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Der Abgang des Ministers

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Der deutsche Bundestag hat in namentlicher Abstimmung mit 344 gegen 96 bei vier Enthaltungen beschlossen, die Verjährung für nationalsozialistische Mordtaten insofern um viereinhalb Jahre zu verlängern, als er die Zeit von 1945 bis 1950 von der Verjährung ausnahm, da es den deutschen Behörden in dieser Zeit nicht möglich war, nationalsozialistische Verbrechen zu verfolgen. Der Bundestag ist damit einem Kompro-mißvorschjag des CDU-Abgeordneten Güde gefolgt. Die SPD hatte in der großen Bundestagsdebatte vom 11. März die Aufhebung der Verjährung für Mord überhaupt gefordert. Dazu hat man sich nicht entschließen können. Offensichtlich wollte man dem Bundesjustizminister Bucher entgegenkommen, der erklärt hatte, bei einer Verlängerung oder Aufhebung der Verjährungsfrist sein Amt zur Verfügung zu stellen. Bucher hat die ihm gebaute Brücke nicht beschritten. Er zog am vergangenen Freitag die Konsequenzen und trat zurück. Daraus ist eine der schwersten Koalitionskrisen der letzten Zeit erwachsen, die jedoch mit so vielen politischen Problemen belastet ist, daß sie besser unabhängig von dem Problem der Verjährung betrachtet wird.

Die Haltung Buchers und der FDP erscheint zunächst vollkommen unbegreiflich. Der Verdacht liegt nahe, daß sich die Partei die Sympathien derjenigen im Wahlkampf sichern wollte, die von den KZ-Prozessen nichts mehr wissen wollen. Mit dieser Hypothese macht man sich die Sache aber zu leicht. Bücher ist vielleicht ein ungeschickter — jedenfalls aber ein aufrechter Mann, und Thomas Dehler, der sich im Bundestag ebenfalls gegen die Verjährung aussprach, ist über jeden Verdacht erhaben, aus Opportunität oder aus Sympathie für den Nationalsozialismus diese Haltung eingenommen zu haben. Es steckt hier ein Problem dahinter, das im Ausland deshalb vielleicht nicht als solches anerkannt wird, weil es dort vielfach für Mord keine Verjährung gibt. Der Standpunkt Buchers und der FDP ging davon aus, daß man sich hüten solle, gegen Nationalsozialisten Sondergesetze zu schaffen. Da im deutschen Strafrecht Mord nach 20 Jahren verjähre, so solle man es dabei belassen. Allerdings hat Bucher mit einer weiteren Bemerkung seinen eigenen Standpunkt entwertet. Er behauptete nämlioh, es sei sichergestellt, daß es keine schwerwiegenden Verbrechen aus der NS-Zeit mehr gäbe, bei denen nicht durch richterliche Handlungen die Verjährung unterbrochen sei. Diese Behauptung, die anfangs auch von der Zentralverfolgungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg unterstützt wurde, hat sich inzwischen als falsch herausgestellt. In Warschau und Prag sind ungesich-tete Aktenbestände von Mordkommandos gefunden worden. Niemand in Deutschland kann heute genau sagen, ob noch Mörder unbehelligt herumlaufen.

Das wäre spätestens der Moment gewesen, wo Bucher seinen Standpunkt hätte revidieren müssen. Er und seine Partei aber blieben dabei, daß eine Veränderung der Verjährungsfrist aus staatsrechtlichen Gründen unmöglich ist. Auch dieses Argument wurde bald zerpflückt. Die Verjährungsbestimmung des deutschen Strafrechts von 1877 wollte nämlich niemals einem Mörder die Chance geben, straffrei auszugehen, sondern sie war gedacht, um von der Justiz die Last zu nehmen, nicht mehr aufklärbare Verbrechen verfolgen zu müssen. Im Fall der NS-Verbrechen liegt die Sache ohnehin anders. Hier verschlechtern sich die Auf klärungsmög-lichkeiten weniger, als sie sich durch Aktenfunde laufend verbessern.

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