6865628-1978_02_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Strafe soll nicht den Geist der Elemente spiegeln, die sie bekämpft...“

19451960198020002020

Zu den im Statut von Amnesty International angeführten Zielen der Organisation zählt neben der Arbeit für die Freilassung von Gewissensgefangenen und dem Einsatz für die weltweite Abschaffung der Folter auch der Kampf gegen die Todesstrafe. Da in den bisherigen 16 Jahren des Bestehens der Organisation oft nur die ersten beiden Arbeitsziele im Vordergrund standen, hat AI, nicht zuletzt auch bedingt durch die zunehmende Zahl von Hinrichtungen in aller Welt und das regelmäßige Wiederaufleben der Diskussion über die Todesstrafe in Westeuropa, beschlossen, diesem Aspekt der Menschenrechtsverletzungen in den nächsten Jahren mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

19451960198020002020

Zu den im Statut von Amnesty International angeführten Zielen der Organisation zählt neben der Arbeit für die Freilassung von Gewissensgefangenen und dem Einsatz für die weltweite Abschaffung der Folter auch der Kampf gegen die Todesstrafe. Da in den bisherigen 16 Jahren des Bestehens der Organisation oft nur die ersten beiden Arbeitsziele im Vordergrund standen, hat AI, nicht zuletzt auch bedingt durch die zunehmende Zahl von Hinrichtungen in aller Welt und das regelmäßige Wiederaufleben der Diskussion über die Todesstrafe in Westeuropa, beschlossen, diesem Aspekt der Menschenrechtsverletzungen in den nächsten Jahren mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Aus diesem Anlaß berief AI im Dezember vergangenen Jahres eine Konferenz zur Abschaffung der Todesstrafe nach Stockholm ein, an der neben AI-Delegierten auch Regierungsvertreter sowie Mitglieder zahlreicher internationaler nicht-staatlicher Organisationen teilnahmen. Die auf dieser Konferenz verabschiedete „Deklaration von Stockholm“ ruft alle Regierungen auf, zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe beizutragen und sie im eigenen Land abzuschaffen, sofern sie dort noch in Geltung steht.

Die Gründe, aus denen AI für ein bedingungsloses Verbot der Todesstrafe eintritt, lassen sich kurz zusammenfassen. Die Todesstrafe verletzt nicht nur das Recht jedes Menschen auf Leben, sondern stellt überdies eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Form der Bestrafung im Sinne des universellen Folterverbots (Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) dar.

Die Todesstrafe hat nachgewiesenermaßen keine abschreckende Wirkung. Dies wird nicht nur durch Studien der UNO belegt, denen statistisches Material aus fast allen Mitgliedsstaaten zugrunde liegt. Auch vergleichende Untersuchungen in den USA haben ergeben, daß bei unterschiedlicher Geltung der Todesstrafe in benachbarten Bundesstaaten die Androhung der Todesstrafe auf die Kriminalitätsrate bei todeswürdigen Verbrechen keinen Einfluß hat.

Aus kriminalpsychologischen Untersuchungen ergibt sich ferner, daß bei irrational handelnden Tätern (Geistesgestörten, Triebverbrechern) auch die Androhung der Todesstrafe keinen Einfluß auf den Tatentschluß hat. Bei rational handelnden Tätern ist es viel mehr der Grad der Wahrscheinlichkeit des Gefaßtwerdens bzw. der gerichtlichen Verfolgung, der den Täter von der Begehung einer Straftat abhält. Daß bei politisch motivierten Tätern die Androhung der Todesstrafe oft einen Verstärkereffekt ausübt und der Schaffung von Märtyrern geradezu Vorschub leistet, gilt wohl als unbestritten.

Die Todesstrafe ist unwiderruflich. Fehlurteile sind aber nie vollkommen auszuschließen. In den USA wurden in einem Zeitraum von etwa 80 Jahren 74 Menschen zu Unrecht wegen Mordes verurteilt, acht davon hingerichtet. In Österreich wurden in der Zweiten Republik vier Menschen (Auer, Ranner, Thiel und Rebitzer) wegen Mordes unschuldig verurteilt und erst nach einigen Jahren im Wege der Wiederaufnahme rehabilitiert. Bei Geltung der Todesstrafe wären sie vermutlich Opfer eines Justizmordes gewesen.

Vom Standpunkt christlicher Lebenshaltung und aus der christlichen Lehre ableitbar ist die Todesstrafe zweifellos ebenso abzulehnen, wenn sich auch die Kirche in dieser Frage als einer Frage der irdischen Gerichtsbarkeit stets zurückhaltend verhalten und durch die Jahrhunderte den gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung getragen hat. Je mehr aber christliche Lebenshaltung und -Verantwortung in einer Gesellschaft aktualisiert wird, desto weniger Befürworter der Todesstrafe müßte es geben. In diesem Sinne ist auch die Erklärung der österreichischen Bischof skonferenz vom Vorjahr zu begrüßen, in welcher sie sich ausdrücklich gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe ausspricht.

