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Versuchskaninchen

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Wer sich Zuständigkeit zu verschaffen wünscht, behauptet meistens, daß man anstehende Probleme „in den Griff bekommen" müsse. Diese modische Wendung ist nicht nur Code für jene, die dazugehören, sondern auch Zeichen für — zumindest verbalen — Weitblick und Weichenstellerstatus.Nun denn: Die SPD schickt sich an, den ORF in den Griff zu bekommen; für sie ist er ein Problem.

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Wer sich Zuständigkeit zu verschaffen wünscht, behauptet meistens, daß man anstehende Probleme „in den Griff bekommen" müsse. Diese modische Wendung ist nicht nur Code für jene, die dazugehören, sondern auch Zeichen für — zumindest verbalen — Weitblick und Weichenstellerstatus.Nun denn: Die SPD schickt sich an, den ORF in den Griff zu bekommen; für sie ist er ein Problem.

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Und zwar schön ein altes. Wir erinnern an das nun schon legendäre Rundfunkvolksbegehren, jenen Akt der direkten Demokratie, der nicht nur einen verpolitisierten Rundfunk, sondern das morsch gewordene System der großen Koalition mit seinen Erstickungsfölgen für die österreichische Demokratie aus den Angeln hob. Das Rundfunkgesetz wurde 1966 beschlossen. Wir wissen um die Haltung der damals oppositionellen SPÖ.

Nach dem Wahlsieg der SPÖ im Jahre 1970 begann die Diskussion um die Bestellung der sogenannten Virilisten. Hier mündeten die Emotionen um den Bestellmechanismus der sogenannten Bereichsaufsichts-räte (ohne Programmkompetenz), die Wissenschaft, Kunst, Religionsgemeinschaften und Volksbildung zu vertreten haben, in eine Art Wahl aller irgendwie Betroffenen.

Von dort zieht sich eine mehrfach geschlungene, dennoch aber zielstrebig vorangetriebene Linie bis zu Bruno Kreiskys Villacher Einfall vom Verlegerfernsehen. Flankiert waren alle diese Bemühungen von allerlei Verhandlungen über ein Kassettenfernsehen. Das magische Dreieck: Ferenczy — Springer — Republik Österreich. Daraus wurde wieder nichts.

Ultima ratio ist nun letztlich die Änderung des Rundfunkgesetzes. Der ÖGB — wo sonst nicht? — hat sich durchgesetzt, die Gesetzesänderung kommt. Obwohl sich Bundeskanzler Kreisky, nach eigener Aussage, nur ungern drängen läßt, will er die Regierungsvorlage offenbar noch in der Frühjahrssession im Parlament einbringen; die angekündigte ORF-Kommission beim Bundeskanzleramt wird Formulierungshilfen leisten, das Ergebnis steht fest.

Es scheint das Schicksal des ORF zu sein, als „Versuchskaninchen" demokratischer Vitalität zu fungieren. Denn die große Oppositionspartei erklärte, indem sie einen Vorschlag des VP-nahen Akademikerbundes aufgriff, im Falle eines einfachen Mehrheitsbeschlusses im Nationalrat über diese „Lex ORF" eine Volksabstimmung zu beantragen. Ergänzt wird dieser Vorschlag durch die Forderung, die Unabhängigkeit des Rundfunks verfassungsrechtlich zu verankern. Etwas übrigens, was das Volksbegehren enthielt.

Freilich ist die Volksabstimmung nach Artikel 43 der Bundesverfassung mit einer Fallgrube versehen: Jeder Gesetzesbeschluß ist — so der juristische Klartext — einer Volksabstimmung zu unterziehen, „wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit des Nationalrates es verlangt". Und die Mehrheit, die diese Volksabstimmung zu entrieren vermag, ist identisch mit jener Mehrheit, die, wie zu erwarten, das Rundfunkgesetz ändern kann.

Die Beispielsfolgen dieser unmittelbaren Konfrontation der Wähler mit Beschlüssen des Nationalrates werden aber, sollte das Rundfunkgesetz hier ein (demokratisches) Präjudiz schaffen, nicht lange auf sich warten lassen. In vielen Fällen, in denen eine einfache Mehrheit im Nationalrat unabhängig von den präzisen Wünschen der unmittelbar Betroffenen Gesetze zu schaffen das Recht hat, könnte eine „infrastrukturelle Willensbildung" einsetzen und einen Hauch direkter Demokratie verspüren lassen.

