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Die Verfassungswidrigkeit des „Trauungsparagraphen“

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In dem Artikel „Grundanliegen der österreichischen Katholiken“ in der „österreichischen Furche“ vom 18. März 1950, Seite 3, wird darauf hingewiesen, daß nach Ansicht des Univ.-Prof. Dr. W. P1 ö c h 1 das derzeitige staatliche Eherecht mit seinem Zwang zur Ziviltrauung und der Strafsanktion gegen Geistliche verfassungswidrig ist, weil es die elementarste Glaubens- und Gewissensfreiheit des Staatsbürgers verletzt, nämlich seine Freiheit, ein Sakrament der Kirche ohne Einspruch des Staates zu empfangen.

Bei der Verurteilung des Stadtpfarrers von Vöcklabruck, Dr. Alois N i k ö 1 u s s i, und seines Hilfspriesters, Dechant Josef Sitte, ging das Gericht von der Ansicht aus, daß 67 des Personenstandgesetzes noch in Kraft stehe. Das Gericht erklärte jedoch, daß es die Frage der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung nicht zu prüfen habe und dies Sache des Verfassungsgerichtshofes sei.

Demgegenüber ist nun folgendes zu sagen: Die Bestimmung des 67 Personenstandgesetz, welche die Vornahme kirchlicher Feierlichkeiten einer Eheschließung vor Vornahme der staatlichen Trauung unter Strafsanktion stellt, widerspricht den Artikeln 14 und 15 des Staatsgrundgesetzes und dem in unserer Verfassung aufgenommenen Artikel 63 des Staatsvertrages von St.-Germain, in denen die volle Freiheit des Gewissens und der

Religionsausübung festgelegt ist. Diese Tatsache kann durch keine juristische Erwägung aus der Welt geschafft werden. Der 67 Personenstandgesetz besitzt nun einen Inhalt, der unsere Verfassung abändert. Eine solche Rechtsbestimmung bedarf nach österreichischem Recht eines Verfassungsgesetzes und der Zweidrittelmajorität im Nationalrat. Nun wurde das Personenstandgesetz und mit ihm der 67 desselben durch Verordnung der Deutschen Reichsregierung vom 2. Juli 1938 auf dem Gebiet der Republik Österreich eingeführt.

Mit dem Verfassungsüberleitungsgesetz vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 4, wurden die österreichische Verfassung sowie alle übrigen Bundesverfassungsgesetze und Verfassungsbestimmungen nach dem Stand vom 5. März 1933 für das Gebiet der Republik Österreich wiederum in Wirksamkeit gesetzt. Artikel 2 des Ver-fassungsüberleitungsgesetzes hebt alle verfassungsrechtlichen Vorschriften und alle Anordnungen der Deutschen Reichsregierung auf, soweit sie verfassungsrechtlichen Inhalt besitzen.

Durch diese Generalbestimmung ist somit der 67 Personenstandgesetz, der die verfassungsmäßig garantierte Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit einschränkt, automatisch außer Kraft getreten. Mit dieser Frage hätte sich das Gericht auseinandersetzen und schließlich zur Einsicht kommen müssen, daß 67 des Personenstandgesetzes gar nicht mehr existiert und daher nach diesem Gesetz weder eine Anklage noch eine Verurteilung erfolgen durfte. Man kann sich nicht über das Verfassungsüberleitungsgesetz vom 1. Mai 1945 einfach hinwegsetzen.

Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß 6 des Gesetzes vom 26. Juni 1945, StGBI. 31/45, folgendes bestimmt: „Wegen Vornahme einer kirchlichen Eheschließung vor Abschluß einer standesamtlichen Ehe in der Zeit vom 1. April 1945 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes findet eine Bestrafung gernäß 67 des Personenstandgeset.zes nicht statt.“ Dieses Gesetz geht bloß von der Annahme aus, daß 67 des Personenstandgesetzes noch existent ist. Wenn sich aber die österreichische Bundesregierung und der österreichische Nationalrat das Verfassungsüberleitungsgesetz angesehen hätten, dann hätten beide Institutionen wissen müssen, daß der 67 des Personenstandgesetzes aufgehoben ist. Die in einem Gesetz zum Ausdruck gebrachte Annahme, daß ein anderes Gesetz noch besteht, kommt aber nicht einer Wiedereinführung des Gesetzes gleich und ändert nichts an der Tatsache, daß das bezogene Gesetz bereits aufgehoben ist.

Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof, der über die Nichtigkeitsbeschwerde zu entscheiden hat, gemäß Artikel 140 des Bundesverfassungsgesetzes die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen und diesen um die Feststellung zu ersuchen, daß 67 des Per-sonenstangesetzes verfassungswidrig ist.

Es ist zu erwarten, daß der Oberste Gerichtshof sich auf den Boden unserer Verfassung stellt und jene Entscheidung treffen wird, die die demokratische Freiheit des Staatsbürgers wieder wirksam werden läßt. Da die kirchliche Ehe ohnedies keine bürgerlichen Wirkungen nach sich zieht, haben der Staat und seine Behörden auf die Erteilung des kirchlichen Segens keinen Einfluß zu nehmen.

Wenn die österreichischen Gerichte aber auch weiterhin den 67 Personenstandgesetz in Anwendung bringen, dann ist Österreich nicht eine Demokratie, sondern — wie unlängst in Salzburg bei einer offiziellen Veranstaltung geäußert wurde — eine Demokratur.

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