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Der Strafrechtskodex und „Nebengesetze“

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Der Entwurf wird nämlich wiederum ein Strafrechtsko de x sein, und damit ein Gesetzbuch, das im wesentlichen sämtliche strafrechtliche Bestimmungen vereinigt. Das ist das Ziel jeder Strafrechtsgesetzgebung. Im Jahre 18$2 war auch unser geltendes Gesetz ein solcher Kodex: er blieb es nicht. Das Gesetz wurde nicht nur durch Novellen im Inhalt verändert, sondern es wurde durch einzelne strafrechtliche Nebengesetze geradezu gesprengt. Solche Nebengesetze hatten wir in der Zeit von 1850 bis 1918, also in der Zeit der Monarchie — ich greife nur das Exekutionsvereitelungs-gesetz, das Wahlgesetz oder das Wuchergesetz heraus —, hatten wir in der Zeit von 1918 bis 1938 — siehe das Preßgesetz und das Staatsschutzgesetz — und hatten wir auch zum Teil wiederaufgehobenen Gesetze der Jahre 1938 bis 1945 und schließlich die strafgesetzlichen Bestimmungen seit dem Jahre 1945. Die strafrechtlichen Normen traten eben aus den Ufern. Dazu kam noch, daß viele Bestimmungen des Strafgesetzes im Laufe der Zeit außer Kraft gesetzt wurden. Also ein zum Teil unvollständiges Gesetz, ein Strafgesetz mit einer Überfülle von strafrechtlichen Nebengesetzen und ein Strafgesetz, bei dem Novellierungen und Nebengesetze aus zwei Jahrhunderten und den verschiedensten Zeitabschnitten einander gegenüberstehen, so daß von einer einheitlichen Ausrichtung und Anwendungsmöglichkeit nur sehr schwer gesprochen werden kann. Daß es überhaupt möglich war, mit diesem Gesetz, das für die moderne Rechtsprechung und Lehre in manchen Fällen nur Ansatzpunkte gab. fast 150 Jahre durchzukommen, danken wir einzig und allein der anpassungsfähigen Rechtsprechung und lebensnahen Lehre.

Auch das künftige Strafgesetz wird nicht alle Strafrechtsnormen umfassen, aber dennoch Bestimmungen, wie die des Sprengstoffgesetzes, des Wuchergesetzes, der Verletzung des Briefgeheimnisses, der strafbaren Handlungen bei Wahlen, der Umgehung von Wehrpflicht und Wehrmittelsabotage, der Exekutionsvereitelung und andere Bestimmungen mehr, die eben bisher in Nebengesetzen verankert waren, enthalten. Daß dem allumfassenden Charakter des Strafgesetzes Schranken gesetzt sind, beweist, daß man auch in d*r zweitp Lesung beschlossen hat, die 'Strafbestimmungen zum Schutze der Lebensmittel, ebenso wie die Strdf-bestimmungen in Beziehung auf die Seeschiffahrt, nicht in das neue Strafgesetz hineinzunehmen, weil diese Bestimmungen, ebenso wie zum Beispiel die Strafbestimmungen des Kartellgesetzes und dergleichen mehr, den einzelnen Sondergesetzen auch künftighin vorbehalten sein sollen.

Wie schwankend die Auffassung in dieser Richtung ist und sein kann, zeigt, daß man sich erst in der zweiten Lesung für die Ausscheidung der Bestimmungen, die nunmehr im neuen Jugendgerichtsgesetz verankert sind, entschlossen hat,

Vollständig geändert wurde die Systematik dieses Gesetzes, und dies mit Grund. Für das 20. Jahrhundert ist charakteristisch die Hinwendung zum Individuum, die Betonung der Würde des Menschen als Persönlichkeit und damit auch die später noch zu besprechende Eröffnung des Einflusses des Sozialen auf das Recht. Die rechtlich geschützten Glieder des einzelnen werden daher in den modernen Gesetzen zuerst behandelt, und den Schluß bilden die strafbaren Handlungen gegen den Staat. Unsere Anschauungen kamen zum Tragen bei der Einteilung der strafbaren Handlungen gegen den einzelnen, weil den Angriffen auf Leib und Leben, nicht wie in der ersten Lesung, die Vermögensdelikte folgen, sondern die Angriffe auf die Freiheit, dann die auf die Ehre, und erst an den Schluß sind die Angriffe auf das Vermögen gestellt. Daß die Angriffe auf die Religion, auf die Sittlichkeit, auf die Ehe und Familie als verwandte Delikte zusammengefaßt und den strafbaren Handlungen gegen den Staat vorangestellt wurden, entspricht wohl auch unserer Anschauung.

Wenn wir auch wissen, daß die systematische Reihung der Delikte nicht unbedingt ein Gradmesser für die Wertung der einzelnen Delikte darstellt, weil sachliche Zusammenhänge mitunter eine bewertungsfremde Zusammenfassung notwendig machen, so wird doch im großen und ganzen mit dieser Systematik die Bewertung der einzelnen Rechtsgüter durch den Gesetzgeber sinnfällig gemächt. rf->ii

In diesem Zusammenhang soH auch die Änderung der Gesetzgebungstechnik erwähnt werden. Das österreichische Strafgesetz unterschied zwischen den Verbrechen einerseits und den Vergehen und Übertretungen anderseits und faßte die Verbrechen in den 1 bis 232, die Vergehen und Übertretungen im zweiten Teil ( 233 bis 532) zusammen. Nicht nur, daß diese Trennung im künftigen Recht fehlen wird, wird auch jedwede Doppel-geleisigkeit beseitigt werden. Es werden daher die Bestimmungen über Anstiftung, Beihilfe, Versuch, Schuld, Strafe, vorbeugende Maßnahmen sowie Verjährung nur einmal im Allgemeinen Teil festgelegt werden. Es werden auch die Strafrechtsnormen, welche die bedingte Entlassung und die Tilgung betreffen und die bisher in strafrechtlichen Nebengesetzen verankert waren, nunmehr in dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzes systematisch richtig und den Umfang des Gesetzes wesentlich verkürzend, aufgenommen werden.

Wissenschaft und Judikatur haben zu einer präziseren Umschreibung von Rechtsbegriffen, also zu einer Verfeinerung der Begriffsbestimmungen geführt. Der Erpressungstatbestand des geltenden Gesetzes wurde aufgespal-

ten in das Vermögensdelikt der Erpressung und in die nur eine strafbare Handlung gegen die Freiheit darstellende Nötigung. Der Veruntreuung wurde nunmehr die Unterschlagung an die Seite gestellt. Hier sei als neues Vermögensdelikt auch die dauernde Sachentziehung erwähnt. Die Aufgliederung des monströsen Betrugstatbestandes unseres Gesetzbuches in einen echten Betrug und die weitere Ausscheidung der sogenannten unechten Betrugsdelikte, wie der strafbaren Handlungen gegen die Zuverlässigkeit der Urkunden und Beweiszeichen (Urkundenfälschung, Urkundenunterdrückung, Grenzzeichenfälschung), ebenso wie der falschen Zeugenaussage usw., die nunmehr als eigene Delikte kriminalisiert werden, ist ein weiterei Beispiel.

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