Freilich wird man sich — so man diesem Modell ernste Chancen einräumt — überlegen müssen, ob es sinnvoll ist, jener Mehrheit, die ein Gesetz beschlossen hat, auch das Recht einzuräumen, über eben dieses Gesetz eine Volksabstimmung zu beantragen. Hier wäre Platz für parlamentarische Minderheitenrechte.

Man darf gespannt sein, zu erfahren, welchen Stellenwert die vielzitierte öffentliche Meinung nun bei der ORF-Reform einnimmt, ob es der Opposition gelingt, durch Mobilisierung der Wähler eine demokratische Korrektur einmal gefaßter Beschlüsse der Regierungspartei zu erreichen. Man darf aber auch gespannt sein, wie die unabhängigen Zeitungen, die einstmals durch ihre Chefredakteure nicht nur Aufrufe für das Volksbegehren formulierten, sondern auch als Königsmacher für den Generalintendanten fungierten, bei einer etwaigen Volksabstimmung reagieren.

Vielleicht sind aber all diese Uber-legungen überflüssig und vielleicht hat die Regierungspartei nunmehr gar nicht mehr die Absicht, eine Änderung des Rundfunkgesetzes durchzuziehen? Grundlage für ein Einlenken der SPÖ und für Parteienverhandlungen könnte zweifellos die von Bruno Kreisky nicht abgelehnte Verfassungsreform über die Unabhängigkeit des ORF sein. Die notwendige Zweidrittelmehrheit könnte eine Klammer sein.

Jedenfalls ist die Regierungspartei, der ÖGB (oder wer auch sonst immer) bei einfachen Mehrheitsbeschlüssen in keinem Fall sehr gut beraten.

Herr Josef Ferenczy ist wieder aktiv. Am vorletzten Wochende hat er im Wiener Hotel Imperial zu verstehen gegeben, daß er seine Pläne eines gemeinsamen Kassettenfernsehens mit der Republik Österreich nach wie vor realisieren will. Die Attacke, welche die FURCHE am 2. Dezember 1972 gegen ihn geritten habe, sei ohne ivesentliche Wirkung geblieben und seine Ehrenbeleidigungsklage, über die am 6. Februar 1972 erstmals verhandelt wurde, würde die FURCHE „erledigen". Dazu stellen wir fest:

In dem Artikel „Kreisky, Sex & Crime" wurde weniger eine Attacke gegen die Ehre des Herrn Josef Ferenczy geritten, als vielmehr eine Lanze für die Ehre des österreichischen Bundeskanzlers gebrochen. Über Herrn Ferenczy ist in den vergangenen Monaten so viel geschrieben worden, daß die FURCHE annehmen mußte, Bundeskanzler Bruno Kreisky werde über dessen Person und Vorleben absichtlich falsch oder unvollständig informiert — anders wäre es unvorstellbar, daß Bruno Kreisky je eine Partnerschaft mit Herrn Ferenczy erwog.

Als nun Vizekanzler Häuser im Parlament bestätigte, daß die Gründung einer Gesellschaft bevorstehe, an welcher die Republik Österreich, der Springer-Verlag und Herr Josef Ferenczy beteiligt sein sollen, schien uns der Augenblick gekommen, den Bundeskanzler öffentlich vor einer Partnerschaft mit Herrn Ferenczy zu warnen. Diese Warnung wurde in so unmißverständlicher Art und Weise ausgesprochen, daß sie von Bruno Kreisky auch persönlich gehört werden mußte.

Bei alledem ist es der FURCHE in erster Linie darum gegangen, Österreich vor politischem Schaden zu bewahren. Der Bundeskanzler hat erst während der UNIDO-Debatte im Vorjahr überzeugend dargelegt, daß ein Fleck auf der Ehre des österreichischen Bundeskanzlers auch ein Fleck auf der Ehre Österreichs sei. Wir leiten daraus den moralischen Anspruch ab, den Bundeskanzler vor möglichen Fehlern öffentlich zu warnen.

Wenn sich Herr Josef Ferenczy hiebei in seiner Ehre verletzt fühlt, hat er sich dies selbst zuzuschreiben. Die FURCHE ist auch nicht bereit, ein Wort von dem, was sie in diesem Zusammenhang schrieb, zurückzunehmen. Deshalb hat sie am 6. Februar 1973 dem zuständigen Richter mitgeteilt, daß sie selbstverständlich den Wahrheitsbeweis fürihream 2. Dezember aufgestellten Behauptungen antreten werde.

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