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Jugendfürsorge und Strafgesetzreform

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In der Nummer 16 der „Oesterreichischen Furche“ wurde von maßgebender Seite über die Strafrechtsenquete vom 2. April 1954 berichtet. Die österreichische Jugendfürsorge, die nach jahrzehntelangen Bemühungen endlich das lang entbehrte Jugendwohlfahrtsgesetz erreicht hat, muß, soweit dies nicht schon bei dieser Enquete geschehen ist, im Interesse der österreichischen Jugend auf einige notwendige Reformen aufmerksam machen, die bei einer Neufassung unseres Strafgesetzes nicht übersehen werden sollten.

Erhöhung des Schutzalters bei Sittlichkeitsdelikten. Tn allen modernen Strafgesetzen ist das Schutzalter für sittliche Verfehlungen an Kindern mindestens 16 Jahre. Der Artikel 196 des schweizerischen Strafgesetzes stellt sogar jede Verführung einer Minderjährigen von mehr als 16, aber weniger als 18 Jahren durch Mißbrauch ihrer Unerfahrenheit und ihres Vertrauens unter Strafe. Der Artikel 191 des schweizerischen Strafgesetzes bestraft jedermann mit Zuchthaus, der ein Kind unter 16 Jahren zum Beischlaf oder zu einer anderen unzüchtigen Handlung mißbraucht oder verleitet oder aber eine unzüchtige Handlung vor einem solchen Kinde vornimmt. Auch das deutsche Strafgesetz § 182 stellt den Beischlaf mit einem noch nicht 16jährigen unbescholtenen Mädchen unter Strafe Gefängnis bis zu einem Jahr. Bei der unbestrittenen Zunahme der von Erwachsenen begangenen Sittlichkeitsdelikte muß eine zielbewußte Jugendfürsorge zumindest dafür sorgen, daß die heranwachsende Jugend gegen derlei Delinquenten soweit als möglich strafrechtlich geschützt wird. Das Schutzalter bei Notzucht und Schändung muß daher bei einer Strafrechtsreform mindestens auf 16 Jahre erhöht werden. Es wäre aber weiter bei dem heutigen sittlichen Tiefstand zum Schutte der 16- bis 18jährigen Mädchen eine ähnliche Bestimmung wie der Artikel 196 des schweizerischen Strafgesetzes in unser Strafgesetz aufzunehmen.

Vernachlässigung der Aufsicht und Erziehung von Kindern. Sowohl das schweizerische als auch das deutsche Strafgesetz enthält Bestimmungen über die Verletzung der Erziehungspflicht durch die Eltern, so Artikel 219 des schweizerischen Strafgesetzes und § 170 d des deutschen Strafgesetzes. Das deutsche Strafgesetz bestraft die Vernachlässigung der Erziehung und Sorgepflicht, wenn dadurch das körperliche und sittliche Wohl des Kindes gefährdet erscheint. Eine ähnliche Bestimmung kennt unser Strafgesetz nicht. Der § 376 StG. handelt nur von der Verletzung der schuldigen Aufsicht, wodurch ein Kind körperlich gefährdet wird. Das Untet- haltsschutzgesetz vom 4. Februar 1925 hinwieder stellt nur die Verletzung der Unterhaltspflicht, nicht aber die Verletzung der Erziehungspflicht unter Strafe. Die Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 wurde im Jahre 1952 aufgehoben. Sie enthielt im § 4 eine klare Bestimmung, nach der jeder straffällig wurde, der das körperliche oder sittliche Wohl eines Kindes durch Vernachlässigung seiner Fürsorge- oder Erziehungspflicht gröblich verletzt. Die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Jugendämter hat sich — leider erfolglos — bemüht, eine ähnliche Bestimmung durch Gesetz oder Verordnung in das österreichische Recht aufzunehmen, die in der heutigen Zeit der gesteigerten und meist auf vernachlässigte Erziehung zurückzuführenden Jugendkriminalität besonders notwendig wäre. Denn der Entzug der väterlichen Gewalt, wie ihn für solche Fälle die §§ 177 und 178 unseres bürgerlichen Gesetzbuches androhen, ist für derartige nicht verantwortungsbewußte Eltern, wie dies die Praxis der Jugendämter immer wieder er- fahren muß, keinerlei Abschreckungsmittel.

II. K i n d e s m i ß h a n d 1 u n g e n. Es ist leider eine Tatsache, daß die körperliche und seelische Mißhandlung, ja Tötung von Kindern in letzter Zeit sehr zugenommen hat. Ich verweise nur auf zwei Fälle der jüngsten Zeit. Der eine Vorfall spielte sich im Vorjahre in einem Ort der südlichen Steiermark ab, wo ein Landwirt das Kind seiner Frau jahrelang in einer Stallkammer wie ein Stück Vieh verborgen hielt. Der andere Fall betrifft den fünfjährigen Heinz Legi, der am 7. November 1953 von seinem Stiefvater in Wien buchstäblich zu Tode geprügelt wurde. Wenn auch so furchtbare Verbrechen nach den Bestimmungen unseres Strafgesetzes ihre verdiente Ahndung finden, fehlen uns geeignete Bestimmungen für nicht bis zur Tötung oder schweren Körperverletzung führende körperliche Kindesmißhand- lungen und besonders auch gegen jedwede seelische Mißhandlung und Grausamkeit. Der §414 StG., der sich überhaupt nur mit körperlicher Mißhandlung beschäftigt, erscheint nach den Erfahrungen der Praxis in der heutigen Zeit vollkommen ungeeignet, Eltern von derlei Ueberschreitungen ihres Züchtigungsrechtes abzuhalten, sieht er doch einen gerichtlichen Verweis erst bei Rückfall und als höchste Strafe bei neuerlichem Rückfall den Entzug der elterlichen Gewalt vor. Daß dieser Entzug von manchen Eltern alles eher als eine Strafe empfunden wird, wurde bereits oben angedeutet. Daß die „Bestrafung“ von Kindesmißhandlung nach der heutigen Gesetzgebung unzulänglich ist, wurde bereits in der Strafrechtsenquete vom 2. April 1954 von Professor Dr. Gschnitzer festgestellt. Auch die steiermärkische Landeskonferenz der „Kinderfreunde“, die kürzlich in Graz tagte, hat sich mit diesem Gegenstand beschäftigt und die Forderung nach einem Gesetz zum Schutze der Kinder vor seelischen und körperlichen Mißhandlungen durch die Eltern und Erzieher erhoben. Wie sehr andere Länder dem Problem der Kindesmißhandlungen zu Leibe rücken, geht wohl auch aus dem kürzlichen Beschluß der französischen Nationalversammlung hervor, der bei tödlicher Kindesmißhandlung die Todesstrafe vorsieht.

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