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Der direkten Demokratie eine Chance

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Wie die FURCHE bereits mehrfach berichtete, halten namhafte Juristen das „Bundesgestz über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwenten-dorf)“ für verfassungsmäßig bedenklich. Heute geben wir - in Fortsetzung dieser Diskussion - zwei konträren Meinungen zu diesem Thema Raum. Sie stammen von Univ.-Prof. Manfried Welan, dem Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien, und Dr. Peter Kostelka, dem Klubsekretär der SPÖ im Parlament.

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Wie die FURCHE bereits mehrfach berichtete, halten namhafte Juristen das „Bundesgestz über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwenten-dorf)“ für verfassungsmäßig bedenklich. Heute geben wir - in Fortsetzung dieser Diskussion - zwei konträren Meinungen zu diesem Thema Raum. Sie stammen von Univ.-Prof. Manfried Welan, dem Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien, und Dr. Peter Kostelka, dem Klubsekretär der SPÖ im Parlament.

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Seit Jahren klagen Rechtswissenschaftler über eine zu geringe Berücksichtigung der direkten Demokratie in der Verfassungsordnung Österreichs. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, wenn nun manche dieser Juristen angesichts der ersten Volksabstimmung in Österreich verfassungsrechtliche Bedenken gegen das der Abstimmung zugrunde liegende Gesetz anmelden.

Das „Bundesgesetz über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf)“ enthält zwei Regelungen:

• Kernkraftwerke dürfen in Österreich grundsätzlich nur auf Grund eines besonderen Bewilligungs-Gesetzes in Betrieb genommen werden. Eine solche Bewilligung darf vom Nationalrat nur erteilt werden, wenn dies aus gesamtstaatlicher, volkswirtschaftlicher oder energiepolitischer Sicht, sowie unter Bedachtnahme auf die technische und gesundheitliche Sicherheit, vertretbar ist. Ein solches Bewilligungs-Gesetz ersetzt jedoch keineswegs alle notwendigen Verwaltungs-Bescheide, die beispielsweise von den Bau-, Umweltschutz-, Strahlenschutz-und Gesundheitsbehörden zu erlassen sind, sondern stellt neben diesen eine weitere Voraussetzung für die Inbetriebnahme eines Kernkraftwerkes dar.

• Das der Volksabstimmung zugrunde liegende Gesetz erteilt, in Entsprechung der eben dargestellten Verpflichtung, für die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf die bundesgesetzliche Bewilligung.

Die Bedenken gegen dieses Bundesgesetz ranken sich in erster Linie um die ausdrückliche Nennung des Kernkraftwerkes Zwentendorf, die das Gesetz zu einem Maßnahmen- öder Indi-vidualges'etz macht. Die Kritiker des Gesetzes sprechen dem Nationalrat, der klassischen Theorie Montesquieus von der Trennung der Staatsgewalten folgend, das Recht ab, auf den Einzelfall abgestellte individualisierte Maßnahmen in Gesetzesform zu treffen.

Die österreichische Bundesverfassung verwirklicht zweifelsfrei den Gedanken der Gewaltentrennung, auch wenn sie dies nur hinsichtlich der Trennung von Justiz und Verwaltung ausdrücklich ausspricht. Unsere Verfassung hat hiebei aber, wie nahezu alle modernen demokratischen Verfassungen der Welt, das traditionelle Konzept von der Trennung der drei gleichgeordneten Gewalten überwunden und die Verwaltung und Gerichtsbarkeit der Gesetzgebung untergeordnet. Kelsen sprach in diesem Zusammenhang von „einer repräsentativen Demokratie mit ausgeprägter Parlamentsherrschaft“. Justiz und Verwaltung dürfen nur auf Grund der Gesetze handeln. Das Parlament, neben der Gesetzgebung noch mit umfangreichen Kontroll-, Informations- und

Mitwirkungsrechten an der Vollziehung ausgestattet, überragt die beiden anderen Gewalten. Ein eng begrenzter Eingriff des Gesetzgebers im Vollzugsakt stellt daher systematisch^ noch keine Verfassungswidrigkeit dar. Mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung, wie er in der österreichischen Bundesverfassung verwirklicht ist, läßt sich daher ein Maßnahmen- oder Individualgesetz sehr wohl vereinbaren.

Die Rechtsordnung des demokratischen Österreich wies von Anbeginn an zahlreiche Individual- und Maßnahmengesetze auf. Es seien hier nur die Bundesstraßengesetze, das Bundesgesetz über die Akademie der Wissenschaften, die Verstaatlichungsgesetze, das ORF-, das ÖIAG-, die Fusionsgesetze für Verstaatlichte Unternehmungen und die Gesetze zur Verselbständigung verschiedener Bundesbetriebe als einige Beispiele genannt.

Angesichts dieser zahlreichen Fälle von Maßnahmen- oder Individualgesetzen ist es dem Verfassungsgerichtshof auch nicht erspart geblieben, sich mit der Verfassungsmäßigkeit solcher Gesetze zu beschäftigen. 1956 hat er daher ausdrücklich, im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung, die „Zulässigkeit des Individualgesetzcs“ in unserer Rechtsordnung bejaht.

Schließlich wurde aber in der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der „Lex Zwentendorf noch die Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter behauptet. Es mag sein, daß dieses Argument bis zur Verfassungsnovelle 1975 zu Recht erhoben worden wäre; stand doch bis dahin dem Staatsbürger keine Möglichkeit offen, sich gegen ein Gesetz oder eine Verordnung zur Wehr zu setzen, die für ihn unmittelbar, also ohne Bescheid oder Gerichtsurteil, wirksam wurden. Seit Inkrafttreten der Novelle steht jedoch jedermann bei Vorliegen einer solchen unmittelbaren Betroffenheit von einem Bundesgesetz die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes offen.

Es ist somit nicht nur legitim, sondern auch sinnvoll, wenn eine Maßnahme von grundsätzlicher Bedeutung sowie großer politischer Sensibilität, wie dies eben bei der Inbetriebnahme eines Kernkraftwerkes der Fall ist, zusätzlich zu den übrigen behördlichen Bewilligungen noch von der Zustimmung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers abhängig gemacht wird. Ebenso legitim ist es aber auch, wenn der Nationalrat, angesichts der Unmöglichkeit einer sachlichen Diskussion und einer ausschließlich sachorientierten Entscheidung im Plenum, diese Frage, die sich tatsächlich auf eine einfache alternative Sachentscheidung reduzieren läßt, dem Bundesvolk zur endgültigen Entscheidung vorlegt.

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