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Im Namen des inneren Friedens

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Immer wieder bewegt das Nationalsozialistenproblem die Öffentlichkeit, obwohl man längst eine endgültige Lösung erwartet hätte. Nicht sosehr, weil es die vielfach Schuldigen und Verantwortlichen verdienen, sondern weil es das Interesse des Staates verlangt, weil wir den inneren Frieden ebenso notwendig brauchen wie den äußeren. “Wir können nicht immer den Alliierten zurufen: Gebt uns den Frieden!, wenn wir selbst nicht alles tun, um den inneren Frieden zu erlangen. Und gerade die Lösung des Problems, wie sie das Nationalsozialistengesetz 1947 schuf, scheint wahrlich nicht dazu beizutragen, diesen Zweck zu erreichen: ein Mach- und Flickwerk, das einmalig in unserer Rechtsgeschichte dasteht, das geradezu ein Gesetz darstellt, wie es nicht sein soll, das kaum mehr dem Juristen, geschweige denn dem gewöhnlichen Sterblichen verständlich ist, das in seiner Kasuistik und mangelnden einheitlichen Linie unübersichtlich und kleinlich, eine große staatspolitische Linie vermissen läßt. Es ist eine Groteske, einerseits den „Illegalen“ als Minderbelasteten anzusehen, andererseits, falls ein Verfolgungsmerkmal gegeben ist, ihn als „Hochverräter“ zu verfolgen, indes sich seine Gefährten bereits wieder in einflußreichen Stellungen befinden, während der Parteianwärter und wirkliche bloße Mitläufer noch seinen Kampf vor den Volksgerichten wegen seiner Registrierungspflicht oder vor den allgemeinen Strafgerichten wegen angeblicher unrichtiger Ausfüllung des Wähleranlageblattes zu führen hat, und dies, obwohl er bis heute nicht weiß, ob er Parteianwärter oder Mitglied oder gar nichts gewesen ist, sondern bloß seine Zugehörigkeit in irgendeiner Kartei aufsche;nt. Es muß Schluß gemacht werden mit diesen Quälereien der Kleinsten und Kleinen! Man soll sich doch erinnern, was man vor zwei Jahren hinausrief in Rede und über den Äther: „Wir wollen die Mitläufer von den Schuldigen trennen!“ Und was geschah? Man hat sie alle in einen Topf geworfen und hat die Phalanx der Unzufriedenen gestärkt. Man hat den Illegalen, den „Alten Kämpfer“ und „Altparteigenossen“ dem Parteianwärter vollkommen gleichgestellt und glaubte damit die Versprechungen eingelöst zu haben. Ich glaube jedoch, daß schon ein Unterschied zwischen dem wirklichen Illegalen und den Parteianwärtern bestünde, wobei als Illegaler vor allem der in Betracht kommt, der aktiv für die nationalsozialistische Bewegung in der Verbotszeit eintrat, nicht der Nummernillegale. Der Wunschtraum des Illegalen ist erfüllt und er wurde in die Gemeinschaft aller wieder aufgenommen. Wie steht es aber mit dem Komplex der sogenannten Mitläufer?

Wäre es nicht nach mehr als zwei Jahren Zeit, daß dieser Unruheherd zum Erlöschen gebracht würde? Das Sowjetelement hat den Weg einer großzügigen und einzig vernünftigen Lösung in Deutschland gezeigt, getragen von hoher staatspolitischer Raison, und hat in seinem Bereich die Mitläufer pardoniert. Derselbe große Gedanke wurde auch schon anläßlich der Befreiung verkündet.

Es ist begrüßenswert, daß im Parlament ein Ergänzungsantrag zum Nationalsozialistengesetz 1947 gesteilt wurde. Darin ersieht man die Unzulänglichkeit dieses Gesetzes, daß sich schon nach einigen Monaten so wesentliche Ergänzungen für notwendig erweisen. Es ist aber auch eine betrübliche Tatsache, mit wie wenig Weitblick und Vorschau dieses Gesetz geschaffen wurde. Der Änderungsvorschlag bleibt aber doch wieder auf halbem Weg stecken. Er trifft ja wieder in erster Linie nicht die Kleinen und Mitläufer, sondern die Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und schließlich die Sanitätssturmführer, die schon verantwortlich gemacht werden müssen; aus der Erfüllung ärztlicher Dienstleistung wurde zum Beispiel keiner Sturmführer, wenn er nicht ein „guter Nazi“ war. Aber auch dazu kann man das „Amen“ geben, denn wir wollen eine unbedingte Befriedung im Inneren erreichen und es soll nicht Gleiches mit Gleichem vergolten, sondern neue Wege begangen werden.

Es muß aber mit der gleichen Berechtigung, wenn schon der politische Leiter vom Ortsgruppenleiter oder ihm Gleichgestellten aufwärts aus der strafrechtlichen Bestimmung des Paragraph 11 VG herausfallen soll, auch hinsichtlich der Funktionäre in den Wehrformationen, der Sturmführer der SA und des NSKK usw., um der Gerechtigkeit willen in Wegfall kommen und auch hier darf die strafrechtliche Verfolgung nur dann Platz greifen, wenn der jeweilige Führer einer Wehrformation im Pvange eines Kreisleiters gewesen ist, da der politische Einfluß eines Ortsgruppenleiters bestimmt nicht geringer war als der eines Sturmführers. Aber auch die Parteiauszeichnungen können bei sinnvoller Konsequenz nicht mehr als Verfolgungsmerkmal im Sinne des Paragraph 11 VG weiterbestehen und müssen fallen, weil sie, wie aus der Praxis zu ersehen ist, automatisch nach Ablauf einer bestimmten Zeit verliehen wurden. Selbstverständlich ist es, daß diese Personen weiter in der Gruppe der Belasteten verbleiben, sonach sühnepflichtig sind und auch alle übrigen Folgen der Belasteten zu tragen haben; entfallen würde für sie der strafrechtliche Tatbestand.

Sehr zu begrüßen sind die übrigen Vorschläge, denn sie zeigen bereits eine vernünftige Erfassung des Problems.

Was aber wirklich gefordert werden muß anläßlich der Revision des Nationalsozialistengesetzes, das ist die Einlösung der alten Versprechen, sowohl seitens der Besatzungsmächte als auch aller drei politischen Parteien, nämlich: Trennung und Scheidung der Schuldigen und Verantwortlichen von den Mitläufern. Mit anderen Worten, es soll in Hinkunft nur Belastete und Minderbelastete geben. Die Mitläufer sind freizustellen und der innere Friede wird gewonnen sein. Als Mitläufer werden aber Parteianwärter, die eine M i t g 1 i e d s n u m m e r über 6,6 0 0.0 00 besitzen, anzusehen sein, soferne sie nicht politische Leiter waren oder sonst Funktionäre der Wehrverbände der NSDAP oder Propagandisten und Häscher des verflossenen Systems gewesen sind. Das wäre die Lösung. Vertreter des Volkes hört sie: Um des inneren Friedens willen, um des Staates willen!

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