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Erinnerungen an den Fall Zwentendorf

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In einer Posse Johann Nestroys träumt jemand, daß er gefragt wird: „Sagen Sie mir, was ist das Volk?“ Und er antwortet: „Das Volk is ein Ries' in der Wiegen, der erwacht, aufsteht, herumtargelt, alles zusamm'tritt und am End' wo hineinfallt, wo er noch viel schlechter liegt als in der Wiegen.“ Geht es uns nicht so nach der Zwentendorf-Abstim-iUm mung? Wartet das Volk nicht darauf, daß es wieder in die warme Wiege gelegt und geschaukelt wird?

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In einer Posse Johann Nestroys träumt jemand, daß er gefragt wird: „Sagen Sie mir, was ist das Volk?“ Und er antwortet: „Das Volk is ein Ries' in der Wiegen, der erwacht, aufsteht, herumtargelt, alles zusamm'tritt und am End' wo hineinfallt, wo er noch viel schlechter liegt als in der Wiegen.“ Geht es uns nicht so nach der Zwentendorf-Abstim-iUm mung? Wartet das Volk nicht darauf, daß es wieder in die warme Wiege gelegt und geschaukelt wird?

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Als Nestroy 1849 mit jener Posse vor die Öffentlichkeit trat, war die Volksherrschaft des Jahres 1848 vorbei. Die Staatsgewalt ging nicht mehr vom Volk aus. Heute wie vor einem Jahr geht aber das Recht unserer Republik vom Volk aus. Es mag vielleicht Zivilcourage sein, wenn nicht einmal ein Jahr nach dem Veto des Volkes zum Zwentendorf-Gesetz wieder ein Votum des Volkes zu einem neuen Zwentendorf-Gesetz zur Diskussion gestellt wird. Aber der politische Gang der Ereignisse spricht dagegen, jetzt eine dritte Lex Zwentendorf zu beschließen und dem Volk zur Abstimmung vorzulegen.

Der Fall Zwentendorf ist ein Einstiegs- und Anschauungsfall für die politische Bildung geworden. Erinnern wir uns: Eine Einigung der im Nationalrat vertretenen Parteien auf breiter Basis über die Frage der Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes kam nicht zustande. Zur besonderen Legitimation blieb nur der Weg ins Volk offen.

Ursprünglich war allerdings die Atomfrage gerade für die Führung der SPÖ keine Frage einer Volksabstimmung gewesen. Erst die Parteien- und Parteidivergenzen und das Wissen um die voraussichtliche sichere Mehrheit für Zwentendorf ließ die Volksabstimmung zum Instrument der Regierungspartei werden.

Die vom Nationalrat einstimmig beschlossene Volksabstimmung war ein politischer Ausweg und Umweg der Parteien, gleichsam nach dem Motto: Die Regierung ist demokratisch, das Parlament ist demokratischer, das Volk ist am demokratischsten. Aus „totem Verfassungsrecht“ wurde „lebendiges Verfassungsrecht“.

Vor der Volksabstimmung wurde von Juristen betont, daß ,ja“ und

„nein“ zum Zwentendorfbeschluß rechtlich das gleiche bedeuten würden. Bei einem positiven Ergebnis der Volksabstimmung hätte sich die verwaltungsrechtliche Situation des Kernkraftwerkes Zwentendorf nicht geändert. Das „Ja“ hätte zwar eine zusätzliche Bewilligung bedeutet, sie wäre aber gleichzeitig erteilt worden.

Nach dem „Nein“ hätte die Betriebsbewilligung auf Grund der Verwaltungsrechtslage durchaus erteilt werden können. Denn das Veto des Volkes zum Gesetzesbeschluß hatte rechtlich nur zur Konsequenz, daß die in ihm vorgesehene zusätzliche Erlaubnis gar nicht notwendig geworden ist. Die Inbetriebnahme weiterer Kernkraftwerke wäre auf Grund der Struktur des Gesetzesbeschlusses durch das „Nein“ sogar leichter geworden als durch ein „Ja“.

