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Die „Arisierung”

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Der Tatbestand der mißbräuchlichen Bereicherung (§ 6 Kriegsverbrechergesetz, sogenannte „Arisierung”) gehört zu den umstrittensten Tatbeständen unseres derzeitigen Strafrechtes. Dadurch, daß im volksgerichtlichen Verfahren kein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist und der Oberste Gerichtshof nur im Wege des Überprüfungsverfahrens in die Lage kommt, zu den Tatbeständen des Verbotsgesetzes und Kriegsverbrechergesetzes Stellung zu nehmen, sind bisher nur vereinzelte Entscheidungen erflossen. Eine einheitliche Praxis hinsichtlich dieses Tatbestandes hat sich daher noch nicht entwickelt, zumal auch die Erörterungen in der Literatur sehr spärlich sind. Die Auffassungen in der Praxis gehen weit auseinander.

Während die einen fast in jeder Entziehung, beziehungsweise jedem Kauf eines Vermögensobjekts von einem Juden oder sonst politisch Verfolgten während der deutschen Herrschaft das Verbrechen nach § 6 Kriegsverbrechergesetz erblicken wollen, vertreten die anderen die Auffassung, daß von einer „mißbräuchlichen Bereicherung” nur dann gesprochen werden kann, wenn der Gegenwert unter der Hälfte des wahren Wertes liegt, ohne besonders auf die Umstände, unter denen die mißbräuchliche Bereicherung erfolgte, Bedacht zu nehmen. Zur Klarstellung und als Beitrag zu einer einheitlichen Rechtsauffassung sei daher zu diesem Problem im folgenden Stellung genommen, wobei auch auf einige praktische Beispiele hingewiesen werden soll:

§ 6 Kriegsverbrechergesetz („mißbräuchliche Bereicherung”), besagt:

„Wer in der Absicht, sich oder anderen un- .verhältnismäßige Vermögensvorteile zuzuwenden durch Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung oder überhaupt durch Ausnützung nationalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen fremde Vermögensbestandteile an sich gebracht oder anderen zugeschoben oder sonst jemanden an seinem Vermögen Schaden zugefügt hat. wird wegen Verbrediens mit Kerker von 1 bis 5 Jahren, wenn aber der zugewendete Vorteil ein bedeutender oder der angerichtetc Schaden ein empfindlicher war, mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren bestraft.”

Diese Gesetzesbestimmung enthält drei Tatbestände, und zwar:

1. Wer in der Absicht, sich oder anderen un verhältnismäßige Vermögensbestandteile zuzuwenden durch Ausnützung nationalsozialistischer Machtergreifung oder durch Ausnützung nationalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen fremde Vermögensbestandteile an sich gebracht hat;

2. unter den gleichen Voraussetzungen fremde Vermögensobjekte anderen zugeschoben hat;

3. unter diesen Bedingungen jemand an seinem Vermögen Schaden zugefügt hat.

Straferschwerend ist es, wenn dar z u- gewendete Vorteil ein bedeutender oder der angerichtete Schaden ein empfindlicher war.

Zur Vollendung des Deliktes wird sohin unbedingt, wie gerade aus der Strafverschärfung hervorkommt, der tatsächlich zugewendete Vorteil und der tatsächlich angerichtete Schaden erforderlich sein. Waren diese Voraussetzungen nicht gegeben, so kann von einem vollendeten Delikt überhaupt nicht gesprochen werden. In der Absicht allein, einen solchen Vorteil sich zuzuwenden oder einen Schaden anzurichten, kann aber niemals die Vollendung des Deliktes erblickt werden. Bei Erfüllung der übrigen Tatbestandsmerkmale, falls ein Vorteil nicht zugewendet und e i n Schaden nicht angerichtet wurde, kann daher bloß der Tatbestand des Versuches gegeben sein, wobei auf die Erfüllung der einzelnen Tatbestandsmerkmale ein strenger Maßstab anzulegen und eingehend bei Beurteilung des Sachverhaltes zu prüfen sein wird, ob nicht bloß Vorberei- •tungshandlungen vorliegen. Während die Fälle der mißbräuchlichen Bereicherung durch Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung anläßlich der Annexion Österreichs and der generell durchgeführten Maßnahmen, soweit sie anläßlich der Rath-Affäre und der sonstigen Plünderungen und Pogromaffären durchgeführt wurden, keine besonderen Schwierigkeiten bieten, weil die Beweisfrage, ob die Vermögensentziehung oder -Zuschiebung durch List, Lug oder Gewalt oder auf Grund sonstiger widerrechtlicher Handlungen erfolgt ist, leicht gelöst werden kann, sind die Fälle, bei denen der Übergang der Vermögensobjekte auf Grund von Rechtsgeschäften oder behördlichem Akt erfolgte, weit schwieriger zu beurteilen.

