiten, Milderung seiner Leiden und Gebrechen, Vorbeugen und Abwehr von Gefahren, Unterlassen alles dessen, was diesen Aufgaben entgegen ist. Sie haben betont, daß dies Anwendung finde auf jeden Menschen, ob Freund oder Feind, und daß es unabhängig sei von Geschlecht und Alter, von Rasse und Nation, von Religion und Kultur.

Der Kernsatz der ärztlichen Ethik geht nun aber über das „helfen und heilen, nie schädigen und töten“ hinaus; er verlangt auch das Vorbeugen und Verhüten.

Dies ist entsdieidend für die Stellung des Arztes zum Kriege überhaupt und zum modernen Krieg im besonderen. Der Arzt ist Gegner des Krieges und Verfechter des Friedens. Sosehr er bereit ist, die Wunden des Krieges zu heilen, wenn sie einmal da sind, sosehr setzt er sich in den Grenzen des Möglichen dafür ein, daß sie überhaupt nicht geschlagen werden.

Der Krieg als letztes Mittel zur Lösung von zwischenstaatlichen Differenzen läßt sich bei beiderseitigem gutem Willen immer vermeiden. Wir haben noch vor wenigen Tagen die internationale Ahndung jedes Krieges verlangt, der nicht gefordert wird durch die unbedingte Notwendigkeit einer Abwehr schwersten, die Gemeinschaft treffenden Unrechts, das sonst nicht ferngehalten werden kann und doch ferngehalten werden muß, soll nicht in den zwischenstaatlichen Beziehungen der rohen Gewalt und Gewissenlosigkeit ein Freibrief ausgestellt werden. Es genügt also nicht die Abwehr jedes Unrechts, um zum Gewaltmittel des Krieges zu greifen. Wenn die Schäden des Krieges in gar keinem Verhältnis stehen zum „Hinnehmen des Unrechts“, so kann „Unrecht leiden“ sittliche Pflicht werden.

Was Wir soeben ausgeführt haben, gilt erst recht für den ABC-Krieg, den Atom-, biologischen und chemischen Krieg. Die Frage, ob er einmal zur Abwehr eines ABC-Krieges einfach notwendig werden kann — diese Frage gestellt zu haben, mag hier genügen. Ihre Beantwortung ist aus denselben Sätzen abzuleiten, die für die heutige Erlaubtheit des Krieges überhaupt entscheidend sind. Jedenfalls steht vor ihr die andere Frage, ob sich nicht durch internationale Abmachungen der ABC-Krieg verfehmen und wirksam ausschließen ließe.

Nach dem Grauen der beiden Weltkriege brauchen Wir wohl nicht ergänzend zu mahnen, daß jedwede Apotheose des Krieges als eine Verirrung des Geistes und Herzens abzulehnen ist. Gewiß sind Starkmut und Tapferkeit bis zur Hingabe des Lebens, wenn die Pflicht es verlangt, hohe Tugenden; allein den Krieg als Schule, als Gelegenheit zur Betätigung dieser Tugenden fordern zu wollen, müßte als verbrecherisch oder wahnsinnig bezeichnet werden.

Mit dem Gesagten ist die Richtung angedeutet, in der die Antwort auf die weitere Frage zu suchen ist, ob der Arzt sein Wissen und Tun in den Dienst des ABC-Krieges stellen dürfe. Er darf nie „Unrecht“ unterstützen, auch nicht im Dienst des eigenen Landes. Wo immer jene Art der Kriegführung als „Unrecht“ bezeichnet werden muß, ist die Mitwirkung des Arztes auszuschließen.

Gelänge es darüber hinaus, was Sie anstreben, eine Weltliga der Aerzte zu bilden, die sich zu den behandelten Kernsätzen der Aerzte-Ethik bekannte und wenigstens tatsächlich die Aufgabe erfüllte, das Tun der Aerzte, vor allem im Krieg, im Auge zu behalten, so wäre dem ärztlichen Gewissen eine noch wirksamere Sicherheit geboten. Eine solche Weltliga könnte eine internationale Aerztekammer gründen, deren Spruch über die Zulässigkeit bestimmten Verhaltens zu entscheiden und unzulässige Maßnahmen eines einzelnen wie vielleicht auch eines Staates oder einer Staatengruppe zu brandmarken berufen wäre.

Es sprechen tatsächlich gewichtige Gründe dafür, ein von der Völkergemeinschaft sanktioniertes internationales Aerzterecht zu schaffen. Schon weil sich Ethik und Recht ihrer Natur nach nicht immer decken, und wo sie zusammenfallen, doch formell verschieden bleiben. Wir dürfen verweisen auf das, was Wir darüber zu den Mitgliedern des Kongresses für Internationales Strafrecht geäußert haben.

