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Welche Kirche wird anerkannt ?

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Der Staat sollte vor jenen Vereinen schützen, die Menschen in psychische oder wirtschaftliche Abhängigkeit bringen.

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Der Staat sollte vor jenen Vereinen schützen, die Menschen in psychische oder wirtschaftliche Abhängigkeit bringen.

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In Osterreich ist das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Artikel 14 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 festgeschrieben. Programmatisch heißt es darin: „Die volle Glaubensund Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen." Und damit auch „Jedermann" den rechtlich geschützten Rahmen für die Betätigung seines Glaubens finden könne, bestimmt Artikel 15 konsequenterweise: „Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genüsse ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen." Damit solchen Bekenntnissen, wie es im Motivenbericht heißt: „nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit der Anerkennung zugestanden, sondern auch der praktische Weg hierzu eröffnet werden" konnte, folgte dem Staatsgrundgesetz 1874 das „Gesetz betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften". Man sah sich also verpflichtet, Spielregeln zu schaffen, die auch den kleineren, zum Teil erst im Entstehen begriffenen religiösen Gemeinschaften den benötigten Freiraum schaffen konnten - wenn auch stets nach dem Grundsatz: wer mitspielt, bestimme ich.

Eine um Anerkennung werbende Vereinigung muß folgende Kriterien erfüllen:

■ eine Mehrheit physischer Personen, wobei die Praxis darunter mindestens 2.000 Anhänger versteht

■ einen positiven Gottesglauben

■ eine definierte Glaubensquelle oder -lehre, die sich von bisher anerkannten Gruppen unterscheiden muß

■ eindeutige innere Regeln, eine „Verfassung"

■ die Möglichkeit, wenigstens eine Kultusgemeinde zu errichten und zu erhalten

■ die Gesetzes- und Sittenkonformität

Was bedeutet eine Anerkennung in der Praxis? Vor allem den verfassungsgesetzlich geschützten Frei-raum innerer Autonomie - zwar keine Ablösung von staatlicher Rechtsordnung, aber doch die Freiheit, das Mitgliedschaftsrecht, die Bestellung der Seelsorger oder die Glaubenslehre selbst zu bestimmen.

Glaubte man einer - später dementierten - Zeitungsmeldung im vergangenen Sommer, so könnte man meinen, eine weitere „Kirche" sei in den Club aufgenommen worden: da hieß es „Scientology-Kirche in Osterreich anerkannt". Was war geschehen? In einer aufsehenerregenden Entscheidung des Wiener unabhängigen Verwaltungssenates vom 1. August 1995 wurde einer Berufung des Vereins „Scientology-Kirche Osterreich" Folge gegeben und ein gegen den Verein laufendes Gewerbe-Strafverfahren eingestellt.

In dem 31seitigen Bescheid kommt der Senat zur Erkenntnis, daß das Anbieten und Abhalten von Kursen zum Preis von bis zu 88.000 Schilling durch Scientology auch ohne Gewerbeberechtigung erlaubt sein müsse, da es sich dabei um religiöse Zwecke und nicht um Erwerbszwecke im Sinne der Gewerbeordnung handle.

Ohne die inhaltliche Substanz der Scientology-„Kirche" zu prüfen, vergleicht der Senat die Opfer, die Scientologen zu erbringen haben - extrem hohe Geldbeträge - mit dem Schleiergebot und dem Alkoholverbot des Islam und der kosheren Küche der Israelitischen Religionsgemeinschaft und folgert - pointiert formuliert: wo Kirche draufsteht, ist im Zweifel auch Kirche drin. Manches ist an dieser Entscheidung überraschend - vor allem die Wertung auf Seite 30: „Scientology wird ja durchwegs übertrieben dämonisiert und als besonders gefährliche Sektö gebrandmarkt ..." -niemand geringerer als die Regierung der Bundesrepublik teilt offenbar dieses „Vorurteil" und wird nun verstärkt Scientology unter die Lupe nehmen.

Wenn auch die Praxis seit langem Vereine mit „religiösem Teilzweck" zuläßt, kann doch eigentlich in einem geordneten Rechtssystem so nicht weitergewurstelt werden. Einerseits ist klar, daß der Status der gesetzlichen Anerkennung wie bisher nur sehr selektiv und nach genauester Prüfung der Vereinbarkeit mit der „öffentlichen Ordnung und den guten Sitten" zuerkannt werden sollte. Andererseits kann man die gemeinsame Ausübung der Religionsfreiheit, solange sie zumindest den sonstigen Voraussetzungen für die Vereinsgründung entspricht - wohl auf Dauer schlecht in der Halblegalität der sogenannten Unterstützungsvereine erhalten, Zudem sind die Höchstgerichte uneins, ob der Staat überhaupt über einen Anerkennungsantrag entscheiden muß; der Verfassungsgerichtshof sagt ja, der Verwaltungsgerichtshof nein - und der ist nun einmal in letzter Instanz für das Verfahren vor dem Kultusamt zuständig. Man sollte wohl überlegen, das Vereinsrecht tatsächlich für religiöse Gemeinschaften zu öffnen - geradezu eine ideale Möglichkeit für eine langfristige Beobachtung neuer Bewegungen und für diese die Chance, sich der Zuerkennung des Anerkennungs-Status und damit der Öffentlich-Recht-lichkeit für würdig zu erweisen.

Schließlich sollte der Staat Österreich in unser aller Interesse auch weiterhin genau prüfen, wem er die Innere Autonomie des Artikel 15 des Staatsgrundgesetzes anvertrauen kann. Und gegenüber jenen Organisationen und Guru-Bewegungen entschiedener auftreten, die mit subtilen Mitteln Menschen in psychische oder wirtschaftliche Abhängigkeit bringen oder schlicht „abcashen" wollen. Das religiöse und spirituelle Grundbedürfnis des Menschen ist wesentlicher Teil seiner psychischen Integrität und Würde, und damit ein schützenswer-tesGut- zu wertvoll, um es in scheinbarer Liberalität jedem anzuvertrauen, der sich ein religiöses Mäntelchen umhängt.

Der Autor ist

Rechtsanwalt in Wien

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