In allen diesen Fällen ist auf das Tatbestandsmerkmal der Zuwendung eines unverhältnismäßigen Vermögens Vorteiles besonderer Wert zu legen, weshalb die Gesetzesstelle auch mit „mißbräuchlicher Bereicherung” überschriftet ist. Jedoch nicht jeder Kauf oder Erwerb von Vermögensobjekten von Juden oder sonst politisch Verfolgten zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kann als mißbräuchliche Bereicherung angesehen werden, insbesondere dann nicht, wenn der Verkauf oder die Überlassung im wirklichen Einverständnis beider Teile erfolgt ist. Wenn geradezu der Eigentümer den Übernehmer aus persönlichen, geschäftlichen oder beruflichen Gründen erwiesenermaßen ersuchte und gebeten hat, die Vermögensobjekte zu einem, wenn auch unverhältnismäßigen Gegenwert zu übernehmen, so kann man von mißbräuchlicher Bereicherung im Sinne des Straftatbestandes nach § 6 Kriegsverbrechergesetz nicht sprechen, weil insbesondere das Tatbestandsmerkmal der „Ausnützung”., d. i. eine verbrecherische Erringung (siehe Oberstgerichtliche Entscheidung vom 28. März 1947, 4 Os 43M6) — und dies ist das weitere wesentliche Tatbestandsmerkmal — fehlt. Die bloße Absicht, ein gutes Geschäft zu machen, genügt nicht. (OGH v. 20./6. 47, 5 Os 48/47.) Unter Ausnützung darf man nicht ein bloßes Benützen oder Gebrauchen der nationalsozialistischen Einrichtungen und Maßnahmen verstehen. Das Wort „ausnützen” drückt eben schon die mißbräuchliche Art, die erforderlich ist, aus.

Daß Juden — ich spreche im allgemeinen von rassisch Verfolgten, weil gerade gegen diese in erster Linie und hauptsächlich die Aktionen des nationalsozialistischen Regimes geführt wurden — ihre Liegenschaften und Vermögensobjekte nicht behalten konnten, war durch das Zwangssystem des Dritten Reiches bedingt. Die hohen Steuern, die Judenauflage und sonstige Schikanen waren maßgebend, daß früher oder spater im allgemeinen die Vermögensobjekte verkauft werden mußten. An und für sich kann bei dieser allgemeinen Zwangslage der Erwerb auf Grund amtlicher Schätzung nicht als mißbräuchliche Bereicherung im Sinne des Kriegsverbrechergesetzes angesehen werden, wenngleich dieser Kauf auf Grund der Rückstellungsgesetze im Zivilrechtswege angefochten werden kann, da ja auf der Verkäuferseite, wie oben angeführt erscheint, im allgemeinen eine objektive Zwangslage, ob nun der Verkäufer einverstanden war oder nicht, Vorgelegen war, insbesondere dann, wenn der Eigentümer sich nicht mehr in ölterreich befand und durch Bevollmächtigte handelte. Gerade, was den Verkauf eines Vermögensobjekts durch, einen Bevollmächtigten anlangt, wird jedenfalls die nachträgliche Genehmigung durch den Eigentümer von wesentlicher Bedeutung sein..

