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Erhöhung der Verjährungsfrist

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Auf Ihr Schreiben vom 19. Jänner 1965, in dem Sie mich erstens als namhaften Juristen bezeichnen und zweitens nach meiner Meinung schlechthin zum Thema der Verjährung der in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen fragen, ob der Gesetzgeber Voraussetzungen schaffen soll, die eine weitere Verfolgung ermöglichen, möchte ich als Verwaltungsjurist, der eigentlich seit Absolvierung der Hochschule nur mit Spezialfragen der Verwaltung zu tun gehabt hat, mich primo loco nicht in den Kreis der namhaften Juristen einreihen, aber an erster Stelle die Frage der Notwendigkeit der Schaffung von gesetzlichen Voraussetzungen hundertprozentig und energisch bejahen, und zwar nicht nur als Präsident der Österreichischen Widerstandsbewegung, sondern als österreichischer Patriot und Mensch.

Es geht nicht um die Frage der Vergeltung, denn diese scheint mir von untergeordneter, ich möchte sagen von geringer Bedeutung. Die Frage der Vergeltung ist im allgemeinen eine sehr problematische; es können die Verbrechen in ihrer Größe und Scheußlichkeit gar nicht vergolten werden. Die Kriegsverbrecherprozesse tragen aber dazu bei, die historische Wahrheit über die in der Nazizeit begangenen Verbrechen bis in alle Einzelheiten bloßzulegen. Sie erfüllen damit eine erzieherische Aufgabe, die nicht unterschätzt werden darf.

Es ist bekannt, daß sich noch eine große Anzahl von nazistischen Kriegsverbrechern in Freiheit befindet. Der eben zu Ende gegangene Prozeß gegen den Kriegsverbrecher Franz Novak scheint eine eindringliche Mahnung zu sein: spricht doch alles dafür, daß noch andere „Schreibtischmörder“ in Freiheit sind und niemals zur Verantwortung gezogen werden könnten, wenn im Juni 1965 die Verjährung in Kraft tritt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die in der Weltöffentlichkeit stark beachteten Erklärungen des stellvertretenden Hauptanklägers der USA in Nürnberg, Dr. Robert Kempner.

Das Eintreten der Verjährung im Juni 1965 würde eine Ermunterung für alle Unbelehrbaren bedeuten. Die Mörder könnten sich offen zu ihren Verbrechen bekennen und die Massenmorde als „Pflichterfüllung“ bezeichnen. Es ist daher eine staatspolitische Notwendigkeit, die Verjährungsfristen zu verlängern.

Die Gefahr der Gloriflzierung der Hitler-Epoche besteht zweifellos. Sehen wir doch, daß Kriegsverbrechen, wie zum Beispiel der Überfall auf Norwegen, Narvik als Heldentaten zu feiern, immer wieder versucht wurde, sehen wir doch die Tendenz, daß immer wieder von gewissen Seiten versucht wird, Aktionen der aliüerten Streitmächte — selbst wenn man deren Notwendigkeit in manchen Fällen vielleicht anzweifeln kann — mit bewußten, heuchlerisch getarnten Bestialitäten der Nazimachthaber auf die gleiche Stufe zu stellen.

Ich kann mir vorstellen, daß gerade idealistisch gesinnte junge Leute dieser Art Propaganda zum Opfer faillen, insbesondere wenn man die Verbrechen der NS-Zeit verschleiert, verniedlicht oder gar zu verleugnen versucht, wie ja bereits ab 1945 immer wieder versucht wird.

Zur juristischen Seite nun darf ich sagen, daß ich mir selbstverständlich hierzu Gedanken gemacht und mich zu informieren getrachtet habe. Es erscheinen vom Standpunkt der Verfassung gewisse Bedenken hinsichtlich des Prinzips der Rückwirkung und hinsichtlich des Prinzips der Gleichheit vor dem Gesetz gegeben. Die Justizverwaltung erscheint mir gezwungen, einen Beweisnotstand aufzuzeigen und nachweisen zu müssen, daß Beweismomente erst offenkundig und zugänglich geworden sind. Ich glaube, die Gerichte würden aber in einen Beweisnotstand kommen und „in dubio pro reo“ wäre mit einer großen Anzahl von Freisprüchen zu rechnen. Es ist auch die Frage zu prüfen, ob nicht bei vielen Tatbeständen bereits früher eine Verjährung eingetreten ist.

Ich sehe eine einfache und klare Regelung, die, glaube ich, auch im allgemeinen einen großen praktischen Wert hätte, darin, daß die Verjährungsfristen für Kapitalverbrechen generell von nur bisher 20 Jahre auf, sagen wir, 30 Jahre erhöht würden. Dies nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß es Staaten gibt, und auch in Österreich galt, wo Kapitalverbrechen überhaupt nicht verjähren. Ich halte diese einfache Lösung, wie alles Einfache, für eine praktische Lösung.

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