Nun war aber die Gemeinschaftskernkraftwerk Tullnerfeld Ges. m. b. H. als Sondergesellschaft nach dem Zweiten Verstaatlichungsgesetz in das polit-administrative System eingebunden. Dementsprechend schlug sich die Entscheidung vom 5. November 1978 unmittelbar darauf in Entscheidungen der Gesellschafter und Gesellschaftsorgane ebenso nieder wie in der Regierungspartei und im Parlament. Nach der Volksabstimmung hat die Gemeinschaftskernkraftwerk Tullnerfeld Ges. m. b. H. nicht mögliche Rechtsmittel ergriffen, sondern beschlossen, daß alle Arbeiten am Kernkraftwerk eingestellt werden. Sie hat auch nicht das verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche „Atomsperr-Gesetz“ angefochten.

Am 15. Dezember 1978 wurde das sogenannte „Atomsperrgesetz“ (Gesetz über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich) vom Nationalrat einstimmig beschlossen. Ohne auf die verfassungsrechtliche Problematik dieses Gesetzes einzugehen, soll nur festgestellt werden, daß keine der im Parlament vertretenen Parteien

über diesen Gesetzesbeschluß eine Volksabstimmung verlangte. Der Beschluß über die friedliche Nutzung der Kernenergie wurde einer Volksabstimmung unterworfen, der Beschluß über das Verbot der Nutzung nicht

Die Volksabstimmung vom 5. November 1978 wurde als direktes imperatives Mandat des Volkes an das Parlament gedeutet Rechtlich sind die Abgeordneten in Ausübung ihres Berufes an keinen Auftrag gebunden. Allerdings standen rechtliche, rechts staatliche Erwägungen in der Diskussion nie im Vordergrund. Aber eine Verfassung der Freiheit hat ihre eigene Logik und Konsequenz.

Im Fall Zwentendorf konnte man die Volksabstimmung vom 5. November 1978 als„Münchhauseniade“ der politischen Parteien deuten. Die Energieprobleme wurden zwar mit der Abstimmung nicht gelöst. Einstimmig beschloß aber das Parlament das „Atomsperrgesetz“.

Einige Zeit später wurde von Parteiführern der Gedanke diskutiert, dieses einfache Gesetz in den Rang eines Bundesverfassungsgesetzes zu erheben. Das war möglicherweise von der österreichischen Staatspraxis her konsequent. Denn nach ihr ist die Verfassung nicht so sehr die rechtliche Grundordnung für Individuum und Gemeinwesen, sondern der fest- und fortgeschriebene Kontrakt der beiden Großparteien, der ihren grundlegenden Konsens und ihre täglichen Kompromisse absichert.

Dieser Umgang mit der Verfassungsform ist nicht unbedenklich; im Fall des „Atomsperrgesetzes“ ist er entbehrlich.

Noch weniger aber wäre - auch das wurde erwogen - für eine Aufhebung dieses Gesetzes von Verfassungs wegen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Für eine allfällige Aufhebung wurden in der Öffentlichkeit zwei Varianten vorgeschlagen: Im Parlament müßte ein Gesetzesentwurf ber treffend die Nutzung der Kernenergie mit allen nur denkbaren Sicherheitsvorschriften eingebracht und -mit welcher Mehrheit auch immer -beschlossen werden. Dieser Gesetzesbeschluß wäre im Sinne einer spiegelbildlichen Vorgangsweise einer Volksabstimmung zu unterziehen. 1)

Eine andere Variante bietet den Schlüssel für die „Sanierung der Tragödie von Zwentendorf“ und lautet einfach auf Aufhebung des 2. Satzes des Atomsperrgesetzes.2) Dies wäre auch eine verfassungsrechtliche Sanierung dieses Gesetzes. Im Sinne des „contrarius actus“ müßte aber wohl auch hier eine Volksabstimmung erfolgen.

Da die Energieproblematik nicht gelöst ist, liegt es in der Konsequenz einer Verfassung der Freiheit, daß die Frage immer wieder neu diskutiert wird. Derzeit hat sie politisch wieder an Aktualität verloren, weil im „politischen Polylog“ zu viele Gegenstimmen laut geworden sind.

(Der Autor ist Rektor der Universitätfür Bodenkultur und Vorstand des Instituts für Rechtswissenschaften)

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