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Etikettenschwindel

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Wenn der Inhalt einer Konserve nicht hält, was das Etikett versprach, schreitet die Lebensmittel-kontrolle ein. Zum mindesten kann der Käufer im Normalfall die Firma wechseln. Das Etikett der Republik Österreich ist seine Verfassung, ergänzt durch die mit Verfassungsrang ausgestatteten Gesetze. Was kann der Bürger tun, wenn die politische Praxis nicht hält, was dieses Etikett verspricht?

Einige Beispiele gefällig?

Im Vorjahr wurde das Bekenntnis zur umfassenden Landesverteidigung — einstimmig verabschiedet — in die Verfassung aufgenommen. Die steigenden Zahlen der Bewerber für die Offiziers- oder Unteroffizierslaufbahn, das Echo auf die Veranstaltungen des Bundesheeres am Nationalfeiertag scheinen zu bestätigen, daß man im Volk dieser Erklärung, diesem Etikett glaubt. Der Inhalt der Dose aber läßt zu wünschen übrig: keinerlei Ansätze für die Durchführung der flankierenden Maßnahmen, der wirtschaftlichen Landesverteidigung. Wo bleiben die Vorratslager, ohne die jede Verteidigung zur Farce wird? Wo bleibt der Zivilschutz? Durch die Sparmaßnahmen des — einfachgesetzlichen — Budgets kann jede verfassungsmäßige Verpflichtung ad absurdum geführt werden.

Dann: Der Grundsatz von der Unabhängigkeit des österreichischen Rundfunks wurde — als einziger Teil der Reform — ebenfalls einstimmig als Verfassungsgesetz verankert. Hier nagt der Wurm von der andern Seite. Nicht die Unterlassung folgerichtiger Durchführung wie bei der Landesverteidigung läßt den Inhalt zu schimmeln beginnen. Hier ist es die medienfremde, durch das gegenseitige Mißtrauen genährte und durch ein fehlkonstruiertes System immer wieder von neuem ermunterte Einstellung beider Großparteien. Sie erzeugt eine Atmosphäre der Verunsicherung und ist damit schuld daran, daß die Unabhängigkeit des Rundfunks auf dem Papier stehen bleibt. Alle Versicherungen, es dürfe kein äußerer Einfluß auf Redakteure und Programmgestalter ausgeübt werden, bleibt hohl, wenn am praktischen Beispiel vorexerziert wird, wie mit manipulierten Protesten mißliebige Gestalter „fertiggemacht“ werden sollen. Damit steht die heute verfassungsmäßig verankerte Rundfunkunabhängigkeit auf viel schwächeren Beinen als jene der Bacher-Ära, obwohl diese „nur“ auf einem liberalen Gesetz und der Härte des Generalintendanten ruhte. Davon dürften sich inzwischen Produzenten wie Konsurnenten überzeugt haben.

Dritter Punkt: die Freiheit der Wissenschaft. Auch sie steht in der Verfassung. Hier gehen die Meinungen auseinander, ob sie durch die Formulierungen des Universitäts-organisationsgesetzes verletzt wird oder nicht — eine wesentlich subtilere Frage als in den vorher genannten Bereichen. Die Berufung des drittgereihten Kandidaten, ohne daß mit den ersten beiden verhandelt worden wäre, ist durch das UOG — einfachrechtlich — gedeckt. Bedeutet sie aber nicht eine Verletzung der Freiheit der Wissenschaft, die eben auch im Selbstergänzungsrecht der Universität ihren Ausdruck findet? Ist die drittelparitätische Zusammensetzung der Studienkommissionen verfassungswidrig? Diese Frage wird den Verfassungsgerichtshof wohl noch weiter beschäftigen müssen, auch wenn er einen ersten Antrag des Verwaltungsgerichtshofes aus formalen Gründen abgewiesen hat. Daß auch und gerade im Forschungsbereich die verfassungsmäßige Freiheit der Wissenschaft durch das einfachgesetzliche Budget ausgehungert werden kann, liegt schließlich auf der Hand.

Ein vierter Punkt reift heran: die Volksanwaltschaft, vulgo Ombudsmann. „Mehr Rechtsschutz für den Staatsbürger“, lautet das Etikett, mit dem geworben wird. Die Ingredienzien des Inhalts sind in den vergangenen Jahren schon stark verändert worden. Der nun vorliegende Entwurf wird von Fachleuten aber eher als erster Schritt zum Abbau einer freien, von Staat und Parteien unabhängigen Anwaltschaft angesehen, ohne daß dadurch der Beschwerdeführer mehr Aussicht auf sein Recht hätte, als er heute schon besitzt.

In Österreich hat man sich zu sehr daran gewöhnt, daß die „Realverfassung“ nicht mit der gesatzten übereinstimmt. Herr Karl verläßt sich zu sehr darauf, daß man „keinen Richter brauchen“ werde. Wir sollten uns wieder bewußt werden, daß die Verfassung eine Norm ist, auf die sich eine überzeugende Mehrheit der politischen Vertreter unseres Volkes geeinigt hat; daß sie mehr ist als ein Fetzen Papier, über den man nach Belieben hinweggehen kann, wenn er einem nicht in den augenblicklich gültigen Kram paßt. Die Folgen solcher Mißachtung haben wir — zum mindesten die Älteren unter uns — schon zu spüren bekommen.

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