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„Die Grazer haben die Einladung angenommen”

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Der zitierte Passus stammt aus dem von der ÖVP Graz im Jahre 1972 erarbeiteten Stadterneuerungskonzept. Dieses Stadterneuerungskonzept hatte und hat die Aufgabe, ein Arbeistprogramm der ÖVP-Fraktion im Grazer Gemeinderat für alle kommunalpolitisch relevanten Themen vorzustellen. Bereits dieses Konzept wurde auf „demokratischer” Basis erstellt, d. h. nicht nur von Funktionären und Mitgliedern der ÖVP Graz, sondern im ständigen Gespräch zwischen Parteimitgliedern, Experten und kommunalpolitisch engagierten Personen. In weiterer Folge wurde im Kapitel „Bürgerinitiativen” im Stadterneuerungskonzept eine Kontaktstelle innerhalb der Stadtgemeinde Graz gefordert, die den Bürgerinitiativen organisatorisch und informatorisch an die Hand gehen soll.

In den vergangenen dreieinhalb Jahren konnte ich als Referent des neuerrichteten Büros für Bürgerinitiativen reichlich Erfahrung sammeln, Tendenzen erkennen und auf Grund von statistischen Unterlagen bzw. de- moskopischen Untersuchungen feststellen, daß die geforderte Intensivierung der Bürgerbeteiligung im kommunalpolitischen Geschehen der Stadt Graz von Bürgern, Beamten, Experten und Politikern verstanden und als nicht mehr wegzudenkende Bereicherung demokratischer Kommunalpolitik Geschehen vermitteln.

Das folgende, zum Teil statistisch erfaßte Material soll einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Demokratisierung und der Partizipation im kommunalpolitischen Geschehen vermitteln.

Mut zur Mitsprache: Mit dem Büro für Bürgerinitiativen haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren 151 Bürgerinitiativen, Interessengemeinschaften, Aktionsgemeinschaften usw. Kontakt aufgenommen. Es ist dies ein deutlicher Beweis dafür, daß die Einladung an die Bürger, sich an kommunalpolitisch relevanten Entschei.

„Ein neuer, sehr wesentlicher Bestandteil der Gemeindedemokratie, der ganz wesentlich zu ihrer Verlebendigung beiträgt, sind die Bürgerinitiativen. In Graz gibt es bereits über 17. Ihre Existenz beweist einerseits, daß dem einzelnen Bürger die Probleme der Stadt bewußter werden. In diesem Sinn sind sie in jedem Fall zu begrüßen. Ihre Existenz beweist aber auch anderseits, daß es zwischen den zuständigen Entscheidungsträgern in* Planungsprozeß, seien sie gewählte Mandatare oder Beamte, und den von der Planung Betroffenen Informationsschwierigkeiten mehr oder weniger massiver Art gibt.” dungsfindungen zu beteiligen, angenommen wurde und zwar deshalb, weil sich die Beteiligung offensichtlich „rentiert” hat.

Die moralische Anrainerschaft: Für zeitgeistig aufgeschlossene Gemeindebürger reichen die Begriffe des „Nachbarn”, der „Parteistellung” in den meisten Verfahren, wie etwa Widmungs- und Baugenehmigungsverfahren oder Betriebsstättengenehmigungsverfahren nicht mehr aus. Uber diese juridischen Begriffe hinaus gibt es in den meisten Fällen „moralische Anrainer”, das sind diejenigen Personen, die nicht mehf im juridischen Einzugsbereich des Verfahrens siedeln, aber von den einzelnen Projekten durchaus betroffen sind (z. B. Zufahrten, Lärm, Verkehrsaufkommen usw.).

