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Ja und Nein bedeuten rechtlich das gleiche

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Der Zwentendorf-Gesetzentwurf, der vom Nationalrat beschlossen wurde und einer Volksabstimmung am 5. November unterzogen werden soll, enthalte schwere'Mängel, „die ihn weithin verfassungswidrig erscheinen lassen und außerdem eine rechtspolitisch äußerst bedenkliche Neuerung in der österreichischen Gesetzgebungspraxis bedeuten“. Das Institut der Volksabstimmung werde im konkreten Fall „gänzlich pervertiert“, da man das Volk im Wege einer Volksabstimmung über die Arbeitsweise des Nationalrates abstimmen lasse, „wozu die österreichische Bundesverfassung nicht die Volksabstimmung, sondern die periodisch wiederkehrende Wahl der Abgeordneten zum Nationalrat vorgesehen hat“. Dies ist nicht der polemische Kommentar eines Politikers, sondern das Ergebnis des ersten juridischen Gutachtens zum Zwentendorf-Gesetz, welches DDr. Karl Lengheimer vom Verfassungsdienst der niederösterreichischen Landesregierung ausgearbeitet hat. Inoffiziell hatte bereits der Leiter des Verfassungsdienstes beim Bundeskanzleramt, Sektionschef Dr. Ludwig Adamovich, Bedenken geäußert, ob der Gesetzentwurf als „klares Beispiel für ein Maßnahmen- oder Individualgesetz“ dem Prinzip der Gewaltentrennung entspreche. Daß Adamovich vom Bundeskanzler offiziell 1 zu einem Gutachten aufgefordert wird, darf vorläufig bezweifelt werden.

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Der Zwentendorf-Gesetzentwurf, der vom Nationalrat beschlossen wurde und einer Volksabstimmung am 5. November unterzogen werden soll, enthalte schwere'Mängel, „die ihn weithin verfassungswidrig erscheinen lassen und außerdem eine rechtspolitisch äußerst bedenkliche Neuerung in der österreichischen Gesetzgebungspraxis bedeuten“. Das Institut der Volksabstimmung werde im konkreten Fall „gänzlich pervertiert“, da man das Volk im Wege einer Volksabstimmung über die Arbeitsweise des Nationalrates abstimmen lasse, „wozu die österreichische Bundesverfassung nicht die Volksabstimmung, sondern die periodisch wiederkehrende Wahl der Abgeordneten zum Nationalrat vorgesehen hat“. Dies ist nicht der polemische Kommentar eines Politikers, sondern das Ergebnis des ersten juridischen Gutachtens zum Zwentendorf-Gesetz, welches DDr. Karl Lengheimer vom Verfassungsdienst der niederösterreichischen Landesregierung ausgearbeitet hat. Inoffiziell hatte bereits der Leiter des Verfassungsdienstes beim Bundeskanzleramt, Sektionschef Dr. Ludwig Adamovich, Bedenken geäußert, ob der Gesetzentwurf als „klares Beispiel für ein Maßnahmen- oder Individualgesetz“ dem Prinzip der Gewaltentrennung entspreche. Daß Adamovich vom Bundeskanzler offiziell 1 zu einem Gutachten aufgefordert wird, darf vorläufig bezweifelt werden.

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Nach der Bundesverfassung, heißt es im Gutachten Leng-heimers, kann eine Volksabstimmung nur über Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates abgehalten werden. Eine Volksabstimmung über Maßnahmen der Vollziehung sei nicht vorgesehen. Daher sei es erforderlich gewesen, „einen Gesetzesbeschluß, über den die Volksabstimmung stattfinden kann, zu konstruieren, obwohl die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung des Betriebes eines Kernkraftwerkes ausschließlich durch jene Verwaltungsbehörden zu erfolgen hätte, die nach den Gesetzen, welche Bestimmungen über die nötigen Erfordernisse eines Kernkraftwerkes enthalten, zur Vollziehung berufen sind“.

In § 1 des Gesetzentwurfes bestimmt der Gesetzgeber, daß für die Inbetriebnahme des Atommeilers neben den sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ergebende behördlichen Bewilligungen noch eine Bewilligung durch Bundesgesetz erforderlich sei.