Dem letztlich allen Argumenten für die Beibehaltung der Todesstrafe innewohnenden Rachegedanken läßt sich mit den Worten des berühmten österreichischen Strafrechtslehrers Adolf Merkel entgegnen: „Die Strafe soll nicht den Geist der Elemente spiegeln, die sie bekämpft, sondern derer, die berufen sind, jene emporzuziehen.“ Angesichts des in Westeuropa um sich greifenden Terrorismus kann man ebenso hinzufügen: Der moderne Rechtsstaat, der nach großen Opfern aufgebaut worden ist, darf sich nicht von „hinrichtenden“ Terroristen seine eigene Strafjustiz diktieren lassen. Gerade in einer Zeit der Tendenz zu zunehmender Gewalt ist es Aufgabe des Staates, die seinem Rechtssystem zugrunde liegende Wertordnung nicht selbst aufs Spiel zu setzen.

Die Todesstrafe ist bislang nur von einer verschwindenden Zahl von Staaten abgeschafft worden. In Europa sind es nur Österreich, die Bundesrepublik Deutschland, Finnland, Schweden, Portugal und Island, die diese Strafe weder zu Kriegs- noch zu Friedenszeiten kennen. In anderen Ländern ist sie in Friedenszeiten verboten: Dänemark, Italien, Norwegen, Schweiz, Holland und Großbritannien. Die Todesstrafe kann verhängt werden in Frankreich (seit 1959 wurden mehr als 30 Urteile vollstreckt, so auch im letzten Jahr), in Spanien (letzte Hinrichtungen 1975), der Türkei (auch wegen einer Anzahl politischer Delikte) sowie in Griechenland und Irland (in letzter Zeit immer umgewandelt).

Im Ostblock werden in den meisten Staaten Todesurteile in regelmäßigen Abständen vollstreckt. Darunter fallen auch zahlreiche wegen Spionagevergehen und Wirtschaftsdelikten verhängte Todesurteile (in der UdSSR etwa 30 Hinrichtungen pro Jahr).

Im außereuropäischen Raum ist die Todesstrafe wie auch die zunehmende Zahl von außergerichtlichen Hinrichtungen und politischen Morden im Auftrag oder mit Duldung von Staatsorganen an der Tagesordnung. An führender Stelle liegen Staaten wie Uganda, Äthiopien, Nigerien, aber auch Südafrika und Rhodesien, letztere Beispiele für den rassisch diskriminierenden Charakter der Todesstrafe (für gleiche Delikte werden Weiße fast nie, Schwarze dagegen sehr oft hingerichtet).

In Asien ist die Todesstrafe etwa im Iran ein Instrument zur Ausmerzung jeglicher politischer Opposition. In der Volksrepublik China kommt es zu Hinrichtungen im Gefolge machtpolitischer Auseinandersetzungen. In Kambodscha wurden nach der kommunistischen Machtübernahme vermutlich Tausende Angehörige der früheren Administration ohne jedes Gerichtsverfahren hingerichtet.

Im arabischen Raum ist die Todesstrafe ein inhärenter Bestandteil eines noch immer stark vom Koran beeinflußten Strafrechts. Die meisten Hinrichtungen erfolgten in den letzten Jahren im Irak, vor allem an Kurden.

In Südamerika haben bemerkens-werterweise einige Staaten die Todesstrafe aus ihrem Strafgesetz eliminiert (Uruguay, Kolumbien, Venezuela, Ekuador). In den meisten anderen Staaten werden offizielle Todesurteile nicht verhängt. Doch ist gerade die Situation in einigen südamerikanischen Staaten (z. B. Argentinien, Chile, Brasilien, Guatemala) dadurch gekennzeichnet, daß der organisierte politische Mord an Oppositionellen durch paramilitärische Gruppen zu Tausenden Toten geführt hat. Aus dieser Erwägung hat AI auch die für die nächsten Jahre geplante Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe auf alle Fälle von politischen Morden durch Staatsorgane ausgedehnt. Als Beispiel für diese Methode, sich politischer Gegner und Andersdenkender zu entledigen, können neben den vorerwähnten Staaten auch Länder, wie Uganda, Äthiopien oder Kambodscha angeführt werden.

Das uneingeschränkte Recht auf Leben als das am höchsten zu schützende Rechtsgut kann mit keiner Begründung außer Kraft gesetzt werden. Die bevorstehenden Aktivitäten von Amnesty International zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe, auf deren möglichst breite Unterstützung zu hoffen ist, sind nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg - aber sie sind ein Schritt weiter zu einer menschlicheren Welt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung