6719668-1965_07_03.jpg
Digital In Arbeit

Verjährung: ja oder nein?

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Auffassungen und Rechtsmeinungen trete ich nicht gerne in der Tagespresse hervor. Das von Ihnen angeschnittene Problem ist jedoch so geartet, daß ich von meiner Grundeinstellung eine Ausnahme machen zu müssen glaube.

Mir wurde vor kurzem in einem Klub, in dem lebhaft über das Für und Wider dieser Frage diskutiert wurde, die gleiche Frage gestellt. Ich habe an den Frager, der nach einer endlichen Beendigung der Verfolgung jener Untaten, die zwischen 1938 und 1945 begangen wurden, rief, eine Gegenfrage gestellt:

Nehmen wir an, der Mörder der kleinen Opernelevin oder ein Engleder wäre mit seiner Untat erst nach der Verjährungsfrist gestellt worden. Sind Sie der Meinung, daß er dann ohne jedes gerichtliche Verfahren hätte verbleiben sollen und daß es der Zeitablauf von 20 Jahren sittlich rechtfertigen würde, ihn nun als unbescholtenen Menschen in unserer Gemeinschaft zu dulden? Wäre er gestellt worden, hätte er lebenslänglich bekommen. Eine Verjährungsfrist hätte also praktisch niemals begonnen; weil er es aber verstanden hat, unterzutauchen und getarnt in der Masse zu verschwinden, soll er nach Ablauf einer viel kürzeren Frist ein vollwertiges Glied der Gesellschaft bleiben, das sogar die Berechtigung hat, zum Volksvertreter gewählt zu werden oder ein öffentliches Amt auszuüben? Auf diese Frage wurde tnir geantwortet, daß dies etwas anderes sei, worauf ich um eine Begründung für diese Auffassung bat, die aber ausblieb.

Damit stehen wir aber vor dem Problem und können nach meinem Dafürhalten lediglich zu der Auffassung kommen, daß ein Mord, der also in einem höheren Sinn niemals eine Wiedergutmachung möglich macht und der zur Zeit der Todesstrafe nach Paragraph 231 StG. nicht voll verjährte, durch eine Anpassung dieser Gesetzesbestimmung an die Bedürfnisse der heutigen Zeit von der Verjährung auszunehmen wäre. Das Gesetz, das im österreichischen Rechtsbereich die Todesstrafe abschaffte, hatte sicher nicht die Absicht, den Mord und andere Kapitalverbrechen nun verjährbar zu machen. Hätte der Gesetzgeber das gewollt, dann hätte er den Paragraphen 231 StG. überhaupt gleichzeitig aufgehoben.

Wenn wir zu dieser Forderung und Auffassung schon bei den politisch nicht akzentuierten Formen der absichtlichen Tötung eines oder mehrerer Menschen gelangen, kommt bei einem Ausflug ins Völkerrecht noch hinzu, daß es eine Konvention zur Verhinderung des Völkermordes gibt, der Österreich (Bundesgesetzblatt 91 vom 9. Mai 1958) beigetreten ist, welche die Verpflichtung unseres Bundesstaates enthält, Ausführungsbestimmungen zur Verhinderung oder Sühnung von Massenmorden zu erlassen. So wie vielen anderen durch Beitritt eingegangenen ähnlichen Verpflichtungen (Genfer Konvention usw.) ist leider unsere Gesetzgebung bisher auch dieser Verpflichtung noch nicht nachgekommen. Es wurde höchstens darüber diskutiert, ob diese Verpflichtungen „seif executing“ sind oder eines Ausführungsgesetzes bedürfen.

Unbestreitbar ist, daß sich ein Staat die Rückwirkung von erlassenen Strafgesetzen genau überlegen muß. Daß ein Strafgesetz rückwirkende Kraft erhalten kann, wurde im Völkerrecht und in der innerstaatlichen Rechtsordnung wiederholt bejaht und könnte nach meinem Dafürhalten, ohne ethisch eine Rechtsverletzung zu bedeuten, auch im gegenständlichen Fall bejaht und vorgenommen werden, zumal die Verfolgbarkeit solcher Untaten faktisch gar nicht schon im Jahre 1945 beginnen konnte, sondern erst wesentlich später, als die von den Siegerstaaten beschlagnahmten Archive selbst erst einen Einblick in jenen Personenkreis möglich machten, der an diesen Untaten beteiligt war. Die Beschlagnahme der Archive und die Verweigerung ihrer Überlassung an die besiegten Staaten sind ein so absolutes Verfolgungshindernis, das mindestens gleiche Kraft besitzt wie der in unserem geltenden Strafgesetz aufgezählte Umstand des Paragraphen 229 c StG. (Flucht in das Ausland), der zum Beispiel einer Verjährung entgegensteht. Es könnte daher durch gesetzliche Feststellung des Zeitpunktes, von dem an die Verfolgungsmöglichkeit bestand, die Rechtsfrage — und es ist nichts anderes als eine Rechtsfrage und keine ethische Frage — vielleicht auch ohne Rückwirkung der Verjährungsbestimmungen gelöst werden. Das aber dürfte unsere Volksvertretung nicht hindern, endlich das Ausführungsgesetz für die Völkermordkonvention und die Statuierung einer Bestimmung zu schaffen, daß ein Mord, ähnlich wie es Paragraph 231 StG. vorsieht, überhaupt nicht verjährt.

Ist aber ein Mord wirklich so geartet, daß ihm irgendwo auch ein sittliches Motiv zugrunde liegt, dann ist im Gnadenrecht Raum vorhanden, um die mit einem solchen Gesetz verbundenen Härten zu mildern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung