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Dem Vaterland seine Väter!

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Fühfundsechzigjährige Männer, Richter und Beamte scheiden alljährlich aus dem Dienst, und zwar „von Gesetzes wegen“. Die Bundesregierung kann allerdings, wenn das öffentliche Interesse es erfordert, den Uebertritt von Beamten in den dauernden Ruhestand auf bestimmte Zeit aufschieben, und zwar längstens bis zum Silvestertag des Jahres, in dem der Beamte sein 70. Lebensjahr vollendet hat. Dies ist jedoch als Ausnahme fiir Einzelfälle gedacht und ist auch tatsächlich Ausnahme geblieben. Nur Hochschulprofessoren und Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes gelangen erst mit 70 Jahren an die große Grenze.

Manche, die ihren Abschied nehmen, freuen sich auf den wohlverdienten Ruhestand; sie empfinden Müdigkeit oder sehnen sich darnach, endlich Neigungen ihrer Freizeit — der Musik, der Kunstgeschichte — oder aber ihren Enkeln

mehr Zeit zuwenden zu können. Andere verlassen ihren Schreibtisch mit einem sehr Schmerzlichen Gefühl und es drängt sie, eine neue Beschäftigung zu suchen, wobei allerdings die in jüngster Zeit hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit in Frage gestellte Regelung über die Kürzung der Pensionen im Falle eines anderen Einkommens, das aus öffentlichen Kassen zufließt, zu beachten ist.

Und die Jüngeren? Manche freuen sich gewiß, weil sie nachrücken dürfen. Andere aber erleiden einen Verlust, der etwas vom Verlust des Vaters an sich hat. Die 65jährigen Männer, die in den letzten Jahren in den Ruhestand traten, wurden um 1890 geboren. Sie kamen aus der Zeit, in der Oesterreich noch ein großes Reich aus vielen Völkern und Ländern war, weit und bunt und von starker Prägungskraft. Um diese Männer, die uns verließen, war noch etwas von dem „Glanz der Autorität“, von der Würde des Dienens. Weisheit des Alters ist von besonderem Gewicht, wenn der Strom der Kräfte der Ueberlieferung durch Umstürze und Umbrüche gestört war und gestört geblieben ist. Die Weisheit des Alters war zu allen Zeiten eine Quelle höchster Leistung, ebenso entscheidend für den Aufstieg der Völker wie der Schwung der Jungen. So war es im alten Rom und im Römisch-Deutschen Reich, in Venedig und im alten Oesterreich. Daß es auch heute noch so ist, bewiesen oder beweisen Churchill und Adenauer in Europa, Renner und Raab in Oesterreich. Was wäre die Politik, wollte man die 65jährigen Männer außer Dienst stellen? Und die Spitzen der Richterschaft und der Beamtenschaft sollen, wenn sie dieses Alter erreichen, ihre Funktion in der Gemeinschaft verloren haben? Was hier alljährlich geschieht, ist Vergeudung hoher Güter, Ausdruck der Kulturkrise, die das Alter nicht mehr schätzt und nichts mehr reifen lassen will. Oesterreich kann sich den Luxus nicht leisten, auch seine besten Männer mit 65 Jahren untätig werden zu lassen. Das ist nicht etwa eine Frage der Staatsfinanzen, vielmehr ist die Qualität der Staatsleistung für die Beurteilung ausschlaggebend.

Mit den bisherigen Ausführungen sollte aber nicht etwa gegen die Altersgrenze als solche Stellung genommen werden. Sie ist für die Richter bereits in der Bundesverfassung gefordert und für Beamte im Jahre 1947 eingerichtet worden. Niemand wird leugnen, daß auch Weisheit und Menschlichkeit für eine solche Lösung sprechen. Eine feste Grenze erspart nämlich die Absonderung derer, die noch etwas leisten können, von jenen, die unfähig geworden sind. Sie befreit also von einer sehr bitteren Aufgabe.

Problematischer als die Altersgrenze an sich ist die Grenzziehung bei dem 65. Lebensjahr. Die alljährliche Erfahrung scheint dafür zu sprechen, daß die Pensionisten sich im kriti-

sehen Zeitpunkt oft auf der Höhe ihrer Leistungskraft befinden. Die Fähigkeiten abgewogenen Urteilens und vorausschauenden Planens werden eben gerade in dem gegenwärtigen Pensionsalter noch in ungebrochener Stärke geübt und entwickelt. Eine Diskussion darüber, ob die Altersgrenze bei dem gegenwärtigen Stand der Medizin, der Volksgesundheit und angesichts der erhöhten Lebenserwartung nicht erst mit dem 70. Lebensjahr festzulegen wäre und ob eine solche Neuregelung eine allgemeine oder auf bestimmte höhere Ränge beschränkt sein sollte, erscheint daher erwünscht, ja geradezu notwendig.

Nun sollen aber die Möglichkeiten erörtert werden, wie das Vaterland die Weisheit der Alten nach der Altersgrenze nützen könnte. Dabei ist zu beachten, daß gerade für Männer, die in der Verwaltung dienen, die Befreiung von

der Weisungsgebundenheit und die Einräumung einer Stellung als „freier Senator“ wünschenswert wäre. Ein solcher Weg ist nun bereits beschritten worden. Drei besonders prominente Pensionisten wurden im Jahre 195 5 zu Konsultanten der Volksvertretung bestellt. Man hat richtig gelesen, es waren drei. So wäre man versucht, zu zitieren: „Das ist der Fluch von unserem Hohen Haus, auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“ Die drei ganz hervorragenden Person lichkeiten könnten im Massenbetrieb unsere* Gesetzgebung die große Aufgabe, die ihnen zugedacht ist, kaum lösen, wenn, ja wenn, sie in dem notwendigen Ausmaß zum Konsulentendienst herangezogen würden. Doch wäre die hier erstmalig rudimentär entwickelte und auch teilweise schon bewährte Methode an sich vielversprechend. Ohne Gesetzes- oder gar Verfassungsänderung könnte auf diesem Wege die Weisheit des Alters fruchtbar werden. Freilich

müssen dann auch geeignete Formen dienstund besoldungsrechtlicher Art gefunden werden, um in großzügiger Weise den Dank für eine mühevolle und freiwillige Leistung zu erbringen, und es müßte die Bereitschaft bestehen, auf den Rat der Weisen zu hören. Ein anderer Weg, der nicht beschritten wurde, auch wenn es sich um Juristen und Menschen höchsten Ranges gehandelt hat, ist die Berufung hervorragender 65jähriger Richter und Beamten in den Verfassungsgerichtshof, wo die Altersgrenze, wie erwähnt, erst mit dem 70. Lebensjahr erreicht wird.

Der beste Weg ist heute noch nicht frei. Noch ist der intakte Bestand der Bundesverfassung von allerhöchstem Wert für Ordnung und Freiheit. Schreitet aber die politische Stabilisierung und die Erkenntnis gemeinsamer Werte fort, so daß eine friedlich vollzogene Neuordnung wesentlicher Institutionen möglich wird, dann könnte auch die Stunde kommen, in der ohne jede Beeinträchtigung des demokra-

tischen Gedankens eine beratende Kammer der Alten geschaffen werden könnte. Dies wäre der beste Weg, um dem Vaterland seine „Väter“ zu geben.

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