6571640-1950_23_03.jpg
Digital In Arbeit

Todesstrafe und Volksgerichte

Werbung
Werbung
Werbung

Die Torlesstrafe wurde in der Republik Österreich erstmalig durch das Gesetz vom 3. April 1919 abgeschafft. Es war ein einfaches Gesetz, das in der Fassung vom 15. Juli 1920 in seinen beiden Paragraphen lautete:

1: Im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist die Todesstrafe abgoschafft.

2: Im ordentlichen Verfahren vor den Strafgerichten bildet statt der vom Gesetz angedrohten Todesstrafe die Strafe des lebenslangen schweren Kerkers die gesetzliche Strafe.

Die Abschaffung der Todesstrafe wurde in der Folge verfassungsgesetzlich verankert. Das Verbot der Todesstrafe war schon in der Verfassung 1920 ein Verfassungsartikel und wurde auch in der ' Verfassung 1929 beibehalten (Artikel 85).

Nach der Befreiung Österreichs wurde die Verfassung 1929 wieder eingeführt; spätestens mit 19. Juni 1946 waren daher die Bestimmungen des Strafgesetzes, welche die Todesstrafe als Strafdrohung vorsahen, unanwendbar geworden.

Obgleich die Todesstrafe durch die wieder eingeführte Verfassung 1929 späteslens ab 19. Juni 1946 (sechs Monate nach dem ersten Zusammentritt des Nationalrates) abgeschafft war, hat das Bundesverfassungsgesetz vom 24. Juli 1946 (bemerkenswerterweise mit rückwirkender Kraft auf den 19. Juni 1946) die Todesstrafe bis 30. Juni 1947 für zulässig erklärt. Zweimal wurde dieses Verfassungsgesetz verlängert. Erstmalig durch das Gesetz vom 21. Mai 1947, mit welchem der verfassungsgesetzliche Ausnahmezustand (Beibehaltung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren) bis zum 30. Juni 1948 verlängert wurde; das zweitemal durch das Bundesgesetz vom 12. Mai 1948, welches in Absatz 1 des 1. Paragraphen die Zulässigkeit der Beibehaltung der Todesstrafe auch nach dem 30. Juni 1948 ausspricht, „solange mit dem Tode bedrohte Verbrechen in gefahrdrohender Weise um sich greifen“, in Absatz 2 aber diese Bestimmung auf alle Fälle am 30. Juni 1950 außer Kraft treten läßt.

Nun wurde in der Sitzung des Natiö-nalrates vom 24. Mai 1950 in geheimer Abstimmung mit 86 von 150 abgegebenen Stimmen beschlossen, daß die Verfassung in der Bestimmung des Artikels 85 nicht weiter eingeengt werden soll, so daß ab 1. Juli 1950 die Todesstrafe im orJent-lichen Verfahren de jure u n d de facto abgeschafft ist. Es bedarf allerdings noch eines Gesetzes, ähnlich dem vom 3. April 1919, welches ausspricht, welche Strafe (vermutlich lebenslanger Kerker) anstelle der abgeschafften Todesstrafe tritt.

Die Fr?.ge der Zweckmäßigkeit der Abschaffung der Todesstrafe steht hier nicht zur Frage, sondern vielmehr, inwieweit nach der grundsätzlichen Abschaffung die faktische noch besteht. Wir erlebten auf Wiener Boden vor 1945 Massenhinrichtungen, die eine schreckliche Mahnung entarteter Strafjustiz sind. Diese brachte es zuwege, in Wien an einem einzigen Hinrichtungsabend mehr Menschen zu köpfen, als Kaiser Franz Joseph in seinen letzten fünfzig Regierungsjahren im ganzen Gebiet der heutigen Republik Österreich im ordentlichen Strafverfahren hinrichten ließ, denn in dem heute zu Österreich gehörenden Teilgebiet des alten Kaiserstaates wurden in der Zeit von 1867 bis zur Abschaffung der Todesstrafe von 590 gefällten Todesurteilen nur 30, das sind 5 Prozent, vollstreckt.

