6913701-1981_18_03.jpg
Digital In Arbeit

,Große Brüder‘ im Rathaus

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Treffen von Vertretern Wiener Bürgerinitiativen gab den Anstoß für die Beschäftigung mit diesem Thema. Im Lichte der jüngsten Ereignisse ist festzuhalten, daß kein Anlaß besteht, leichtfertig Bürgerinitiativen zu verdächtigen. Diese müssen sich allerdings sicher vor Radikalisierung hüten.

Bunt gemischt war das Publikum, das dicht gedrängt im Kreis herum saß: junge Leute mit langen Haaren, ältere Damen, Männer, die mit Herr Professor angeredet wurden, Hausfrauen. Manche saßen auf dem Fußboden.

Zwei Architekten, die Herren Bramhas und Waclawek hatten Vertreter der Wiener Bürgerinitiativen zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen.

Für eine Millionenstadt ein verschwindend kleines Häuflein. Wahrscheinlich waren auch nicht alle gekommen. Dennoch wurde es auch mehrfach angesprochen: Bürgerinitiativen spielen in Wien eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Es muß schon etwas Größeres geschehen, damit sich der Wiener zu einem Protest aufrafft. Er raunzt zwar, aber der Schritt, sich mit anderen zusammenzutun, um gemeinsame Anliegen zu vertreten, fällt ihm einfach schwer.

Zwei Gründe sind es, die im allgemeinen zur Entstehung von Bürgerinitiativen führen: die Errichtung eines massiv den Lebensraum beeinträchtigenden Verkehrsbauwerks oder die Verbauung von Gründen, die als Grünflächen und somit als Erholungsraum in der Großstadt dienen könnten.

Und welche Erfahrungen haben die einzelnen Bürgerinitiativen im Um gang mit der Obrigkeit gesammelt? Wie ein roter Faden zieht sich durch beinahe alle Erzählungen die Erfahrung, daß es extrem schwierig ist, in Wien die Behörden zum Nachdenken zu bewegen.

Meistens erfahren die Betroffenen ja auch erst viel zu spät, was auf sie zukommt. Wenn dieersten Vorbereitungsarbeiten für ein Projekt durchgeführt werden, erkennt die Bevölkerung erst, was ihr da alles blüht. Und dann ist es sehr oft zu spät. Die öffentlichen Stellen berufen sich auf ordnungsgemäß gefaßte Beschlüsse, aufGutachten,diedie Notwendigkeit der Maßnahmen eindeutig belegen.

Ja, mit den Gutachten ist es überhaupt so eine Sache! Sie sind teuer, werden von Büros durchgeführt, die in dauernder Auftragsbeziehung mit den öffentlichen Auftraggebern stehen und sind in vielen Fällen den betroffenen Bürgern nicht einmal zugänglich.

Man argumentiert von öffentlicher Stelle zwar mit Gutachten, läßt aber den „Gegner“ nicht Einblick nehmen. So geschehen am Judenplatz in Sachen Abreißen der denkmalgeschützten Häuser oder im Fall der Flötzersteig- straße.

Dort hat sich überhaupt herausgestellt, daß eine grundlegende Untersuchung (nämlich über das zu erwartende Verkehrsaufkommen), von der immer wieder behauptet worden war, daß sie eindeutig die Notwendigkeit der Trassierung beweise, tatsächlich gar nicht existierte. Sie muß erst jetzt - nach der Volksabstimmung - gewissermaßen naęhgeliefert werden.

Aus den Ausführungen der Bürgerinitiativen bekommt man den Eindruck, daß es den Behörden schwer fällt in Alternativen zu denken und daß sie die Einbeziehung der Bevölkerung in die Willensbildung geradezu als Einmischung in ein der Obrigkeit vorbehaltenes Privileg ansehen.

Ja, wenn ich es so recht bedenke, dann ist der stärkste Eindruck, den ich von diesem Abend mit nach Hause genommen habe, der folgende: In vielen Bereichen hat die Wiener Stadtverwaltung einfach den Kontakt zur Bevölkerung verloren. Vielfach werden die wirklich drängenden Probleme gar nicht wahrgenommen, der Apparat regiert an den Bürgern vorbei.

Und die, die nicht jede Entscheidung der Stadtverwaltung als der Weisheit letzter Schluß ansehen, sind durchaus nicht - wie man es sich gern ausmalt - weltfremde Spinner. Sie sind nur einfach nicht bereit, für übergeordnete, angebliche Notwendigkeiten der Raum-, Verkehrs- und Stadtentwicklungsplanung unsinnig hohe Kosten an Wohlbefinden in ihrem Lebensraum zu tragen.

Gibt es Hoffnung, daß die Stadtpla nung doch mehr auf die Wünsche der Betroffenen eingehen wird? Eine Chance liegt darin, daß die Gemeindeverwaltung aufgrund ihres riesigen Apparates kein Monolith ist. Bürgerinitiativen mit dem richtigen „G’spür“ können daher durchaus Verbündete im Rathaus finden. Über entsprechende Erfolge berichteten auch einige Bürgerinitiativen.

Vielleicht macht auch das Vorbild von Graz in Wien Schule. Dort hat sich - wie einer der Teilnehmer zu berichten wußte - enorm viel durch die kräftige Mitwirkung von Bürgerinitiativen geändert. Auf den Bau zahlreicher Hochhäuser, einiger großer Verkehrsbau werke wurde verzichtet. Bei der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensraumes wirken die Betroffenen heute verstärkt mit.

Nur hat Graz eben den Vorteil, eine „labile“ politische Konstellation aufzuweisen: Keine der drei Parteien hat eine seit Jahrzehnten gesicherte Pfründe, wie dies leider in Wien der Fall ist.

Ob hier picht der entscheidende Ansatzpunkt zur Beseitigung der obrigkeitlichen Selbstherrlichkeit liegt? Die Stoßrichtung der Wiener Opposition dürfte schon richtig sein. Befürchtungen werden nur geäußert, daß sie im Fall eines Erfolgs nicht durchhalten wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung