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Der direkten Demokratie sind enge Grenzen gesetzt

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In den vergangenen Monaten hatten die bayrischen Stimmbürger zweimal Gelegenheit, abseits von Bundes-, Landtags- oder Kommunalwahlen zu den Wahllokalen zu gehen. Im Oktober konnte über ein Referendum entschieden werden, das die finanzielle Entlastung der Eltern von Schulmit-teln und Schulwegkosten forderte und im November wurde über ein weiteres Referendum abgestimmt, das den Senat um Vertreter aus den Sport- und Behindertenverbänden sowie aus dem Naturschutz erweitern wollte. Beide Male scheiterte die Initiative; im ersten Fall waren es nur 473.702 und im zweiten Falle noch weniger, nämlich rund 408.000 Wahlberechtigte, die sich in die Listen eintrugen. Nach der bayrischen Verfassung müssen aber 10 Prozent der Wähler ein Referendum -hier „Volksbegehren“ genannt - unterstützen; das bedeutet die Mobilisierung von etwa 742.000 Bürgern. Für den Antrag auf ein Volksbegehren sind jeweils 25.000 Unterschriften notwendig.

Ein weiteres Volksbegehren, das die Existenz von Gemeinden unabhängiger von Entscheidungen der Verwaltung machen will und damit gewisse Auswüchse der Gemeindereform aufs Korn nimmt, befindet sich im Antragsstadium. Zwei andere Volksbegehren - eines der Bayernpartei, das die Auflösung von Gemeinden von einem Entscheid der Gemeindebürger abhängig machen will, und eines des Naturschutzbundes, der für Verbände das Recht fordert, zum Schutz der Natur gegen Rechtsverordnungen vorgehen zu können - sind im Gespräch.

In der bayrischen Nachkriegsgeschichte gab es außerdem nur zwei weitere Volksbegehren: eines, das 1967 die Gemeinschaftsschule einführen und ein anderes, das 1972 die Rundfunkfreiheit auf öffentlich-rechtliche Anstalten einengen wollte. Beide waren erfolgreich. Der Landtag mußte sich in der Folge intensiv mit den beiden Fragen befassen und arbeitete jeweils eigene Entwürfe zur Verfassungsänderung aus, über die dann in einem Volksentscheid definitiv abgestimmt wurde. Bei der Frage der „Christlichen Gemeinschaftsschule“ kamen dabei sowohl die Vorlagen aus dem Volksbegehren wie aus dem Landtag erneut auf den Prüfstand; beim Rundfunkartikel wurde vorab eine Parteienabsprache erreicht, so-daß nur noch über den Antrag des Landesparlamentes entschieden werden mußte. Die Wahlbeteiligung lag im ersteren Falle bei 40,7, im zweiten Falle bei 23,3 Prozent.

Die bisherige Praxis des Volksbegehrens in Bayern hat dreierlei gezeigt. Zum einen offenbart sich dabei der wachsende Wille bei Bevölkerung, Interessenverbänden und Oppositionsparteien, dieses plebiszitäre Instrument im engen Rahmen der verbliebenen Länderkompetenzen zu nutzen. Zum anderen wird immer deutlicher, wie abhängig ein Volksbegehren von einem zündenden Inhalt ist: Die beiden letzten Vorstöße sind nicht zuletzt deswegen gescheitert, weil die staatliche Finanzierung von Lernmitteln und Schulwegkosten bereits de facto praktiziert und der in der Öffentlichkeit wenig beachtete Senat nur über recht bescheidene Befugnisse verfügt. Und schließlich wurde in den erfolgreichen Volksbegehren unter Beweis gestellt, daß nicht ihre, sondern die Anträge des Landtags obsiegen. Der direkten Demokratie sind somit nach wie vor enge Grenzen gesetzt.

Das Gleiche gilt übrigens auf Gemeindeebene. Nach der bayerischen Gemeindeordnung gibt es außer den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen nur wenig Möglichkeiten, bei denen der Bürger unmittelbar Einfluß auf das kommunale Geschehen nehmen kann. Bis 1974 existierte allein das Instrument der Bürgerversammlung, die der Bürgermeister einmal im Jahr einberufen muß und bei denen Vorschläge gemacht werden können, die der Gemeinderat binnen dreier Monate behandeln muß. Aber die letzte Entscheidung bleibt diesem vorbehalten und nicht dem Volk. 1974 wurde dann insofern eine Neuerung geschaffen, als über Antrag von 5 Prozent der Bürger in Gemeinden unter, und von 2,5 Prozent der Bürger in Gemeinden über 10.000 Einwohnern eine zusätzliche Bürgerversammlung einberufen werden muß. Im Zuge der Gemeindereform, die den Bestand der bayrischen Gemeinden drastisch von 7000 auf nur mehr 2055 reduzierte, wurde dieses Recht zusätzlich den „Gemeindeteilen“ - also den früher selbständigen Kommunen - als Trostpflaster eingeräumt.

Die Häufung der Volksbegehren, wie auch die recht vorsichtige Ausweitung der Selbstbestimmungsrechte von Gemeindebürgern in den letzten Jahren hängen ohne Zweifel mit dem gewachsenen Bürgersinn zusammen, der sich einerseits in zahlreichen Bürgerinitiativen und anderseits in der größeren Kluft zum parlamentarischen Parteiensystem offenbart. Insgesamt bleiben jedoch in der Bundesrepublik dem plebiszitären Element enge Grenzen gesetzt. Dies hängt nicht zuletzt mit den schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik zusammen, in der das Volksbegehren sowohl in der Reichsverfassung wie auch in den einzelnen Länderverfassungen relativ breit verankert und auch in der Praxis öfter zum Zuge kam.

Zur Zeit ist in der Bundesverfassung überhaupt kein Volksbegehren vorgesehen; von den Ländern besitzen nur sieben - Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz - die gesetzliche Möglichkeit zu einem Volksbegehren in unterschiedlichen Formen. Gegenwärtig ist in Nordrhein-Westfalen ein Referendum gegen die Einführung des neues Systems der kooperativen Schule angelaufen. Von allen Bundesländern hat Bayern bisher den intensivsten Gebrauch von Volksbegehren gemacht. Gründe dafür sind nicht nur die „freistaatliche Eigenherrlichkeit“, sondern sicherlich auch die Tatsache, daß hier die Opposition angesichts der seit langem übermächtigen CSU alle Möglichkeiten mobilisiert, um sich zur Geltung zu bringen.

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