Im § 2 des Gesetzes wird sodann diese Bewilligung für das Kernkraftwerk Zwentendorf ausdrücklich erteilt. Dazu Lengheimer: „Der Gesetzgeber beschreitet damit einen in der bisherigen Gesetzespraxis durchaus unüblichen Weg.“ Damit meint der Gutachter nicht nur den Umstand, daß der Gesetzgeber neue Voraussetzungen für die Inbetriebnahme aufstellt, nachdem das Kernkraftwerk beinahe fertiggestellt ist und die meisten Bewilligungen erteilt wurden; auch sei es fragwürdig, ob die Kriterien für die Inbetriebnahme (gesamtstaatliche und energiepolitische Sicht, Bedacht-nahme auf Gesichtspunkte technischer und gesundheitlicher Sicherheit) dem „rechtsstaatlichen Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit von Gesetzen“ standhielten.

Als „beachtenswerte Neuerung in der Gesetzgebungspraxis“ müsse aber die Tatsache angesehen werden, „daß der Gesetzgeber im Vorliegenden Fall sich selbst den Auftrag erteilt, die Erlaubnis zu einem bestimmten Handeln (Errichtung eines Kernkraftwerkes) unter bestimmten Kriterien im Einzelfall zu geben, und diese Erlaubnis in einem solchen Einzelfall (Kernkraftwerk Zwentendorf) im gleichen Gesetz auch gibt. Diese Vorgangsweise scheint nicht nur dem geltenden Verfassungsrecht zu widersprechen, sie ist auch rechtspolitisch äußerst bedenklich.“

Den vorliegenden Gesetzentwurf bezeichnet Lengheimer als „Individualgesetz“. Im Sinne der klassischen Teilung der Staatsfunktionen falle die Betriebserlaubnis für Zwentendorf „üblicherweise auf Grund der Gesetzgebung in den Bereich der Verwaltung“. Die Möglichkeit des Gesetzgebers, Individualge-setze zu beschließen, „findet jedoch nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ihre Grenze in dem auch den Gesetzgeber bindenden verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz“. Nach der Judikatur des VGH hege eine Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz dann vor, wenn die Formulierung eines Gesetzes ausschließlich auf den Einzelfall abstelle; „dies ist beim vorliegenden Gesetzesbeschluß, insbesondere beim § 2, der Fall“.

„Noch bedenklicher erscheint jedoch die Inanspruchnahme der Erteilung oder Nichterteilung einer Bewilligung durch den Gesetzgeber im Hinblick auf die damit verbundene Verwehrung der verfassungsgesetzlichen Rechtsschutzeinrichtungen“, heißt es in Lengheimers Gutachten weiter. Damit ist gemeint, daß jedem Bewilligungswerber, der (obwohl die Rechtslage für ihn spricht), einen ablehnenden Bescheid von der zuständigen Verwaltungsinstanz bekommt, der Rechtszug zum Verwaltungsgerichtshof offensteht. Am Beispiel des Zwen-tendorfgesetzes könnte aber ein Minister (anstatt des ablehnenden Bescheides) im Wege einer Regierungsvorlage ein Gesetz initiieren, das für den Bewilligungswerber eine zusätzliche Auflage normiert, und mangels deren Erfüllung die Bewilligung verwei-

gern. Eine Rechtsdurchsetzung beim Verwaltungsgerichtshof, wie sie sonst gegen die Versagung einer Erlaubnis im Einzelfalle durch Bescheid möglich ist, bliebe aber dadurch, daß der Gesetzgeber sich die Erteilung der Erlaubnis selbst vorbehält, verwehrt: „Damit wird in solchen Fällen der verfassungsgesetzlich vorgesehene Rechtsschutz durch einfachgesetzliche Regelung beiseite geschoben.“

Lengheimer stellt in seinem Gutachten weiter fest, der Gesetzgeber begnüge sich nicht mit der Normierung der Inbetriebnahme von Zwentendorf, sondern stelle im § 1 auch noch allgemeine Kriterien für die Inbetriebnahme von Kernkraftwerken auf: „Man könnte nun die Frage stellen, warum der Gesetzgeber hier den komplizierteren Weg geht und zunächst Kriterien aufstellt, bei deren Erfüllung er die Inbetriebnahme eines Kernkraftwerkes genehmigen wolle und dann im weiteren Text des Gesetzes diese Genehmigung für den Fall Zwentendorf erteilt, anstatt lediglich die Betriebsgenehmigung für Zwentendorf zu normieren. Ein Auftrag des Gesetzgebers an sich selbst, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine bestimmte Weise gesetzgeberisch tätig zu werden, ist rechtlich völlig bedeutungslos, da der Gesetzgeber ein von ihm erlassenes Gesetz jederzeit aufheben oder abändern kann und daher an einen solchen Auftrag an sich selbst nicht gebunden ist.“

Solche „Selbstbindungsgesetze“ könnten äußerstenfalls als Versprechen des Gesetzgebers gewertet werden, in Zukunft bestimmte Gesetzgebungsakte zu setzen. Dies sei hier aber auch nicht der Fall, da die im § 1 erwähnte Erlaubnis im § 2 sofort erteilt werde. Lengheimer schließt daraus, daß der Gesetzgeber eben nicht nur die Betriebsbewilligung für Zwentendorf erteilen, sondern gleichzeitig im Gesetz zum Ausdruck bringen wollte, „aus welchen Erwägungen heraus er diese Erlaubnis erteilt hat“.

