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Ausschaltung des Parlaments?

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In der Debatte des Nationalrates war viel von der angeblichen Ausschaltung des Parlaments die Rede. Dies klingt sehr aufregend und weckt bittere Erinnerungen. Wird eine Volksvertretung zum Schweigen gebracht, so hat die letzte Stunde der Freiheit geschlagen. Was aber ist wirklich geschehen? Der Verwaltungsgerichtshof kam in einer sorgfältigen und bisher noch nicht widerlegten Beweisführung zu der Annahme, der Hauptausschuß des Nationalrates könne in dem Verfahren über die Loyalitätserklärung der Habsburger seit 1920 nicht mehr mitwirken. Er begründet dies aus der Verfassung. Seine Feststellung findet sich nicht im Spruch, sondern in den Entscheidungsgründen. Der Hauptausschuß hätte somit im nächsten Fall von der durch keinen bindenden Spruch daran gehinderten Bundesregierung „auch eingeschaltet“ werden können, und zwar entweder rechtlich im Widerspruch zur Anschauung des Erkenntnisses oder faktisch im Sinne der Bemühung um Einklang des Handelns der Regierung mit dem Willen der Volksvertretung.

Die eigentliche Aufgabe des Nationalstes, ist unbestritten, die, Verfaj-sungsgesetzgebung und . die,, vGese|z-. gebung. In diesem eigentlichen Bereich seiner Tätigkeit hat die beklagenswerte Ausschaltung der Volksvertretung im Jahre 1934 stattgefunden. Wenn der Nationalrat eine ganzbestimmte Aufgabe außerhalb seines typischen Arbeitsfeldes, und zwar eine solche bei der Entscheidung über die Rechte von Einzelmenschcn, nicht erfüllen kann, so bedeutet dies keine Ausschaltung der Volksvertretung.

Aber selbst wenn der Verwaltungsgerichtshof die Mitwirkung des Hauptausschusses an sich für geboten erachtet hätte, hätte er diesen Ausschuß in seinem Verfahren doch nicht mitwirken lassen können. Hat der Verwaltungsgerichtshof über eine Säumnisbe-schwerde zu entscheiden, so tritt er an die Stelle jener Organe, welche die Entscheidung versäumt haben. Er ersetzt auch ein zusammengesetztes Organ. Er wäre nicht nur an die Stelle der Bundesregierung, sondern auch an die des Hauptausschusses getreten, den er ebensowenig berechtigt gewesen wäre zu befragen, wie er ein anderes Ministerium zu befragen hat, wenn er an die Stelle einer säumigen, zum Handeln im Einverständnis verpflichtete Behörde tritt. Der Verwaltungsgerichtshof hätte also, seine Zu-tändigkeit vorausgesetzt, jedenfalls allein entscheiden müssen.

Träfe also die wohl begründete und nicht widerlegte Anschauung des Verwaltungsgerichtshofes über die im Jahre 1920 eingetretene Änderung des Habsburger-Gesetzes nicht zu, so wäre doch praktisch der Hauptausschuß im Falle des Dr. Otto Habsburg nicht zum Zug gekommen, wobei die wahre Ursache darin liegt, daß die Bundesregierung ein Einvernehmen nicht suchte.

Ganz oder gar nicht?

Der Justizminister hat in seiner Rede vom 5. Juni 1963 einen ganz besonders eigenartigen, ja verblüffenden Einwand gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes aus einem Artikel der „Arbeiter-Zeitung“ übernommen. Das Habsburger-Gesetz — so meinte er — gelte entweder ganz oder gar nicht. Es sei nämlich ein dem Schutze der Republik dienendes Ausnahmegesetz und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Entweder es gelte aus diesem ganz tiefen