Gerade weil wir es in Wien erlebten, daß so viele und ungerechte Todesurteile gefällt und vollstreckt wurden, ist es durchaus nicht begründet, daß Sich die Aufhebung der Todesstrafe lediglich auf das ordentliche Verfahren erstreckt. Die Todesstrafe bleibt nämlich für Ausnahmegerichte weiter zulässig. Wir können und wollen es jedoch nicht vergessen, daß in der Vergangenheit gerade von solchen Ausnahmegerichten (Sondergerichten und Volksgerichtshöfen unseligen Angedenkens) Todesurteile gefällt und vollstreckt wurden, die wir als Unrecht erkennen und verabscheuen. Ausnahmetribunale aber haben wir auch heute in der Form der Volksgerichte.

Die Gefahr, daß bei solchen Ausnahmegerichten auch weiterhin die Verhängung derTodes-s träfe möglich, zumindest zulässig ist, mag bei der Judikatur der österreichischen Volksgerichte nicht naheliegend sein; es besteht jedoch jederzeit die Möglichkeit, durch Schaffung von Ausnahmegerichten oder Ausweitung derselben auf andere Tatbestände die Todesstrafe trotz Artikel 85 der Bundesverfassung künftig einzuführen, eine beträchtliche Gefahr, bedenkt man, daß die ihrem Charakter und Zweck nach vorübergehende Institution des österreichischen Volksgerichtes eine Dauer-einrichung wurde. Gerade in diesen Tagen aber lesen wir, daß beispielsweise in Rumänien durch Ausnahmegerichte die Todesstrafe auch gegen Landwirte verhängt werden kann, die der Ablieferungspflicht nicht nachkommen.

Dr. Chamrath warnte vergeblich vor der Gefahr einer Dauereinrichtung von Ausnahmegerichten, wenn er in der „Furche“ vom 15. März 1949 schrieb: „Wir sehen im volksgerichtlichen Verfahren Grundsätze eingehalten, die dem standgerichtlichen Verfahren eigen sind.

Dergleichen Tribunale sind in Zeiten hochgespannter politischer Strömungen oder zur Bewältigung außerordentlicher, den Staat und die gesetzlich Ordnung bedrohender innerer Ereignisse wiederholt für notwendig befunden worden. Sollen aber solche Justizeinrichtungen die beabsichtigte Wirkung haben und nicht als Übergriffe des Staates gegen seine Bürger gewertet werden, so müssen sie als Notrecht des Staates begründet und zeitlich eingeschränkt sein und dürfen nicht zu einer Dauereinrichtung werden.“

Die Dauereinrichtung der Volksgerichte ist also die Gefahr, und diese ist um so untragbarer, wenn diesen Gerichten fünf Jahre nach 1945 und trotz Abschaffung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren weiterhin das Recht zusteht, Todesstrafen zu verhängen. Es sagt nichts, daß unsere Volksgerichte von diesem Recht nur spärlich Gebrauch machen; auf den Grundsatz kommt es an. Demokratische Erwägungen rechtfertigen daher das Verlangen, daß der Zauber einer als Dauerzustand nicht länger ertragbaren Einrichtung je eher je besser verschwindet. Es besteht ansonsten die Gefahr, daß auch künftig ein Ausnahmerecht zum Dauerrecht geschaffen, hiedurch der Verfassung eine Nase gedreht wird und dergestalt die Todesstrafe nur für gemeinste Verbrechen abgeschafft bleibt, was aber nicht der Zweck der Übung ist.

Das österreichische Parlament hat (wenngleich in geheimer Abstimmung) zu Artikel (85 der Bundesverfassung zurückgefunden; es wäre daher an der Zeit und auch nötig, das volksgerichtliche Verfahren wenigstens in das ordentliche Verfahren überzuleiten. Der Justiz würde hiedurch nur ein Dienst erwiesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung