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Glaubens- und Gewissensfreiheit im österreichischen Gesetz

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Unter „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ verstehen wir in Österreich die im Staatsgrundgesetz von 1867 und im Staatsvertrag von St.-Germain gewährleisteten Rechte, öffenlich oder privat jede Art von Bekenntnis oder Religion zu üben, soweit dies nicht rechtswidrig oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Religionsmündige unterliegen in religiösen Dingen keinerlei Nötigung.

In anderen Ländern, die sich auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu eigen gemacht haben, ist der Umfang dieser Frei-heitsrechte teils weiter (zum Beispiel religiöse Eidespflicht), teils enger gezogen (zum Beispiel Verbot geistlicher Amtstracht in der Öffentlichkeit). Derartige Erweiterungen oder Einschränkungen sind jedoch durch Gesetz besonders verfügt worden, sie können im Verwaltungswege nicht beliebig geändert werden.

Diese Sonderbestimmungen zeigen auch, nach welcher Richtung der Staat die Fragen der Glaubens- und Gewissensfreiheit behandelt wissen will. Dies gilt insbesondere für die Belange, die sich mit der Ausübung des Bekenntnisses, der Kultusübung, beschäftigen. Es steht dann in Frage, inwieweit von einer „Kultusfreiheit“ gesprochen werden kann. Hier wird zuweilen die Rücksichtnahme auf die „öffentliche Ordnung“ als einschränkender Faktor geltend gemacht, ein Begriff, der allerdings in der Praxis verschieden ausgelegt werden kann.

In Österreich sind der Glaubens- und Gewissensfreiheit — die auch die Kultusfreiheit einschließt — allgemeinhin nur die erwähnte Beschränkung auferlegt, daß sie zu keiner Rechtswidrigkeit oder Sittenwidrigkeit führen darf. Diese Abgrenzung ist in jeder Hinsicht eindeutig. Die übrigen österreichischen Sonderbestimmungen auf diesem Gebiete, die auch aus der liberalen Zeit des vorigen Jahrhunderts stammen, zeigen große Toleranz bezüglich der Kultusfreiheit, wie zum Beispiel die Vorschriften über die Rücksichtname auf Gottesdienste an kirchlichen Feiertagen, auf herkömmliche Prozessionen oder über die Freiheit des Glockengeläutes.

Diese Feststellung der grundsätzlichen Einstellung des österreichischen Rechtes ißt wichtig, um Grenzfragen aus der Glaubensund Gewissenfreiheit juristisch einwandfrei beantworten zu können. Nach der Interpretationsregel des, 7 des A. B. G. B., die auch für das öffentliche Recht gilt, ist nämlich in zweifelhaften Fällen auf „verwandte Gesetze“ Rücksicht zu nehmen (Interpretation durch Analogie).

Wie wir wissen, sind unter der nationalsozialistischen Herrschaft drastische Auffassungen über den Umfang der Glaubensund Gewissensfreiheit zutage getreten. Es wurde der Standpunkt vertreten, daß durch die öffentliche religiöse Betätigung von Personen die nichtreligiöse Einstellung anderer unzulässig gestört werden könne. Es lohnt sich nicht, alle diese Anordnungen aufzuzählen, die hauptsächlich die Kultusausübung einschränken sollten. Religiöse öffentliche Betätigung wurde auf jede erdenkliche Weise unterbunden. Manche solcher Verfügungen entbehren heute nicht einer gewissen Komik und werden kulturgeschichtlich von Interesse bleiben. Es wurde zum Beispiel im Jahre 1942 die polizeiliche Anordnung getroffen, da Prozessionen, soweit sie überhaupt noch zulässig waren, auch dann nicht den gewohnten Weg nehmen dürfen, wenn inzwischen irgendwo dort ein Lokal der NSDAP oder der HJ eingerichtet worden war. Es wurden allen Ernstes Eingaben von „ Volksgenossen“ amtlich in Verhandlung gezogen, die Beschwerde führten, daß das Glockengeläute an ihrem ländlichen Urlaubsorte sie störe.

Über den juristischen Gehalt solcher Verfügungen machte man sich keine Gedanken. Man wüßt* vielfach nicht mehr, ob es sich dabei um Gesetzgebung- öder Verwaltungsakte handelt, von irgendwelchen Rechtsstaatsprinzipien war man ja weit entfernt. Auch die verwaltungsrechtliche Literatur dieser Zeit gibt keine Erklärung über diese Form der „Glaubens- und Gewissen-freiheit“, die im Parteiprogramm ihre Grundlage haben sollte. In einem Werke „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“ wird bloß zugegeben, daß Glaubensund Gewissensfreiheit in dem Ranmen zulässig sei, der durch den unbedingten Schutz des völkischen und staatlichen Bestandes gezogen sei. Ein derartiger Schutz wird in der „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ gefunden. Auf diesen Nenner also wurde die Glaubens- und Gewissensfreiheit in vorsichtigen Worten gebracht. Die „Volksgenossen“ wären nach dieser Auffassung also berechtigt gewesen, religiöse Eindrücke in ähnlicher Weise abzuwehren, wie es nach dem bürgerlichen Recht zum Beispiel gegenüber ungebührlicher Rauch-, Gas-, Geruch- oder Geräuschentwicklung zulässig ist.

Eine solche Auslegung der Glaubensund Gewissensfreiheit war selbstverständlich früher dem deutschen und noch vielmehr dem österreichischen Rechte fremd. Sie widerspricht dem Wortlaute und dem Sinne der betreffenden verfassungsrechtlichen Grundnormen. Wir wir oben dargelegt haben, kann sie nicht im Wege der Interpretation eine Rechtfertigung finden, da unser Recht auf diesem Gebiete den Standpunkt der Toleranz vertritt.

Solche öffentliche Verfälschungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit sind aber geeignet, in der Allgemeinheit unrichtige Meinungen über die Rechtslage aufkommen zu lassen. Es soll somit nochmals betont werden, daß es sich da um typisches nationalsozialistisches Gedankengut handelt, das nach österreichischem Recht abzulehnen ist und im heutigen österreichischen Staat keinen Platz hat.

Dies gilt auf allen Gebieten der öffentlichen Verwaltung, in denen religiöse Fragen in Betracht zu ziehen sind. Diese Fragen sind also primär vom positiven Standpunkt der Glaubens- und Gewissensfreiheit aus zu behandeln. Besonders gilt dies für das österreichische Schulwesen, da hier immer noch die Grundregel des Reichsvolksschulgesetzes, die sittlich-religiöse Erziehung, maßgebend zu sein hat. Eine Annahme, daß an erster Stelle das nichtreligiöse Empfinden das Recht habe, berücksichtigt zu werden, bedeutet in diesem staatlichen Verwaltungszweige Unkenntnis des österreichischen Rechtes.

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