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Ein Vorschlag zum Pensionsstillegungsplan

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Die grundlegende Forderung des staatlichen Ethos geht dahin, daß der Staat seine Omnipotenz nicht im Sinne materialistischer Machtbetätigung, sondern in dem der Gerechtsame ausüben soll. Insbesondere darf er von ihr nicht in Richtungen Gebrauch machen, in denen er mit Geboten von Recht und Sitte oder mit wohlerworbenen individuellen Rechten in Widerspruch gerät. Praktisch genommen handelt es sich dabei regelmäßig um eine Art des Schutzes von Minderheiten, denen eigene Kraft, sich und ihr Recht zu behaupten, fehlt und deren Vergewaltigung der Staat nicht dulden, geschweige denn selbst ins Werk setzen darf. Inhalt und Bedeutung dieser Grundforderung sind dem öffentlichen Bewußtsein gerade gegenüber dem Projekt einer Pensionsund Rentenstillegung wieder einmal besonders gegenwärtig geworden.

Der Finanzminister hat das Projekt als erwägenswert bezeichnet und gewünscht, daß es allseitig einer gründlichen Uber-legung unterzogen werden möge. Diesem Wunsch ist Rechnung getragen worden, ja man kann sagen, daß selten eine strittige Frage für das Denken und den Gedankenaustausch der Öffentlichkeit dermaßen im Vordergrund gestanden ist wie gerade diese.

Dabei wurde auf der einen Seite als feststehend anerkannt, daß das Projekt einen Versprechensbruch, einen Verstoß gegen wohlerworbene Rechte, eine Verleugnung von Treu und Glauben beinhaltet. Es wurde weiter dargetan, daß

die erhofften Vorteile, nämlich finanzielle Ersparnis und Freimachung von Arbeitsplätzen für neue Anwärter, sich nach der besonderen Lage der Verhältnisse nur In einem sehr beschränkten Maße je verwirklichen werden.

Auf der anderen Seite ist das Projekt bisher nicht offiziell fallengelassenworden. Auch der Versuch einer Einigung auf einer mittleren Linie, so zwar, daß man durch Hln-aufsetzung der Freigrenzen die Zahl der Betroffenen verringert, kann keine Lösung bringen. Einmal Unrecht ist allemal Unrecht, und je weniger Fälle erfaßt werden, desto mehr schwindet der finanzielle und arbeitspolitische Erfolg, damit zugleich aber eben auch der einzige scheinbare Rechtfertigungsgrund. Die öffentliche Diskussion ist auf den toten Punkt geraten. Man scheint vor einem Entweder-Oder zu stehen. Wenn es den Anhängern des Projekts gelingt, es mit Hilfe der staatlichen Autorität zur Verwirklichung zu bringen, muß die sittliche Staatsidee vor diesem Machtakt kapitulieren oder umgekehrt.

Ist dem wirklich so? Steht man tatsächlich vor einem Entweder-Oder? Man könnte meinen, das Dilemma sei am Ende doch noch nicht unausweichlich. Trotz der sehr eingehenden und lebhaften Diskussion scheinen nämlich wichtige Seiten des Problems noch nicht hinlänglich klargestellt. Namentlich in der Richtung, inwieweit der propagierte Gedanke nicht vielleicht doch einem unleugbaren, echten

Bedürfnisse entspricht und inwieweit diesem Bedürfnisse durch ihn auch ohne Rechtsbruch und Illoyalität Rechnung getragen werden könnte.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich nun in der Tat zunächst auf dem Gebiete des Pensionswesens eine gewisse innere Unstimmigkeit. Es handelt sich da um die Fälle, in denen jemand vor Erreichung der Altersgrenze über eigenes Ansuchen pensioniert worden ist und dann in der Zeit bis zur Erreichung der Altersgrenze eine vollen Einsatz erheischende Tätigkeit über-nimmt. Für solche Fälle sollte dem Staate, sei es generell, sei es durch Festsetzung im konkreten Falle die Möglichkeit eingeräumt werden, den Betreffenden zur Wiederaufnahme semer amtlichen Tätigkeit aufzurufen, widrigenfalls die Pension bis zur Erreichung der Altersgrenze zu ruhen hat. Zwei Vorbehalte sind dabei unerläßlich.

Erstens, die Regelung kann nur für künftige Felle Platz greifen, bereits entschiedene sind unter allen Umständen auch weiterhin nach den bei ihrer Erledigung maßgebenden Grundsätzen zu behandeln.

Zweitens, die Regelung kann sich nur auf die Zeit bis zur Erreichung der Altersgrenze beziehen. Wenn der Staat auf die Arbeitskraft eines Dienstnehmers verzichtet, gibt er seinen Anspruch auf diese Arbeitskraft überhaupt auf und kann ihn weiterhin auch nicht in gewissermaßen negativer Weise ausüben, indem er ihn an Betätigung in anderer Richtung hindert, es sei denn in einer standeswidrigen. Es wäre himmelschreiend, jemand in dem Augenblick, in dem man ihm die bisherige Arbeitsgelegenheit zwangsweise wegnimmt, zugleich auch noch das primärste und für die Allgemeinheit ersprießlichste unter den Rechten der Menschen, das Recht auf Arbeit überhaupt, durch Sanktion von wirtschaftlichen Schadensfolgen einzu-

schränken oder zu entziehen. Unter entsprechender Anpassung an die andersgearteten Verhältnisse ließe sich eine solche Regelung auch auf die Altersrenten übertragen. Hier wäre an zwei Zeitpunkte anzuknüpfen, an den, von welchem an Gewährung der Rente fakultativ erfolgen kann, und den, mit welchem sie angesichts der durchschnittlichen Altersgrenze für die menschliche Leistungsfähigkeit, obligatorisch zu gewähren ist. Für die Zwischenzeit wäre, in künftigen Fällen natürlich, bei entsprechender Höhe des aktuellen Arbeitsverdienstes ein Ruhen der Rente vernünftig und moralisch vertretbar.

Auf solche Weise könnte, zwar nicht schlagartig, doch allmählich, dafür aber ohne Einbruch in die Reservate der staatlichen Ethik, in einen Zustand hinübergeleitet werden, der den Anhängern des Stillegungsprojekts entgegenkommt, mit dem dessen bisherige Gegner sich abfinden könnten und der vom objektiven Standpunkt zu begrüßen wäre.

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