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Fernsehspaß?

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Sollte es zu dieser Live-Über-tragung jemals kommen, würden bestimmt viele Millionen Amerikaner (- und, ich fürchte, Menschen überall —) vor dem Bildschirm kleben. Es ist ungewiß, ob den Gegnern der Todesstrafe dadurch neue Mitglieder und neue Empörung zuwachsen würden, oder ob die verbrechengeschüttelten Amerikaner diese Art von Berichterstattung nicht eher als befreiende Katharsis jubelnd begrüßen würden. Feststeht, daß die Mehrheit der Amerikaner ihre Politiker zur Verabschiedung sehr viel strengerer Strafgesetze zwingen will, als sie zur Zeit bestehen, während den Ursachen der wachsenden Kriminalität viel zu wenig Aufmerksamkeit zukommt.

Die USA sind neben der Türkei das einzige NATO-Land, das noch die Todesstrafe verhängt. Meinungsumfragen ergeben, daß die Mehrheit (75 Prozent) damit zufrieden ist, und Verbrechens-Statistiken zeigen, daß die Todesstrafe das schlimme Anwachsen der Gewaltverbrechen nicht verhindern kann. 1972 hatte der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe ausgesetzt, er sprach damals von „Amerikas wachsendem Grad an Anständigkeit”. 1976 schon war es mit diesem Wachstum offenbar vorbei, denn die Hinrichtungen wurden wieder aufgenommen.

Zwei bedeutende Institutionen sind immer mehr zu den „Beakti-onären” Amerikas geworden und verhindern mit ihrem gedankenlosen Am-Text-der-Verfassung-Kleben jede entscheidende Reform. Da ist einerseits die „National Rifle Association”, die mit dem idiotischen Slogan „Nicht Waffen töten, sondern Menschen”, das Recht der Amerikaner auf den Besitz von Schußwaffen um jeden Preis verteidigt und sich dabei ebenso stur auf die Verfassung beruft wie auf der anderen Seite die „Civil Liberty Union”, die um jeden Preis für freie Meinungsäußerung eintritt, auch wenn das in seiner Auswirkung heißen sollte: Hinrichtungen via Fernsehen ins Kinderzimmer! So befinden sich die USA in einer Auseinandersetzung der Werte, die alle Werte längst mit Füßen tritt und eine Rückkehr in vergangene Jahrhunderte darstellt.

Showmaster-Demokratie?

Die Amerikaner vergessen bei ihrem Verhältnis zur Verfassung, was schon Rousseau und Thomas Jefferson dazu gesagt haben: daß ein Gesellschaftsvertrag von jeder Generation neu ausgehandelt und mit neuem Inhalt erfüllt werden muß. Aber daran festzuhalten, das wäre ein geistiges Unterfangen, das man weder von den Talk Show-Gestaltern noch von ihrem Publikum erwarten kann.

Zum Glück entschied am 17. Mai der Oberste Gerichtshof North Carolinas, daß Phil Do-nahue seine Hinrichtung am 15. Juni nicht zeigen darf. Generalstaatsanwalt Mike Easley erklärte: „Es ging hier um keine Verfassungsfrage, es ging um Einschaltquoten, und der Staat sollte nicht am Geschäft um die Einschaltquoten in irgendwelcher Weise beteiligt sein.”

Gut so, aber in den USA wird die Demokratie als ein fanatischer Kampf betrieben. Und es steht Donahue offen, sich nun an den Obersten Gerichtshof des Landes zu wenden. Selbst wenn er dort auch verlieren sollte, könnte in einigen Jahren ein neuer Antrag durchaus gewinnen. Wie war es doch mit den Todesstrafen 1972, und was geschah 1976? Auch über die Demokratie als Faktor der Unsicherheit kann man, zu Recht, den Schlaf verlieren.

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