Vom a posteriori zum a priori: Hatten die ersten Kontakte mit Grazer Bürgergruppen noch Vorhaben der Stadtgemeinde bzw. einzelner Konsenswerber (Wohnbaugenossenschaften, Industrien usw.) zum Gegenstand, die mit Widmungen und Baugenehmigungen bereits versehen waren, so wurde in den folgenden Jahren immer mehr Bemühung daraufhin verwendet, daß vor Erteilung verschiedener Genehmigungen das einzelne Projekt den aller Voraussicht nach betroffenen Bürgern vorgestellt wird. Im ersten Fall hatten die verschiedenen Gesprächsformen eine Art „Feuerwehrfunktion”, die den ursprünglichen Vorstellungen von Partizipation nur teilweise gerecht wurden, inso- feme als im zähen Verhandlungswege und auf Grund von öffentlichem Druck Abänderungen im Sinne der betroffenen Bevölkerung durchgesetzt werden konnten.

Im zweiten Falle war eine Gesprächsmethodik von der Großveranstaltung weg zur Bürgerbesprechung immer öfter seitens der Interessengemeinschaften gewünscht. Diese Bürgerbesprechungen haben den Charakter von Arbeitsgesprächen. Gegenstand dieser Besprechungen sind Probleme des unmittelbaren Wohnbereiches, das Problem „vor der Haustüre”. Zu diesen Gesprächen werden die Vorstandsmitglieder der betreffenden Interessengemeinschaft, die Vertreter etwa einer Wohnbaugenossenschaft, die Bezirksvorsteher und die zuständigen Stadtsenatsreferenten eingeladen.

Ein weiterer Schritt zum „a priori” wurde mit den Bezirksversammlungen (Stadtteilversammlungen) 1977 gemacht. Im Verein mit der Stadtplanung wurden Architekten, Soziologen, Erwachsenenbildner usw. engagiert, deren Aufgabe es war, gemeinsam mit Aktivbürgem und den Bezirksvorstehern in Form von Begehungen einen Problemkatalog zu erarbeiten und einläßlich einer Bezirksoder Stadtteüversammlung den per Postwurf eingeladenen Bewohnern dieses Stadtteiles zu präsentieren und in weiterer Folge zu ergänzen.

Diese Bezirksversammlungen, deren 22 es in Graz gab, forderten eine große Zahl an bislang unartikulierten Vorschlägen, Alternativen und Forderungen zutage, es gründeten sich in ihrer Folge kommunalpolitische Arbeitskreise in den verschiedenen Stadtteüen, so daß wir uns entschlossen, einigen Moderatoren einen neuerlichen Vertrag anzubieten, um eine sachlich und methodisch effiziente Betreuung dieser kommunalpolitischen Arbeitskreise für ein weiteres Jahr zu gewährleisten. Die erarbeiteten Vorschläge finden Eingang in das in Arbeit befindliche Stadtentwicklungskonzept.

Veto und Mitarbeit:. Uberwogen vor dem Jahre 1973 auf Grund einer intransparenten Planungspolitik des Grazer Rathauses die Vetoinitiativen, so ließ sich bereits Mitte 1975 eine deutliche Tendenz erkennen, die auf einen verstärkten Willen zur Mitarbeit der Grazer Bürger am Entwicklungskonzept ihres Stadtteües hinwies. Vor allem in Fragen der Lebensqualität im unmittelbaren Wohnbereich (Kinderspielplätze, keine Wohnbauten über 25 m Höhe, Verkehrsberuhigungen im Siedlungsgebiet, Absiedlung stark emittierender oder zu groß gewordener Betriebe aus dem Siedlungsbereich usw.) wurden von einzelnen Interessengemeinschaften Konzepte erarbeitet und angeboten, die zum Teil schon Realität geworden sind.

Abschließend sei noch bemerkt, daß sämtliche Kontakte und Gesprächsrunden mit den Grazer Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften unter besonderer Bedachtnahme auf Uberparteilichkeit durchgeführt werden, d. h. alle Fraktionen des Grazer Rathauses und ihre Vertreter in den Bezirksvorstehungen werden von den oben genannten Veranstaltungen informiert und dazu eingeladen. Als politischer Referent für die Abteilung für Bürgerinitiativen werde ich diese einzig zielführende Art im Gespräch mit dem Bürger auch in Zukunft beibehalten.

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