Und wieder tötet der Staat/"Die hässlichste Seite der Amerikaner"

Werbung
Werbung
Werbung

die furche: Herr Professor Reamey, Sie sind Strafrechtsgelehrter in der St. Mary's University in San Antonio, Texas und als vehementer Gegner der Todesstrafe bekannt. Sind Sie auch dafür gewesen, die Hinrichtung von Timothy McVeigh live im Internet zu zeigen? Gegner der Todesstrafe meinen, das Sterben live zu zeigen, würde die Todesstrafe aus der Anonymität reißen und in ihrer ganzen Barbarei schonungslos zeigen.

Professor Gerald S. Reamey: In dieser Frage bin ich gespalten. Ich glaube, dass eine Live-Hinrichtung die Todesstrafe in einer Weise zeigen würde, wie das Zeitungsberichte niemals können. Wenn der Vollzug mit einem konkreten Menschen verbunden ist, so wird das anders wahrgenommen - nämlich nicht mehr nur als kalter und unpersönlicher Vorgang. Man hat keine Vorstellung davon, wenn man nicht sieht, wie dieser Mensch wirklich getötet wird. Vielleicht würden wirklich viele Befürworter der Todesstrafe ihre Meinung ändern, wenn eine Exekution ein reales "Gesicht" bekäme. Es könnte aber auch passieren, dass sich die ganze Abscheu nicht gegen die Sache an sich, sondern nur gegen die offiziellen Stellen richtet, die eine solche Live-Vollstreckung ermöglicht haben. Und noch etwas: Wenn eine Hinrichtung Event-Charakter bekommt, dann muss man damit rechnen, dass es Menschen gibt, die für einen Augenblick des Ruhms und des öffentlichen Interesses die schrecklichsten Dinge begehen würden.

die furche: Sie sind also nicht überzeugt davon, dass die Schockwirkung eines "live death" ein Ende der Todesstrafe bringen würde?

Reamey: Nein. Überzeugt bin ich aber davon, dass solche Fernsehbilder die Amerikaner weltweit von ihrer hässlichsten Seite zeigen würden. Das ist wohl auch der Grund, weshalb in Wirklichkeit so wenig Interesse da-ran besteht, Exekutionen tatsächlich öffentlich zu zeigen.

die furche: Lässt sich ausschließen, dass nicht bald Raubkopien der Hinrichtung zu sehen sein werden?

Reamey: Es kann natürlich sein, dass illegal hergestellte Kopien auftauchen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind sehr streng. Es werden sehr viele Presse-Vertreter da sein, zusammen mit den Angehörigen der Opfer. Man wird ja auch erst sehen, ob es gelingt, Fotos der Exekution zu verhindern.

die furche: Die Kritik an der Todesstrafe nimmt inzwischen zu. Wieso?

Reamey: Wir haben derzeit den größten Rückgang der Befürworter. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Ablehnung je so groß war wie jetzt. Das liegt aber nicht daran, dass die Amerikaner ihre Meinung zur Strafe an sich plötzlich geändert hätten. Der Grund liegt vielmehr im Einsatz neuer Technologien. Besonders die verstärkte Verwendung von DNA-Analysen hat gezeigt, dass eine nicht unerhebliche Zahl schuldlose Menschen für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt wurde - sogar nach langen, fairen und sehr sorgfältigen Verfahren. Das hat das Vertrauen der Öffentlichkeit gewaltig erschüttert. Wo man doch immer dachte, nur wirklich Schuldige würden verurteilt. Da lässt sich die Zustimmung natürlich schwer aufrechterhalten. Der Gouverneur des Bundesstaates Illinois hat die Todesstrafe inzwischen ausgesetzt. Sogar hier in Texas wird daran gedacht, das zu tun. Ich hoffe sehr, dass es in absehbarer Zeit in einigen Staaten zur Aufhebung kommt.

die furche: Wie würde sich George Bush verhalten? Immerhin hat er als Gouverneur von Texas zahllose Hinrichtungsbefehle unterschrieben.

Reamey: Die Todesstrafse ist Sache der einzelnen Bundesstaaten. Ich bezweifle, dass Präsident Bush dagegen votieren würde.

Die Fragen stellte Elfi Thiemer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung