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Das Volk als Gesetzgeber

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Der ins Grundsätzliche reichende Unterschied, der zwischen dem namens der Bundesregierung dem Nationalrat vorgelegten Gesetzentwurf und dem Antrag der Volkspartei über die Verwirklichung der in der Verfassung schon längst versprochenen Mitwirkung des gesamten wahlberechtigten Staatsvolkes an der Gesetzgebung aufklafft, könnte Besorgnis um das Schicksal des gesetzgeberischen Aktes erwecken, der als Verfassungsbestimmung eine qualifizierte Mehrheit, also das Zusammenfinden der beiden Koalitionspartner anfordert. Während der Gesetzesantrag der Volksparted die „unmittelbare Demokratie in Form eines direkten Volksentscheids erstrebt, verlangt der Regierungsvorschlag ebenso wie bei der Volksabstimmung auch beim Volksbegehren die entscheidende Mitwirkung des Nationalrats an der Gesetz- werdung eines Willensaktes des Bundesvolkes. Nur wenn der Nationalrat oder wenigstens seine Mehrheit beschließt, einen seiner Gesetzesakte einer Volksabstimmung zu unterbreiten oder im Falle einer Verfassungsänderung von einem Drittel der Mitglieder eines der beiden Häuser des Parlaments die Dokumentation des Willens des Gesamtvolkes verlangt wird, kann dieses zu den Urnen gerufen werden. Und ein Volksbegehren, also eine Gesetzesinitiative aus der Mitte der Bevölkerung, vermag nach dem Regierungsentwurf nur dann zu einem Gesetz zu reifen, wenn das von 200.000 Stimmberechtigten oder von der Hälfte der Stimmberechtigten dreier Länder in Form eines Gesetzentwurfs initiativ vorgebrachte Volksbegehren dem National- rat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vorgelegt wird. Das heißt: Gelänge der Nationalrat in seiner „geschäftsordnungsmäßigen Behandlung“ zu einem ablehnenden Beschluß, so ist das Volksbegehren ins Wasser gefallen. Und damit basta. Da die Zahl von 200.000 Stimmberechtigten nur als Mindestmaß der Voraussetzung für ein Volksbegehren gelten kann, so besagt die Textierung des Regierungsentwurfs, daß das Votum des Nationalrats auch dann das Volksbegehren verwerfen kann, wenn es von einer oder von zwei Millionen oder überhaupt der großen Mehrheit des Bundesvolkes vor gebracht worden ist. Das ist in gewissem Maße Theorie; der Nationalrat wird es sich angesichts Äner großen, durch ein Volksbegehren bekundeten

Volksbewegung überlegen, sich mit dieser in schwerem Widerspruch zu setzen. Aber ein Gesetz darf auch nicht in der Theorie einen solchen Widerspruch zum Volkswillen zulassen.

