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Im Zweifel für Autonomie

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Die belangte Behörde irrt...“, stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, und der Leser vermeint, eine gewisse Sarkastik zu verspüren. Der Irrtum lag in der Beurteilung der Rektorswahl an der Universität Wien - die FURCHE hat mehrfach darüber berichtet. Vor Jahresfrist war im zweiten Wahlgang der Jurist Winfried Platzgummer zum neuen Prärektor und Rektor für 1979 bis 1981 gewählt worden - er hatte aber im ersten Wahlgang nur eine Stimme Vorsprung vor dem Geographen Ernest Troger gehabt, und dessen Anhänger fochten die Wahl an mit dem Hinweis, einige der Ihren wären wegen einer falschen Rechtsauskunft nicht zur Wahl erschienen. Das

Wissenschaftsministerium gab der Beschwerde statt, hob die Wahl auf. Diese wurde wiederholt und brachte nun Troger den Sieg. Er wirkte seither als Prärektor, während nun beim Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des unterlegenen Juristen lief.

Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes langte nun gerade in dem Moment ein, als die Rektorenkonferenz zusammentrat, um den Vorsitzenden für das nächste Arbeitsjahr zu wählen und hierbei natürlich der amtierende Prärektor der größten Universität bevorzugt zur Diskussion stand. Am Minoritenplatz zeigte man sich noch uninformiert, als das Ergebnis bereits in der Zeitung stand: Die Wahl vom Juni des Vorjahres war rechtens gewesen, entschieden die Richter vom Judenplatz. „Die belangte Behörde irrt...“ Platzgummer hat Trogers Platz einzunehmen.

Das Ergebnis des Verfahrens hat mehrere Aspekte. Zunächst muß betont werden, daß es nicht um Personen ging, sondern um Grundsatzfragen. Der Feststellung Minister Hertha Firnbergs, ihr sei .jeder Rektor gleich lieb“, ist nichts hinzuzufügen.

Dann wurde hier von höchster Stelle interpretiert, wie es mit der Vertretung der gewählten Funktionäre der verschiedenen universitären Gruppen in den verschiedenen universitären Gremien, die das Universitätsorganisationsge-setz geschaffen hat, zu halten sei. Der Streit darüber geht zwischen Universitäten und Minoritenplatz seit dem Inkrafttreten des UOG und dem Erscheinen der Durchführungsbestimmungen. Schon diese Klarheit zu schaffen, war dringend nötig.

Damit im Zusammenhang stellt das Erkenntnis auch fest, daß der ganze Wust von Verfahrensbestimmungen mit der Anlage von Wähllisten und Wahlausweisen keine Deckung im Gesetz findet, also ihre Verletzung für die Frage der Gültigkeit der Wahl irrelevant sein muß - auch wenn es in Parenthese anmerkt, daß diese Gesetzeslage bei Universitäten von der Größe der Wiener unzulänglich seien und zu erheblichen Schwierigkeiten führen könnte. Aber das zu beheben, sei Aufgabe des Gesetzgebers.

Der wichtigste Aspekt des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes scheint jedoch die Feststellung zu sein: „Bei Beurteilung dieser Frage“ (ob die Wahl unter Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist) „ist strengste Anlehnung an den Wortlaut des Gesetzes geboten, weü hier jede ausdehnende Auslegung zu einer Einengung des autonomen Wirkungsbereiches der Universitäten als einem vom Verfassungsgesetzgeber als gegeben akzeptierten und in die Verfassungsrechtsordnung von 1920 integrierten Bestandteil dieser Ordnung und damit zu auch verfassungsrechtlich bedenklichen Verfahrensvorschriften führte.“

Im Zweifelsfall für die Autonomie der Universität, nicht gegen sie! Halt dem Versuch einer intensivierten Gängelung durch die Aufsichtsbehörde! Uber den politischen Inhalt des UOG ist jahrelang diskutiert worden. Auch die so manches Kompromiß enthaltende Schlußformulierung konnte nie alle Wünsche befriedigen, das war auch nie zu erwarten. Aber auch politische Entscheidungen müssen so formuliert sein, daß man sie exekutieren kann, daß man mit ihnen leben kann.

Die Universitäten müssen nun seit vier Jahren mit dem UOG leben - daß dieses Leben mühevoll war, dafür ist die Rektorswahl an der Universität Wien nur ein markantes Beispiel. Aber die Mühe erwuchs gar nicht aus politisch differierenden Ansichten, sondern viel mehr aus mißverständlichen Formulierungen, undurchdachten Konstruktionen, einander und dem Gesetz widersprechenden Durchführungserlässen.

Rechtskundige und praxiserfahrene Verwaltungsbeamte geben keine Auskünfte, die sie nicht entsprechend belegen körinen -wenn dann die höchste Instanz diese Belege als irrig erklärt, trifft nicht die Beamten der Universität oder der Fakultäten die Schuld.

Natürlich ist es für Spitzenbeamten einer Aufsichtsbehörde mitunter einfacher, im Zweifelsfall nach eigener Meinung entscheiden zu können. Universitäten sind zwar verwaltungsrechtlich „nachgeordnete Dienststellen“. Sie aber anderen ausgelagerten „Ämtern“ in der Behandlung gleichzusetzen, geht an ihrer Struktur, an ihrer höheren Aufgabe vorbei.

Im Zweifelsfall für die Autonomie, für die selbständige Entscheidung, für die Freiheit. Dieser Grundsatz gilt für die Universität im ganzen ebenso wie für jeden einzelnen Bürger einer freien Gesellschaft in seinem jeweiligen Funktionsbereich. Nur im Freiheitsraum wächst die Bereitschaft zur Verantwortung, zum Engagement, die Lust, sich auch selbst initiativ ah der Gestaltung des Ganzen zu beteiligen. Jede Beschränkung dieses Freiheitsraumes, jede überflüssige Reglementierung, jede Gängelung bremst den Motor, der eine Gesellschaft freier Menschen in Schwung hält - wo immer diese Gesellschaft in Erscheinung tritt.

Und damit hat das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes weit über den Anlaßfall hinaus Bedeutung.

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