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Gewaltentrennung: Leider nur Fiktion

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Vor einem Monat hat Österreich gewählt. Einen neuen Nationalrat. Der überra-schende Ausgang der Wahlen - Anlaß für viele Kommentare - sollte Reformen auslösen.

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Vor einem Monat hat Österreich gewählt. Einen neuen Nationalrat. Der überra-schende Ausgang der Wahlen - Anlaß für viele Kommentare - sollte Reformen auslösen.

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Wer die Kommentare zu den Wahlergebnissen überfliegt, er-kennt eine ziemlich einheitliche Deutung: Person gehe offensichtlich vor Programm. Sieger der Wahl waren jene Parteien, die die wenigsten programmatischen Aussagen gemacht, sich beinahe ausschließlich auf "Gesichtsmarketing" konzentriert hatten. Die Radikalität mit der dieses Rezept Erfolg gehabt hat, gibt Anlaß, sich Gedanken über die Funktion unseres demokratischen Systems zu machen.

Bekommen Wahlen nun endgültig den Charakter eines Bestellungsverfahrens für den Generaldirektor des Unternehmens "Österreich"? Gefragt sind Mana-gementqualifikation, "Leadership" (FURCHE 42/1990), Wirtschafts-kompetenz, sicheres Auftreten. Selbst zu entscheiden, ob es besser ist, der EG beizutreten, die Landwirtschaftspolitik zu liberalisieren, auf Ausbau der Wasserkraft zu setzen oder nicht, scheint dem Wähler weniger wichtig zu sein. Wahrscheinlich können sich im Dauerbeschuß der unter-schiedlichen Standpunkte in den Medien immer weniger Menschen ein Bild von notwendigen Maßnahmen machen.

Ist es da nicht naheliegend, sich jemandem anzuvertrauen, von dem man annimmt, er werde sich in dem Wust von Problemen zurechtfinden und jene Entscheidungen treffen, die für das Land gut sind, auch wenn er sich im einzelnen nicht festlegt?

Diese Art der Betrachtung hat etwas für sich. Es geht ja wirklich nicht nur um Programme, sondern auch um Personen. Nur trägt unser System diesem Umstand nicht Rechnung. Es läßt uns zwischen Parteien, scheinbar also zwischen Programmen wählen.

Entspricht die Personalisierung aber nicht einem Grundbedürfnis des Menschen, sich in einer un-übersichtlichen Welt jemandem mit Kompetenz anzuvertrauen? Das ist ja auch der Nährboden für jeden Führerkult.

Statt diese Gegebenheit zu leugnen, wäre es besser, ihr Rechnung zu tragen und damit ihre Auswüchse zu beherrschen. Ein entsprechen-der Ansatz würde auch dem Grundkonzept unseres demokratischen Verständnisses, dem der Gewaltenteilung entsprechen. In ihrer modernen Form wurde sie ja zur Eindämmung der Macht des Monarchen entwickelt: Trennung der Kompetenz für Gesetzgebung, Vollziehung und Gerichtsbarkeit, sollte Machtanhäufung verhindern. Dem Volk sollte das Recht auf Mitwirkung bei der Gestaltung der Staatsgeschäfte eingeräumt werden.

Vor allem aber sollte das gewählte Parlament den Monarchen kontrollieren. So stünden einander dann zwei unterschiedlich legitimierte Institutionen gegenüber: der die Kontinuität des Gemeinwesens vertretende Monarch (gewissermaßen der persönliche Garant zur Wahrnehmung der Langzeitinteressen) und das sich in relativ kurzen Zeitabständen erneuernde (also den veränderbaren Vorstellungen des Volkes Aus-druck gebende) Parlament.

Davon ist in unserem heutigen System kaum etwas geblieben: Wir wählen alle vier Jahre einen neuen Nationalrat, die wichtigste gesetzgebende Körperschaft, und damit ist auch weitgehend bestimmt, wer die Vollziehung in die Hand nimmt. Der Bundeskanzler hat eine parla-mentarische Mehrheit hinter sich - und ist damit weitgehend wirklich lästiger Kontrolle entzogen - trotz mancher Rechte der Opposition.

Gewaltentrennung ist somit weitgehend Fiktion. Parlamentarische Kontrolle findet nur beschränkt statt. Zu welchen Mißbräuchen das führt, haben uns die Unteruchungs-ausschüsse in Sachen Proksch, Milchwirtschaftsfonds, Noricum zur Genüge vor Augen geführt. Durch das Weisungsrecht an die Staatsanwaltschaft eröffnet unser System auch einen wirksamen Zugriff auf das Gerichtswesen.

Hier wäre mit einer Demokratiereform anzusetzen: Es geht um die konsequente Verwirklichung der Gewaltentrennung in Öster-reich, vor allem um eine getrennte Legitimation von Exekutive und Legislative. Und das bedeutet nicht nur weniger Beamte und Gewerkschafter in den Nationalrat. Das französische (auch das US-amerikanische) Verfassungsmodell kommt diesem Anliegen näher als unseres. Der auf sieben Jahre vom Volk gewählte Präsident legt -anders als unser weitgehend auf die Funktion des Staatsnotars beschränkte Bundespräsident - die Grundlinien der Regierungspolitik fest, bestellt die Regierung, die sich vor dem Parlament rechtfertigen muß. Damit ist ein gewisses Maß an Polarität gegeben.

Überdies hat der Präsident durch seine relativ lange Amtsperiode die Möglichkeit, weitaus stärker langfristige Konzepte zu verfolgen als ein Kanzler, der sich alle vier Jahre der Wählerentscheidung stellen muß. Und schließlich trägt die Präsidentenwahl dem Wunsch nach Personalisierung Rechnung, ohne sich dabei einen unabsetzbaren Führer einzuhandeln.

Wenn schon kein Wettkampf der Ideen, sondern einer der Gesichter, dann doch lieber in einem entsprechenden System.

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