Grunde gar nicht mehr, was aber nicht einmal der Verwaltungsgerichtshof zu sagen gewagt habe, oder es gelte ganz und ohne Änderungen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bekanntlich auf den Art. 149 B.-VG. Bezug genommen. Danach hat das Habsburger-Gesetz „unter Berücksichtigung der durch die Bundesverfassung bedingten Änderung als Verfassungsgesetz zu gelten“. A kann nicht gleichzeitig B sein. Daher kann das in Geltung gesetzte Gesetz nicht im selben Augenblick zur Gänze außer Kraft getreten sein, wohl können aber Änderungen betreffend das Verfahren eingetreten sein. Die Alternative, ganz oder gar nicht, hält demnach einer logischen Prüfung nicht stand. Eine teilweise Änderung ist logisch und geschichtlich möglich. Sie hätte dem Übergang aus einem Gewalten bindenden au einem Gewalten trennenden

Staat entsprochen. Daß die Änderung eingetreten ist, hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich begründet. Diese Begründung ist noch nicht widerlegt.

Gerichtsfreier Hoheitsakt?

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluß in der Sache Habsburg ausgesprochen, er sei unzuständig; eine Entscheidung, welche die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß zu treffen habe, könne vom Verwaltungsgerichtshof nicht kontrolliert werden, weil ein solches Entscheidungsorgan an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes nicht gebunden werden könne. Er hat also den Rechtsschutz für unzulässig erachtet, obwohl es sich bei der Landesverweisung um eine dem Grundrecht der Aufenthaltsfreiheit der Staatsbürger widerstreitende Sonderregelung handelt, um einen Bereich, der gewiß der Kontrolle bedarf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Rechtsschutz schon deshalb für zulässig erachtet, weil nach seiner Anschauung als Entscheidungsorgan nur die Bundesregierung in Betracht gekommen sei. Nun, so will es die SPÖ, soll authentisch interpretiert werden, und zwar so, daß auch die getroffene Entscheidung beseitigt werden soll. Es soll für die Angehörigen einer Familie keinen Rechtsstreit um ihr Recht auf Aufenthalt in Österreich geben. Diese Frage soll ein reines Politikum sein. Wird hier nicht wirklich eine Menschengruppe außerhalb der Rechtsordnung und des Rechtsschutzes gestellt?

Das Versprechen

Diese famose Regelung soll nach dem Vorschlag der SPÖ auch zur Wiederaufnahme der abgeschlossenen Verfahren führen. In diesem wiederaufge-

nommenen Verfahren müßte dann die Säumnisbeschwerde, der schon stattgegeben worden war, zurückgewiesen werden. Welche erhabene Perfektion des Verfassungsstaates I Was soll hier geschehen? Vielleicht läßt es sich am besten mit einem Bild erklären. Was der Verfassungsgesetzgeber und der Gesetzgeber aussprechen, wollen wir in diesem Bild als Versprechen bezeichnen, als Versprechen eines bestimmten Verhaltens der Staatsorgane. Diese Versprechen können geändert, es kann ein anderes Verhalten in Aussicht gestellt werden. Darüber aber, was ein Versprechen im Einzelfall bedeutet hat, haben in einem Rechtsstaat letztlich Richter zu entscheiden, nicht derjenige, der das Versprechen gegeben hat und der damit Richter in eigener Sache würde, wenn er im Einzelfall die Entscheidung in Anspruch nähme. Ist die Entscheidung im Einzelfall, die Entscheidung durch den Richter, gefallen, hat sie Rechtskraft erlangt, so ist sie anzuerkennen, weil sonst das Vertrauen auf die Sicherheit des gegebenen Wortes zerschlagen wird.

Allmächtiger Verfassungsgesetzgeber?

Werden diese Fundamente verworfen, hält sich der Verfassungsgesetzgeber nicht an Grundsätze gebunden, fühlt er sich höheren Normen nicht verpflichtet, die aus der Achtung vor dem Menschen und seinem Recht die Unantastbarkeit rechtskräftiger Erkenntnisse von Höchstgerichten fordern, dann ist der Abgrund aufgerissen, der die Freiheit verschlingen kann. Zerstören wir den gemeinsamen Boden nicht I Republik, Demokratie, Föderalismus, vor allem aber der Rechtsstaat, sind dieser gemeinsame Boden, so lange wir unter diesen Worten dasselbe verstehen.

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