Es sei zwar üblich, solche Gedankengänge im Motivenbericht zum Gesetz darzulegen - nicht aber im Gesetz selbst: „Sollte dieser Gesetzesbeschluß über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf durch eine positive Volksabstimmung Gesetzeskraft erlangen, bedeutet dies, daß durch Bundesgesetz festgelegt ist, daß das gesetzgebende Organ auf Gesichtspunkte technischer und gesundheitlicher Sicherheit Bedacht genommen hat.“ Sollte sich aber im Nachhinein herausstellen, daß die Inbetriebnahme von Zwentendorf gemäß der im Gesetz aufgeführten Kriterien nicht zu verantworten war, wäre dies vielleicht wissenschaftlich beweisbar, aber kurioserweise gesetzwidrig: „Dieser Fall, daß der Gesetzgeber sich selbst mit Gesetz ein .richtiges Verhalten' bestätigt, ist nicht nur einmalig in der Gesetzgebungspraxis, er ist auch verfassungsrechtlich bedenklich.-“

Die Gesetzgebung habe in unserer Verfassung die Funktion „generell abstrakte Anordnungen“ zu erstellen. Im § 1 werde aber, betont Lengheimer, überhaupt keine Anordnung getroffen, der Gesetzgeber bestätige sich vielmehr selbst in verbindlicher Form, aus gesamtstaatlicher und energiepolitischer Sicht gehandelt und auf Gesichtspunkte technischer und gesundheitlicher Sicherheit Bedacht genommen zu haben: „Eine solche Vorgangsweise kann nicht als .Gesetz' im Sinn unserer Bundesverfassung angesehen werden, und es muß daher die Kompetenz der gesetzgebenden Organe zur Fassung solcher Beschlüsse in Gesetzesform bezweifelt werden.“

Zu den Konsequenzen aus dem Resultat der Volksabstimmung meint Lengheimer in seinem Gutachten, daß eine positive Volksentscheidung rechtlich noch keineswegs die Inbetriebnahme von Zwentendorf ermögliche. Die Erlaubnis durch den Gesetzgeber, die der Volks-

abstimmung unterzogen wird, ändere auf Grund des Wortlautes des § 1 des Gesetzes („außer den auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen erforderlichen behördlichen Bewilligungen“) nichts daran, daß nach anderen Gesetzen, wie etwa dem Strahlen-schutzgesetz, auch weiterhin auf die Gewährleistung der gesundheitlichen Sicherheit Bedacht zu nehmen ist.

Mit anderen Worten: „Am Stand des Verfahrens über die Bewilligung des Kernkraftwerkes Zwentendorf hat sich rechtlich durch die Durchführung der Volksabstimmung und ihr bejahendes Ergbebnis überhaupt nichts geändert.“ Umgekehrt bedeute eine Ablehnung des Gesetzes nicht, daß die Betriebsbewilligung auf Grund der derzeit geltenden Rechtslage nicht erteilt werden könnte, „sondern nur, daß die in dem Gesetzesbeschluß vorgesehene zusätzliche Erlaubnis ... nicht notwendig ist.“ Auch in diesem Falle trete das Verfahren über die Inbetriebnahme in den Zeitpunkt zurück, „in dem es sich vor Durchführung der Volksabstimmung... befunden hat“.

Durch die Formulierung des Gesetzesbeschlusses, betont Lengheimer, „wird somit dem Volk rechtlich überhaupt keine Möglichkeit eingeräumt, über die Inbetriebnahme oder Nicht-inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf zu entscheiden, ja es ergibt sich sogar die groteske Situation, daß ein Ja und ein Nein zum vorliegenden Gesetzesbeschluß rechtlich das gleiche bedeuten, da ein Ja eine zusätzliche Bewilligung einführt, die aber gleichzeitig erteilt ist und ein Nein eben eine solche zusätzliche Bewilligung nicht erfordert, ohne daß deshalb die Bewilligung des Kernkraftwerkes unmöglich gemacht ist.“

So kommt Lengheimer zu dem eingangs schon zitierten Schluß, daß die Zwentendorf-Volksabstimmung letztlich nichts anderes als eine Abstimmung über die Arbeitsweise des Nationalrates sei.

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