Eine Handvoll Vollstrecker

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Aus dem amnesty-international-Bericht 1999: Auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe.

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Aus dem amnesty-international-Bericht 1999: Auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe.

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Thema: Todesstrafe. Die Gefangenenhilfeorganisation amnesty international (AI) veröffentlichte jüngst neueste Zahlen über die Anwendung der Todesstrafe. Die Furche dokumentiert einen AI-Text aus dem Vorjahr, der den - bis auf einzelne Länder - anhaltend rückläufigen Trend aufzeigt.

Ein Blick auf die Hinrichtungsstatistiken weltweit zeigt, daß die weitaus meisten Todesurteile in nicht einmal einer Handvoll von Staaten vollstreckt werden. So fanden 1998 mehr als 80 Prozent aller registrierten Hinrichtungen in China, der Demokratischen Republik Kongo, den USA und im Iran statt. Allein aus China wurden 1067 Exekutionen gemeldet, doch dürften die tatsächlichen Zahlen weit höher gelegen haben. In der Demokratischen Republik Kongo starben 1998 mehr als 100 und in den USA 68 Menschen von Staats wegen. Im Iran lag die Zahl der bekanntgewordenen Hinrichtungen bei 66, doch sind auch dort vermutlich deutlich mehr Todesurteile vollstreckt worden. Im Irak sollen ebenfalls Hunderte Exekutionen stattgefunden haben, allerdings war es amnesty international nur ansatzweise möglich, diesbezügliche Berichte im Einzelfall zu überprüfen.

Würden die genannten fünf Staaten dem Aufruf der Vereinten Nationen folgen und ein Hinrichtungsmoratorium erlassen, fänden auf der gesamten Welt von einem auf den anderen Tag kaum noch Exekutionen statt. Und diejenigen Länder, die die Todesstrafe eigentlich beibehalten möchten, würden unter massiven Druck geraten, sich dem Beispiel anzuschließen.

Der Trend zur Abschaffung der Todesstrafe ist ohnehin nicht mehr umzukehren. Jedes Jahr wird der Kreis derjenigen Staaten, die auf die Todesstrafe verzichten, größer.

Modell Aserbaidschan 1899, auf der Schwelle ins 20. Jahrhundert, waren es gerade einmal drei Staaten - Costa Rica, San Marino und Venezuela -, die die Todesstrafe aus ihren Gesetzbüchern verbannt hatten. Bis 1948, dem Jahr der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, war die Zahl auf acht Länder angewachsen. Ende 1978 lag sie bei 19. Seitdem aber hat sich die Zahl der Staaten ohne Todesstrafengesetzgebung nahezu verdreifacht. Allein 1998 haben Aserbaidschan, Bulgarien, Estland, Kanada und Litauen die Todesstrafe für alle Tatbestände abgeschafft. Und auch in der Russischen Föderation dürfte sie bald der Vergangenheit angehören, da der russische Justizminister ihre Abschaffung bis April 1999 in Aussicht gestellt hat.

Am Beispiel Aserbaidschan sei ein Weg gezeigt, wie die Abschaffung der Todesstrafe gelingen kann. Nach der Wahl von Heidar Alijew zum neuen Staatsoberhaupt trat dort im Oktober 1993 de facto ein Hinrichtungsmoratorium in Kraft. Gleichwohl verhängten die Gerichte auch weiterhin Todesurteile. Ein Jahr später wurde die Todesstrafe für Frauen abgeschafft. Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im November 1995 erfolgte eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Todesstrafe "auf besonders schwere Verbrechen gegen den Staat und gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Menschen". Sechs Monate später, im Mai 1996, wurden Männer im Alter von mehr als 65 Jahren von der Todesstrafe ausgenommen und die Anzahl der Kapitalverbrechen von 33 auf zwölf herabgesetzt. Im August 1997 sprach sich der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs von Aserbaidschan öffentlich dafür aus, die Todesstrafe alsbald abzuschaffen. Und im Januar 1998 erklärte der Präsident Alijew: "Ich bin überzeugt, daß verstärkte Anstrengungen zur Verbrechensbekämpfung als solche die Kriminalitätsrate senken werden. Wenn wir unsere Politik auch auf dem Gebiet des Strafrechts humanisieren, wird dies dazu beitragen, daß sich in der Bevölkerung eine gesunde Haltung gegenüber der Kriminalität entwickelt." Seit Februar 1998 gehört in Aserbaidschan die Todesstrafe der Vergangenheit an, nachdem sich das Parlament mit überwältigender Mehrheit von 104 gegen drei Stimmen für ihre Abschaffung ausgesprochen hatte.