In auffallender Schüchternheit bleibt die Regierungsvorlage bei dem Formelwesen der Verfassung von 1929/ stehen, einem blutlosen Phantom, das bisher durch unsere Demokratie geirrt ist. Aber der Gesetzesplan der Regierung will ja doch ein wenig weiter in die reale Politik vorstoßen, dabei bemüht, außerordentlich vorsichtig zu sein: dem Parlamentarismus soll kein Abbruch geschehen. Er wird deshalb durch Dornenhecken geschützt. Dem Votum der mindestens Zweimalhunderttausend hat nach dem Entwurf ein Probeverfahren vorauszugehen, ein von mindestens 30.000 Personen mit sehr genauen Personalauskünften der Unterfertiger zu stellender Antrag auf Zulassung des verlangten Volksbegehrens; der Antrag hat an die Haupt- wahlbehÖrde zu ergehen, die drei Wochen zur Prüfung der Unterschriften Zeit hat. Das ist die erste Dornenhecke. Die Einschaltung dieses Spielraums wird das Volksbegehren schon in seiner Wiege einer kritischen Untersuchung aussetzen. Betrachtet die BiH, welche die Regierung auf den Tisch des Hauses gelegt hat, ein Volksbegehren für eine ungebührliche, belästigende Einmischung? Verwundert nimmt man wahr, daß die Antragsteller für das Volksbegehren verhalten werden sollen, „die Anschaffungskosten der Eintragungslisten für ihr Begehren, die in allen Gemeinden aufzulegen sind, sowie die Kosten „für die Versendung an die Eintragungsbehörden" zu tragen. Wie dann, wenn die Antragsteller arme Schlucker sind, die doch dasselbe Bürgerrecht, denselben Anspruch besitzen, ein Begehren aus dem Volke vorzubringen? Oder ist das Recht dieser bescheidenen Volksinitiative, die noch den dichten Filter der „geschäftsordnungsmäßigen Behandlung" ihres Gesetzesantrages im Nationalrat zu passieren haben wird, nur den Wohlhabenden gewährt, den Geldmächtigen, denen es auf einige Millionen nicht ankommt? Denn eine Abstimmung, zu der das ganze Volk aufgerufen ist, in der nicht nur 200.000 mitzureden haben, ist keine billige Angelegenheit. Das ist die zweite Dornenhecke. Der Antrag der Volkspartei setzt für das erstrebte unmittelbare Gesetzesvotum des Volkes ein Verlangen vdn „500.000 Stimmberechtigten oder die Hälfte der Stimmberechtigten von fünf Bundesländern oder zwei Fünftel des Nationalrats oder drei Fünftel des Bundesrats" voraus, ein Verlangen, demzufolge der Bundeskanzler in jedem Fall den betreffenden Gesetzesvorsdilag .der unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk, einer Volksabstimmung" zuzuleiten hat; die Volksabstimmung ist nach diesem Vorschlag von vornherein an die Bedingung gebunden, daß der Gesetzesantrag auch schon die Art der Kostendeckung für die Abstimmung auszusprechen hat; diese Deckung wird gerechterweise in einer allgemeinen Ko6tenverteiIung bestehen.

Die österreichische Gesetzgebung betritt bei dem Willen, die direkte Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung unter bestimmten Voraussetzungen zu organisieren, völliges Neuland. Auch Vorarlberg und Salzburg, die beiden Bundesländer, die nach ihrer Natur am ehesten geeignet sind, das Schweizer, im eigenen Land schon von Kritiken umwitterte Vorbild nachzuahmen, haben die in ihrer Landesverfassung verankerte Volksabstimmung noch nicht verlebendigt. Den Kern des Vorhabens umspinnen schwierige Einzelprobleme. Das Ideal der Demokratie wird der unmittelbare gesetzgeberische Volksentscheid 6ein. Er schließt komplizierte Gesetzesanträge, die nicht mit ja oder nein zu beantworten sind, aus, und es muß vorgebaut sein, daß nicht fehlerhafte Gesetzesanträge un- korrigiert etwa ein Volksvotum erhalten, weil sie einem falschen Begehren der Massen demagogisch schmeicheln.

Der Preis, echte Vertiefung der Demokratie, ihre gesunde Verwurzelung des staatlichen Rechtsorganismus im Bewußtsein der Bevölkerung, ist groß. Dr. Josef A. T z ö b 1 spricht in seiner schönen in den österreichischen Monatsheften" (Jännerheft 1952) veröffentlichten Studie von einem „neuen Weg“, der unserer Jugend, die unserer Demokratie voll Zweifel und Bedenken und Ablehnung gegenübersteht, in die Zukunft gezeigt werden s Il: .... kein Umweg über parlamentarische parteipolitische Zwistigkeit werden ihr in Hinkunft auf dem Wege der Teilnahme am demokratischen Geschehen entgegenstehen.

Wenn der große Preis nicht bei der ersten Annäherung gewonnen wird, so wird man darob das Ziel nicht aufgeben dürfen. Aber es ist nur mit leidenschaftsloser Geduld zu erreichen.

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