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Demokratische Katerstimmung

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Ein alter Volksbrauch will es, daß man im Monat Mai Bäume aufstellt, diese schmückt und umtanzt. Genau das geschah in Wien — freilich mit tieferer Symbolik.

Ein Drittel aller Wahlberechtigten Wiens beteiligte sich an einem zeitgemäß adaptierten Maibaumfest. Des Wieners vielberühmte Bequemlichkeit hin, seine tiefe Uberzeugung, an „diesen Zuständen ohnehin nichts ändern“ zu können, her: genau 57,4 Prozent der Aktivbürger votierten mit „Nein“ zum Universitätsbau im Sternwartepark und meinten dadurch „Ja“ zu einem positiven Umweltschutz.

Freilich ging es nur vordergründig um die Grünlandpolitik der Gemeinde Wien und um den Tod einer mittleren Zahl alter Bäume, um Sauerstoff Spender und grüne Lungen; tatsächlich steht längst Sein oder Nichtsein eines Regierungssystems zur Diskussion, das man allgemein mit dem Namen des Wiener Bürgermeisters zu umschreiben pflegt. Da hilft keine noch so naturverbundene Ubersetzung.

Es stand (und steht wohl auch in Zukunft) also jene Form der Administration auf dem Prüfstand initiativer Bürger, die die eigene Partei mit dem Gemeinwesen verwechselt, die Parteinutz mit Allgemeininteresse gleichsetzt und die letztlich jede Meinung, die im Gegensatz zur parteioffiziellen Aussage steht, als gefährlich und schädigend betrachtet. Es ging folglich um eine in sich geschlossene Funktionärsschicht, die, institutionell abgesichert, längst den Kpntakt zum Souverän einer Demokratie, dem Wähler, verloren hat. Kurz: um all jene Dinge, die Bürgerinitiativen überhaupt provozieren.

In letzter Konsequenz freilich brachte dieses Abstimmungsergebnis alte Größen österreichischer Innenpolitik ins Wanken.

Ein kurzer Blick zurück: Auf der einen Seite stand eine dicht- und wohl organisierte Partei, deren Apparat über einiges verfügt. Auf der anderen Seite, zugegebenermaßen am Boulevard, eine große und, wie es scheint, einige Leserfamilie. Geeint durch den Wunsch um mehr Grün, erweitert um das Ziel: weniger Rot — zumindest in einer von Felix Slavik und Otto Probst vertretenen Intensität. Zwischen vernünftigem Wollen und emotionellem Begehren gelang es den Massenmedien, starre Parteigrenzen aufzubrechen und vorfabrizierte Meinungen als solche darzustellen. Die Ergebnisse der Befragung, gegliedert nach Bezirken, beweisen es.

Aus dem „Fall Sternwartepark“ jedoch ein „Modell Sternwartepark“ destillieren oder gar ein neues Regierungssystem zimmern zu wollen, heißt, den Schritt zur Lichttest-Demokratie herauszufordern. Überspitzt ausgedrückt: es wäre der Ruf nach Nebenregierungen in Pressehäusern und Redaktionsstuben.

Tatsache ist, daß Bürgerinitiativen in jenem Bereich nisten, den Gesetze aussparen und Landesverfassungen unberücksichtigt lassen. So ist Wien nur eine, wenngleich die größte Gemeinde (von rund 260 in ganz Österreich), in der es keinerlei gesetzlich vorgesehene Form der direkten Demokratie als Korrektiv der repräsentativen Demokratie gibt. Da Wien nicht nur Stadt, sondern gleichzeitig auch Bundesland ist, bleiben die Bürger dieser Gemeinde gleich auf zwei Ebenen von aktiver Betätigung und Mitbestimmung ausgesperrt. Zu-

mindest nach dem Willen des Gesetzgebers. So entstehen und entwickeln sich Bürgerinitiativen in der Wiener Luft praeter legem. Und denkt man an die Unterschriftenaktion der Jungen Generation der SPÖ zur Öffnung privater Parks — „Reißt die Mauern im Schwarzenbergpark nieder“ — sogar contra legem.

Hier ist der Ansatzpunkt zur rechtlichen Verankerung von Bürgerinitiativen, genereller: zur gesetzlichen Regelung aller Formen der direkten Demokratie. Nur ein sinnvoll abgestuftes und gesetzlich geregeltes Modell der Mitwirkung des einzelnen an Entscheidungen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene kann den demokratischen Kater, zukünftigen wie gegenwärtigen, verhindern. Endziel ist also ein wohlausgewogenes System von Rechtsvorschriften, das auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Staates dem Wähler maximale Mitsprache und Mitentscheidung einräumt:

• Auf Bundesebene die verfassungsmäßig vorgesehenen Möglichkeiten von Volksabstimmungen und Volksbegehren;

• in den Ländern die Rechtsinstitute Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung, die gleichfalls in den Landesverfassungen, wo dies noch nicht geschehen ist, zu verankern sind; und letztlich

• auf der untersten, der kommunalen Ebene in Rechtsform gegossene Bürgerinitiativen.

Bürgerinitiativen selbst haben wohl nur in einem speziellen Bereich, einem Bezirk etwa, ihre Funktion. Überall sonst kann das Demokratiedefizit durch Abstimmungen, Befragungen und die Vorlage von Gesetzentwürfen (Volksbegehren) abgedeckt werden.

Natürlich müssen Bürgerinitiativen rein zeitlich vorgezogen werden. Mitsprache kann nur dann sinnvoll sein, wenn Planungen noch nicht abgeschlossen und Entscheidungen noch nicht gefällt sind. Bürgervertretern sollte daher künftig das Recht eingeräumt werden, in Akten einzusehen, vom Gemeinderat und seinen Ausschüssen zu den Sitzungen beigezogen und angehört zu werden und Entscheidungsträger zu einem „public-hearing“ zu verpflichten.

Ein Gesetz, „Bürgerinitiativen betreffend“, sollte weiters enthalten, daß den Initiatoren eines Bürgerkomitees für jede gesammelte Unterschrift (ab einer Mindestzahl von 500 etwa) für ein bestimmtes Vorhaben von seiten der Kommune einige Schillinge zu überweisen sind. Dieser Betrag ist zweckgebunden und muß für den Druck von Informationsmaterial oder die Bezahlung von Porti verwendet werden. Uberprüfung: Rechnungshof oder Kontrollamt. Darüber hinaus wären die Gemeinden verpflichtet, solchen Interessengemeinschaften Abschriften der Wählerevidenzblätter zur Verfügung zu stellen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Niemand will das parlamentarische Regierungssystem durch direktdemokratische Modelle ersetzen. Nur sinnvoll ergänzen und in manchen Teilen vielleicht korrigieren.

Aber gerade deshalb wird man an eine Verrechtlichung des Phänomens Bürgerinitiative herangehen müssen.

Wildwuchs ist nicht immer schützenswert.

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