Zur strafrechtlichen Seite des Problems muß aber insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung oder sonstiger nationalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen, also die innere subjektive Tatseite vorliegen. Die Tatsache des Ankaufes, beziehungsweise Erwerbes zur Zeit der deutschen Herrschaft allein als Tatbestand des Verbrechens nach §- 6 Kriegsverbrechergesetz in Anbetracht der allgemeinen Zwangslage anzusehen, würde als Anerkennung des Prinzips der Kollektivschuld unserem Rechtssystem widersprechen. Das Tatbestandsmerkmal der „Ausnützung” ist daher wesentlich; es wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn jemand anläßlich der nationalsozialistischen Machtergreifung oder während der deutschen Herrschaft sich gewalttätiger Methoden, betrügerischer oder sonstiger verbrecherischer Handlungen bedient oder wenn jemand bloß unter Berufung auf seine besonderen Verdienste um die Partei oder als Wiedergutmachung oder aus sonstiger Begünstigung durch Parteistellen ,oder nationalsozialistische Funktionäre bei der Vergebung, beziehungsweise Genehmigung des Erwerbes besonders berücksichtigt wurde und sich dadurch unverhältnismäßig bereichert oder Dritten Vermögensobjekte zuschiebt, wodurch eine wesentliche Bereicherung einjüdischen Liegenschaften und Vermögensobjekte weit unter dem wirklichen Wert, wie heute einwandfrei feststeht, geschätzt wurden.

Der Tatbestand der mißbräuchlichen Bereicherung wird sohin dann vorliegen, wenn jemand sich oder einem anderen im Mißverhältnis zur Gegenleistung unverhältnismäßige Vermögenszuwendungen in verbrecherischer Erringung verschafft oder Dritten Schaden zugefügt hat,, und zwar durch „Ausnützung” (Ausbeutung) der durch den Nationalsozialismus geschaffenen Lage, oder dessen Einrichtungen und Maßnahmen, sofern sich der Geschädigte aus rassischen, politischen und weltanschaulichen Gründen in einer Zwangslage befand. Da vor allem Juden Vermögensobjekte entzogen und diese in arischen Besitz übergeführt wurden, hat sich der Ausdruck „Arisierung” herausgebildet. Der Tatbestand der mißbräuchlichen Bereicherung, beziehungsweise Arisierung darf aber nicht bloß auf Entziehung jüdischen Eigentums abgestellt werden, sondern gilt für jede Entziehung unter den angeführten Voraussetzungen.

Grundsätzlich wird daher gesagt werden müssen, daß beim Tatbestand der „mißbräuchlichen Bereicherung” jeweils ein Tatbestand des allgemeinen Strafgesetzes nachklingen wird, ob es sich um den Tat bestand der Erpressung, Plünderung, Raub. Diebstahl, Veruntreuung, Betrug oder um den Tatbestand des Wuchers, welcher der mißbräuchlichen Bereicherung am nächsten kommt, oder um einen sonstigen strafrechtlichen Tatbestand handelt. Im allgemeinen wird dies bei sämtlichen Tatbeständen des Kriegsverbrechergesetzes der Fall sein und aus diesem Gesichtspunkte sind die Tatbestände des Kriegsverbrechergesetzes als rückwirkende Gesetze zu verstehen und in unser Rechtssystem einzubauen. Die Tatbestände des Kriegsverbrechergesetzes erscheinen bloß den besonderen Umständen angepaßt und finden in der rechtspolitischen und prozeß-ökonomischen Tendenz ihre Erklärung.

Zur Klarstellung seien einige Fälle aus der Praxis, welche bereits durch Volksgerichte entschieden wurden, angeführt:

X beteiligt sich nach der Annexion Österreichs 1938 an der Plünderung von Geschäften.

Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz auch dann, wenn er nur an der Verladung der Waren mitgeholfen hat.

Anläßlich der Rath-Affäre J8. November 1938) beteiligte sich X an einem Sonderkommando bei der Beschlagnahme von Schmuck und Wertgegenständen bei Juden, gleichgültig ohne oder über Auftrag von Parteifunktionären.

Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz.

X betreibt gesetzwidrig und mißbräuchlich die Ausmietung eines rassisch oder politisch Verfolgten unter Berufung auf seine Verdienste für die nationalsozialistische Bc- 1 wegung oder unter sonstiger Ausnützung der durch den Nationalsozialismus geschaffenen Lage und setzt sich in den Besitz der Wohnung’ ohne oder m t Übernahme der Einrichtungsgegenstände und Möbel zu unverhältnismäßigem Preis.

Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz; die Erwerbung und Übernahme e:ner Wohnung nach einem Juden oder politisch Ver-

tritt. Bei Zwangsversteigerungen wird der Tatbestand im allgemeinen nicht anzunehmen sein, im besonderen wird aber zu prüfen sein, ob der Zuschlag nicht auf Grund der sogenannten „Einbietgenehmigung” erfolgt ist und ob die Erlangung der Einbietgenehmigung nicht unter Umständen erfolgte, die das Tatbestandsmerkmal der „Ausnützung” im oben angeführten Sinne darstellt. Die besonderen Umstände sind es, die eben in jedem einzelnen Falle hei Beurteilung der Strafrechtsfrage herangezogen werden müssen. Dabei kommt es bei weitem nicht darauf an, ob das Vermögensobjekt unter Verletzung der Hälfte des Preises oder weniger übernommen wurde. Der Kaufpreis muß unverhältnismäßig sein, das heißt aber lange nicht, daß der Kaufpreis unter der Hälfte des wahren Wertes liegen muß, was allerdings in vielen der Fälle sein dürfte, weil ja die folgten zur Zeit der deutschen Herrschaft ohne obige Voraussetzungen stellt sich nicht als Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz dar.

X übernimmt einen jüdischen Betrieb, Unternehmen oder sonstige Vermögensobjekte unter Berufung und Hervorhebung seiner besonderen Verdienste für die nationalsozialistische Bewegung in der illegalen Zeit um einen unverhältnismäßigen Preis.

Tatbestand nach §6 Kriegsverbrechergesetz.

Der Jude oder politisdie Verfolgte bietet seinem früheren Kompagnon oder Geschäftsfreund X seinen Betrieb zum Kauf gegen einen bestimmten, wenn auch unverhältnismäßigen Betrag an. Der treuhändige Verwalter Z sticht den X aus und erwirbt zum gleichen Betrag nach Zurücklegung der Treuhandschaft und Bedrängung des Eigentümers und unter Berufung auf seine Verdienste um die Partei das Unternehmen.

Kein Tatbestand bei X, falls er die Liegenschaft erworben hätte, jedoch Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrediergesetz b e i Z.

Apotheker X, der bereits seit Jahren im Betriebe steht, wird von den Gesellschaftern, die Juden sind, gebeten, die Apotheke zu einem, wenn auch unverhältnismäßigen Preis zu übernehmen.

Kein Tatbestand (Tatbestand der Ausnützung fehlt).

Apotheker X übernimmt eine Apotheke unter Berufung auf seine alte Kämpferschaft und Verdienste um die NSDAP und Befürwortung durch Dienststellen der NSDAP zu einem nach allgemeinen Begriffen unverhältnismäßigen, nach damaliger Schätzung üblichen Sätzen.

Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz.

X übernimmt mit einem Kompagnon Z, der sich insbesondere auf seine Verdienste um die Partei beruft und besondere Befürwortung durch Parteidienststellen erbringt, ein Kino zum Schätzwert, der aber nach heutigen und damaligen Begriffen unverhältnismäßig ist und bloß nach den seinerzeitigen Schätzungen üblich war.

Tatbestand nach § 6 Kriegsverbrechergesetz bei Z. jedenfalls bei X fraglich.

Die besonderen Umstände sind eingehend in diesem Fall zu prüfen, insbesondere wird zu untersuchen sein, ob X. Kenntnis hatte, daß die Genehmigung inbesondere nur wegen der . Verdienste und der besonderen Befürwortung des Kompagnons Z erfolgt ist.

Es ist klar, daß bei der Vielfalt der Fälle immer wieder in der Beurteilung Schwierigkeiten aufkommen werden. Jedoch werden im allgemeinen die oben angeführten Richtlinien bei Beurteilung der mißbräuchlichen Bereicherung nicht unberücksichtigt bleiben können. Gerade die Rückstellungsges-etze zeigen, daß nicht jede Arisierung unter den Strafrechtstatbestand zu stellen ist. Falls dies der Gesetzgeber gewollt hätte, dann würde keine Veranlassung gewesen sein, zur Klärung und Regelung dieser Frage eigene zivilrechtliche Gesetze — Rückstellungsgesetze — zu schaffen, da auf Grund des Straftatbestandes der mißbräuchlichen Bereicherung nach den bisherigen bürgerlichen Gesetzesbestimmungen derielbe Zweck hätte erreicht werden können. Die vielfach geübte Praxis aber, im Wege eines Strafverfahrens dįe zivilrechtlichen Ansprüche zu fundieren und voranzutreiben, muß schärfstens abgelehnt werden und widerspricht einer geordneten Rechtspflege.

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