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Anders als im Dritten Reich...

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Bei Erörterung der Frage, ob für die in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen schweren Verbrechen die Verjährungsfristen verlängert werden sollen, muß zuerst die Frage beantwortet werden, ob überhaupt eine Verjährung der schwersten Verbrechen gerechtfertigt ist. Ich möchte diese Frage verneinen. Mag auch bei weniger schweren strafbaren Handlungen nach Ablauf einer langen Zeit und bei Vorliegen anderer Voraussetzungen das öffentliche Interesse an der Bestrafung des Täters schwinden, so gilt dies nicht für besonders schwere Taten. Unser geltendes österreichisches Recht kennt auch eine Verjährung bei den schwersten Verbrechen nicht, wenn auch nach Ablauf von 20 Jahren bei Vorliegen der anderen Voraussetzungen nicht mehr die schwerste Strafe (früher Todesstrafe, jetzt lebenslange Kerkerstrafe), sondern nur eine solche von zehn bis zwanzig Jahren verhängt werden kann. Dieser Grundsatz erscheint mir richtiger als der des vorliegenden Entwurfs eines neuen Strafgesetzes, der im Paragraph 65 keine Ausnahme für die schwersten Verbrechen kennt. Vertritt unser geltendes Recht diesen Standpunkt schon bei Einzeltaten, so ist es zweifellos noch mehr gerechtfertigt, wenn man für die schweren Verbrechen, die während des Krieges begangen wurden und die ein in der neueren Geschichte einmaliges Ausmaß angenommen haben, eine Verjährung ablehnt.

Für die österreichische Rechtsordnung hat daher die Frage, ob durch ein rückwirkendes Gesetz Verjährungsfristen verlängert werden sollen, bei schweren Verbrechen nur für die erwähnte Milderung der Strafdrohung eine Bedeutung. Hier muß bemerkt werden, daß die vorgekommenen Ermordungen immer unter die schweren Verbrechen fallen werden, bei denen eine Verjährung ausgeschlossen ist.

Abgesehen hiervon hat für die österreichische Rechtssprechung die Frage, ob Verjährungsfristen für Kriegsverbrechen durch andere Staaten verlängert werden sollen, dann eine Bedeutung, wenn nach den Regeln des internationalen Strafrechts in Österreich auf ein milderes ausländisches Recht Bedacht genommen werden muß.

Zur Frage einer gesetzlichen Änderung der Verjährungsbestimmungen muß man aber sagen, daß an sich die Schwere der Verbrechen, um die es sich handelt, und ihre Verwerflichkeit zweifellos eine weitere Verfolgbarkeit rechtfertigen würden. Dies kann aber nur durch ein rückwirkendes Gesetz erreicht werden. Ein solches würde aber, da es den Täter nachträglich schlechter stellt, dem Grundsatz des Artikels IX des Kundmachungspatents unseres Strafgesetzes widersprechen, ebenso aber auch der Bestimmung des Paragraphen 79 des vorliegenden Strafgesetzentwurfes. Die Schaffung eines solchen Gesetzes wäre aber sicher möglich.

Ich vertrete aber die Ansicht, daß im Interesse der Rechtsordnung, da es allgemeingültigen Grundsätzen widersprechen würde, ein solches Gesetz nicht erlassen werden soll. Das Recht muß wie ein Fels im tobenden Meer stehen. Gerade in der Zeit des Nationalsozialismus wurde dies nicht beachtet. Ein Rechtsstaat soll aus dieser grundsätzlichen Einstellung. lieber ein im Einzelfall nicht befriedigendes Ergebnis in Kauf nehmen.

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