Das Schicksal des Krieges kann den Arzt in die Hände des Feindes spielen und Kranke oder Verwundete des Feindes in seine Hand geben. Er kann zu den Siegern, er kann auch zu den Besiegten gehören, beides auf dem Boden des eigenen wie des Feindeslandes. Unter welchem Recht steht er nun jeweils für seine Person und Berufsausübung? Er selbst ist Nichtkämpfer, gehört aber zu den kämpfenden Verbänden. Welches Recht gilt für ihn, wehrend oder gewährend? Darf er sein Amt ausüben und bei wem? Bei Freund und Feind, bei der Militär- und Zivilbevölkerung? Ueberau, wo seine Hilfe verlangt wird und not tut? Und wie darf er es ausüben: nach den Grundsätzen ärztlicher Ethik und nach seinem Gewissen?

Alles das verlangt Regelung in internationalen Vereinbarungen. Manches ist in solchen bereits fixiert, aber nicht alles, was vereinbart werden sollte. Zudem ist die Zahl der Staaten, die solchen Konventionen beigetreten sind, nicht übergroß, und noch kleiner die Zahl der Staaten, die sie ratifiziert haben. Die Aerzte-schaft kann mit den gesetzgebenden Gremien durch Anregungen und Vorschläge Fühlung nehmen, um, was in den abgeschlossenen Verträgen sich findet, in das geplante internationale Aerzterecht einzuarbeiten. Ein Wegwäre auch dieser: das Schema des Aerzterechts schon in Geltung stehenden Konventionen als Ergänzung mit gleicher Rechtskraft anzugliedern.

Man wird an diese Arbeit nicht herantreten mit utopischen Hoffnungen, von heute auf morgen ans Ziel zu kommen; wohl aber mit der Ruhe, Anpassungsfähigkeit und dem zähen Aushalten, ohne die diplomatische Werke fast nie zu einem glücklichen Ende geführt werden können.

Soviel über die Notwendigkeit der Schaffung eines internationalen Aerzterechts und den Weg zu seiner Verwirklichung.

Was den Inhalt dieses Rechts, also die aufzustellenden Rechtssätze, angeht, so gibt der bereits gefertigte Entwurf genügenden Aufschluß. Auf seine technische Seite brauchen Wir nicht einzugehen. Uns berührt das ärztliche Ethos:

Unter dessen Rücksicht sollte das kodifizierte Aerzterecht in seiner Grundlage das enthalten, was in Ihren Kernsätzen enthalten ist. Es sollte daher als Reditssatz aussprechen: Der Arzt darf seinen Beruf immer und überall betätigen, wo dies praktisch möglich ist: auch dem verwundeten Feind gegenüber; beim Soldaten wie beim Zivilisten, beim Gefangenen und Internierten, wie überhaupt bei allen, die in Krankheit, Not und Schmerzen sind. Dabei hat den Vorrang immer die größte Not und die unaufschiebbare Hilfeleistung. Kein Arzt soll strafrechtlich belangt werden können einfach deshalb, weil er Bedürftigen ärztliche Hilfe geleistet; weil er sich geweigert hat, Kranke oder Verwundete ohne ärztliche Hilfe zugrundegehen zu lassen, Menschen an Leib und Leben zu schädigen, zu verstümmeln oder gar zu töten.

Noch eines sollte zum Inhalt eines internationalen Aerzterechts gemacht werden: das ärztliche Berufsgeheimnis. Kraft formellen Gesetzes soll der Arzt auch im Kriege befugt und verpflichtet sein, geheim zu halten, was ihm in Ausübung seines Amtes anvertraut worden ist. Es wäre eine irrige Deutung, in der ärztlichen Verschwiegenheit nur ein „bonum privatum“: Rücksicht auf das Beste des einzelnen zu sehen; sie wird ebensosehr vom „bonum commune“, vom Gemeinwohl, erheischt. In Konfliktsfällen zwischen zwei Rücksichten desselben Gemeinwohls muß eine nüchterne Auswägung zeigen, welche Rücksicht überwiegt. Es steht jetzt auch nicht zur Erörterung, welche Gründe im Ausnahmefall von der ärztlichen Schweigepflicht auch gegen den Willen des Patienten entbinden. Aufgabe des Gesetzes ist es, den Regelfall zu entscheiden; die Regel aber lautet: schweigen!

Wenn es gelingen sollte — und zum Teil ist es ja schon gelungen —, die hier genannten sittlichen Forderungen zum Inhalt gesetzesschaffender internationaler Verträge zu machen, wäre nicht wenig erreicht. Dabei sei man 'sich immer bewußt, daß der Arzt der „schwächere Teil“ ist; die Rechtsbestimmungen für ihn werden im Konfliktsfall wenig fruchten, wenn es nicht gelingt, auch die übergeordneten staatlichen Stellen wirksam zu binden und zur Selbstminderung ihrer Souveränität zu bewegen, die für sie immer, in gewisser Weise, in solchen internationalen Bindungen liegt.

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