Ende 1998 war die Todesstrafe in 67 Staaten für alle Tatbestände abgeschafft, in 14 weiteren konnte sie nur noch für außergewöhnliche Straftaten wie Kriegsverbrechen verhängt werden. In mindestens 24 Ländern hatten zwar Todesstrafengesetze noch Rechtskraft, doch sind dort seit mehr als zehn Jahren keine Hinrichtungen mehr vollzogen worden, oder es lagen seitens der Regierungen verbindliche Zusagen vor, keine Todesurteile mehr zu vollstrecken. In der Praxis haben diese Staaten die Todesstrafe also ebenfalls abgeschafft. In einigen Ländern wurde darüber hinaus zumindest der Anwendungsbereich der Todesstrafe eingeschränkt, so etwa in Tadschikistan, wo man 1998 die Zahl der Kapitalverbrechen von 44 auf 15 herabgesetzt hat.

Noch 90 Staaten Erfreulicherweise binden sich immer mehr Staaten an internationale Abkommen, die die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel haben. Eines davon ist das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem 1998 Belgien, Costa Rica, Liechtenstein und Nepal beitraten und damit die Zahl der Vertragsstaaten auf 35 erhöhten. Belgien, Estland und Griechenland vollzogen im Berichtszeitraum ihren Beitritt zum Sechsten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe zum Inhalt hat. Das Protokoll trug somit Ende 1998 30 Ratifikationsurkunden.

Auf dem amerikanischen Kontinent unterwarfen sich Costa Rica und Ecuador dem Protokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention über die Abschaffung der Todesstrafe, wodurch sich die Zahl der Vertragsstaaten auf sechs erhöhte. Eine Reihe anderer Länder hinterlegten zu den genannten Protokollen Zeichnungsurkunden und deuteten damit ihre Absicht an, zu einem späteren Zeitpunkt die Rechtsverbindlichkeit der Protokolle anerkennen zu wollen.

Im April verabschiedete die UN-Menschenrechtskommission eine Resolution, in der alle Staaten der Welt mit Todesstrafengesetzgebung aufgerufen wurden, "mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung der Todesstrafe ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen". Die Resolution fand die Unterstützung von 65 Staaten, was im Vergleich zu 1997, als ein ähnlicher Aufruf bei nur 47 Staaten auf Zustimmung gestoßen war, doch eine deutliche Tendenz anzeigt. 51 Länder reagierten auf die Verabschiedung der Resolution, indem sie sich in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Wirtschafts- und Sozialrat von ihr distanzierten.

Wenngleich noch immer in mehr als 90 Staaten Todesstrafengesetze existieren und auch angewandt werden, so ist doch festzustellen, daß die Zahl derjenigen Länder, in denen tatsächlich Hinrichtungen stattfinden, weitaus niedriger liegt. Im Berichtszeitraum wurden in 37 Staaten mindestens 1.625 Gefangene exekutiert und in 78 Ländern mindestens 3.899 Menschen zum Tode verurteilt. Diese Zahlen beinhalten allerdings nur die amnesty international zur Kenntnis gelangten Fälle. Die tatsächlichen Zahlen liegen mit Sicherheit höher. Wie oben bereits ausgeführt, haben auch 1998, ähnlich wie in den Vorjahren, die meisten weltweit registrierten Hinrichtungen in nur einigen wenigen Ländern stattgefunden.

Bedauerlicherweise wurden im Berichtszeitraum in einer kleinen Zahl von Staaten Maßnahmen ergriffen, die darauf abzielten, den Anwendungsbereich der Todesstrafe auszuweiten, Hinrichtungen wieder aufnehmen zu können oder die Verfahren zu beschleunigen, bis ein Todesurteil vollstreckt werden kann. So ist seit Januar 1998 Jamaika auf eigenen Wunsch hin nicht mehr Vertragsstaat des Ersten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Mit der Aufkündigung des Protokolls, in dem das Recht auf Individualbeschwerde verankert ist, hat die jamaikanische Regierung einen bislang beispiellosen Schritt vollzogen, der in der Absicht erfolgt ist, zukünftig Hinrichtungen zügiger vornehmen zu können. Todeskandidaten, die sich in ihren Rechten aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verletzt fühlen, wird auf diese Weise jede Möglichkeit genommen, den UN-Menschenrechtsausschuß um Hilfe anzurufen. (...)

Gegner im Vormarsch Trotz dieser betrüblichen Entwicklungen in einigen Staaten sind die Gegner der Todesstrafe weltweit im Vormarsch, was sich nicht zuletzt bei der Beschlußfassung im Juli über ein Statut zur Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs widerspiegelte. Nach langen Diskussionen einigten sich die Staatenvertreter schließlich darauf, daß nicht einmal der Strafgerichtshof, obwohl seiner Jurisdiktion die denkbar schwersten Verbrechen - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - unterliegen werden, die Todesstrafe verhängen darf. Daraus leitet sich die eindeutige Botschaft ab, daß die Todesstrafe schon gar nicht für Delikte verhängt werden sollte, die weit unterhalb der Schwelle dieser weltweit geächteten barbarischen Akte liegt. Die Todesstrafe gehört somit definitiv aus der Welt geschafft.

Auskünfte: AI-Österreich, Tel. (01)78008-0

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