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Volksabstimmung, Volksbegehren, Volkssouveränität

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Die österreichische Bundesverfassung beginnt mit der Feststellung: .Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus. Die volle Erfüllung des Ideals der Mitwirkung des Volkes an der Staatsführung ist freilich nur in der antiken Demokratie möglich gewesen. Als jedoch im 19. Jahrhundert nach einer langen Zeit autoritärer Regie- rungsformen das Bürgertum meist auf revolutionärem Wege das Mitregierungsrecht des Volkes erkämpfte, waren die Staaten entweder durch die politische Einigung einer Nation — wie beispielsweise Frankreich — oder durch erfolgreiche Hausmachtpolitik einer Dynastie — wie das alte Österreich-Ungarn — zu großflächigen und menschenreichen Gemeinschaftsorganisationen geworden. Da also eine unmittelbare Beteiligung des Volkes an der Staatsführung in den neuzeitlichen Staaten nicht möglich ist, basiert die moderne Demokratie auf dem System, eine bestimmte Anzahl von gewählten Volksvertretern an Stelle des gesamten Volkes mit der Gesetzgebungsgewalt zu betrauen, die obersten Organe der Regierung entweder gegenüber der Volksvertretung oder gegenüber dem Gesamtvolke verantwortlich au halten und in Form der Geschworenengerichte auch eine möglichst große Anteilnahme des Volkes an der Rechtsprechung herbeizuführen.

In fast allen Verfassungen westeuropäischer Demokratien ist die Volkssouveränität als Wesensbestandteil der Verfassungsurkunden festgelegt. Die Idealform eineT .Staatsführung mit dem Volk, durch das Volk und für das Volk wurde von den modernen Verfassungssdiöpfem immer wieder versucht Dabei wird interessanterweise die Stellung der Parteien im Staatsleben verfassungsrechtlich kaum jemals geregelt. Vielleicht hat gerade dieser Umstand mit dazu beigetragen, daß heute zwischen Volk und Staat eine bedauerliche Kluft aufgerissen wurde. Der Staatsbürger findet beinahe keinen unmittelbaren Zugang zum Staate mehr, sondern alle Wege führen über die politischen Parteienl Die österreichische Bundesverfassung kennt grundsätzlich zwei Wege der unmittelbaren Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung. Im Artikel 41 ist festgelegt, daß jeder von 200.000 Stimmberechtigten oder von je der Hälfte der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) von der Bundesregierung dem Nationalrat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vorzulegen ist. Gemäß Artikel 43 ist einer Volksabstimmung jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrats vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrats es verlangt. Diese Bestimmungen sind dem sozialdemokratischen Verfassungsentwurf in der Konstituierenden Nationalversammlung vom 7. Juli 1920 entnommen. An sich sollte durch die beiden Einrichtungen — Volksabstimmung und Volksbegehren — eine Kontrolle des parlamentarischen Gesetzgebers durch das Volk ermöglicht werden. Die konkrete Regelung erreicht diesen Zweck jedoch nur sehr unvollkommen. Das Schicksal eines Volksbegehrens hängt derzeit noch vollständig von der Beschlußfassung des Nationalrats ab, der es verwerfen kann, ohne daß hiefür auch nur eine erhöhte Beschlußfähigkeit erforderlich wäre. Gesetzentwürfe, für die sich keine Mehrheit im Nationalrat findet, können daher derzeit nicht Geltungskraft erhalten, selbst wenn sich die Mehrheit des Volkes dafür aussprechen würde.

Ein Beispiel von theoretischem Wert — nicht anders sei es verstanden — liefert hiefür die parlamentarische Diskussion über die sogenannte .Lex Starhemberg“. Würde der Gesetzesantrag Dr. Schärf und Genossen kompromißlos von der Mehrheit des Nationalrats abgelehnt werden, so stünde der Minderheit auf Grund der gegenwärtigen Verfassungssituation keinerlei Appellationsmöglichkeit an das Volk offen. Eine Volksabstimmung im Sinne des Artikel 43 der Bundesverfassung ist unmöglich, weil ein Gesetzes- beschluß ja nicht zustande kommt, vielmehr der Beschluß des Nationalrats dahin lauten würde, kein Gesetz zu beschließen. Ein Volksbegehren zu inszenieren, wäre im gegenständlichen Fall deshalb sinnlos, weil bereits eindeutig festzustehen scheint, daß sich für einen solchen Gesetzentwurf keine parlamentarische Mehrheit finden läßt.

Auf Grund der in Geltung stehenden Bundesverfassung können die vom Ministerrat am 19. Februar beschlossenen und dem Parlament zugeleiteten Gesetzesvorlagen nur Durchführungsregeln zu den erwähnten Verfassungsbestimmungen enthalten. Es liegt jedoch dem Nationalrat ein Gesetzesantrag der Abgeordneten Ing. Raab, Dr. Maleta, Doktor Bode und Genossen vor, der eine Abänderung und Ergänzung der Bundesverfassung zum Zwecke der Einführung von Volksabstimmungen zur unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk beinhaltet. Nach diesem Antrag sollen 500.000 Stimmberechtigte oder die Hälfte der Stimmberechtigten von fünf Ländern oder zwei Fünftel der Mitglieder des Nationalrats oder drei Fünftel der Mitglieder des Bundesrats mittels eines Antrags an den Bundeskanzler ver langen können, daß ein Gesetzesvorschlag zur unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk einer Volksabstimmung unterzogen wird. Ein solcher Volksbeschluß wäre vom Bundespräsidenten sofort mit der vollen Wirksamkeit eines Gesetzes beziehungsweise eines V erfassungsgeset- z e s zu beurkunden und hernach kundzumachen.

Eine Weiterbildung unserer Verfassung in diesem Sinne würde jedenfalls dem Grundsatz entsprechen, daß das Recht unseres Staatswesens vom Volke ausgeht. Wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß Volksbeschlüsse dann problematisch sind, wenn zur Beurteilung der einer Volksabstimmung unterzogenen Frage besondere Fachkenntnisse erforderlich wären, oder wenn sich solche Volksabstimmungen in den Formen eines Wahlkampfes abspielen würden.

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