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Kirche und Todesstrafe

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Der Text zum Thema Todesstrafe im neuen „Katechismus der katholischen Kirche” wird heftig diskutiert. Die kirchliche Lehre machte eine Entwicklung durch.

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Der Text zum Thema Todesstrafe im neuen „Katechismus der katholischen Kirche” wird heftig diskutiert. Die kirchliche Lehre machte eine Entwicklung durch.

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Im Alten Testament war die Todesstrafe im Einklang mit den meisten Völkern in selbstverständlicher Geltung. Tendenz war jedoch, die Blutrache durch ein Übermaßverbot oder Gebot der Verhältnismäßigkeit abzulösen, durch die Talion, die „gerechte” Vergeltung (Ex 21, 23-25). Sie wird vielfach als „Gebot” zur Rache um jeden Preis mißverstanden, bedeutet aber, daß das zugefügte Strafübel nicht schwerer als das ursprüngliche Unrecht sein darf. Ferner wird der Übergang vom Tatstrafrecht zum Täter- beziehungsweise Schuldstrafrecht an der Differenzierung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Tötung erkennbar. Bei letzterer gab es die Möglichkeit der Flucht in Asylstädte (Ex 21,13-14). Um die Wende vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert findet man Äußerungen jüdischer Lehrer, nach denen man das Synedrium, die Todesstrafe möglichst selten verhängen solle. Einmal in sieben Jahren oder in noch größeren Zeiträumen sei schon (zu) viel.

Das Neue Testament äußert sich außer im Römerbrief (13,4) nicht zur Todesstrafe. Die dortige Feststellung des Apostels Paulus wurde gewöhnlich als göttliche Legitimierung der weltlichen Autorität zur Todesstrafe verstanden.

Frühkirche gegen Todesstrafe

In der frühchristlichen Großkirche (ab etwa 180) überwiegen Äußerungen christlicher Autoren gegen die Todesstrafe (und die Folter). Gewisse Widersprüchlichkeiten dergestalt, daß eine staatliche Strafgerichtsbarkeit von ihnen bedingt anerkannt wurde, rühren wohl daher, daß die untergegangene israelitische Theokratie im Alten Bund zwar die Todesstrafe hatte, die Christen in jener frühen Zeit sich aber als „Fremdlinge” im römischen Staat und Mitglieder einer „Gottbürgerschaft” im Geiste fühlten, so daß sie wegen der radikalen Forderungen des Evangeliums meinten, nicht zur Todesstrafe mitwirken zu dürfen (vergleiche auch 1 Kor 6,1-8).

Mit dem Übergang zur römischen Reichskirche ereignet sich um das Jahr 400 eine Wende. Nach dem Sieg Konstantins mit der legendären Berufung auf das geheimnisvolle Zeichen Christi wird das Christentum anstelle des altrömischen staatlichen Kultes unter Theodosius zur offiziellen Religion, es kommt zu einer Zweigleisigkeit: Dem Staat wird die Vollstrek-kung der Todesstrafe zugebilligt, die Mitwirkung an Todesurteilen wird den Klerikern verboten, beziehungsweise macht für den Klerikerstand ungeeignet. Die Synode von Elvira (306) und die römische Synode von 382 liegen noch auf der Linie der frühchristlichen Autoren. Später vertreten Päpste (Innozenz I. 401-417; Innozenz III. 1198-1216 im Glaubensbekenntnis für die Waldenser; oder Pius XII. 1939-1958) die Erlaubtheit der Todesstrafe, ausgenommen Nikolaus I. (858-867) in seinem Brief an die Bulgaren.

Im Hochmittelalter bejahen etwa Thomas von Aquin (1225-1274) oder Duns Skotus (1265-1308) die Todesstrafe. Thomas vergleicht die Gesellschaft mit einem Organismus: So wie ein krankes Glied amputiert wird, darf der Verbrecher hingerichtet werden. Zu Beginn der Neuzeit ist Thomas Morus (1478-1535) gegen die Todesstrafe. Der Catechismus Romanus (1564) kennt die Todesstrafe. Die Schrift Cesare Bonesana Beccarias (1738-1794) gegen die Todesstrafe wird mit Dekret vom 3. Februar 1766 verurteilt. Er hatte dem Staat, gestützt auf die Auffassung im Gefolge Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778), das Recht zur Verhängung der Todesstrafe bestritten. Im Vatikanstaat selbst galt vom 7. Juni 1929, also seit der Lösung der „Römischen Frage” in den Lateranverträgen, bis zum 1. August 1969 die Todesstrafe.

Bis in unsere Tage haben sich eine ganze Reihe von Moraltheologen für die Erlaubtheit der Todesstrafe ausgesprochen. Sie vertreten im wesentlichen, daß der Mörder sein Lebensrecht verwirkt habe (Rechtsverwir-kungstheorie). Sie schließen jedoch von der ethischen Erlaubtheit nicht auf eine generelle Notwendigkeit der Anwendung, nicht einmal Wilhelm

Bertrams, der die Todesstrafe als in sich notwendige Sanktion aus dem metaphysischen Sein des sittlichen Naturgesetzes ableitet. Eine Ausnahme macht Franz Xaver Linsenmann insofern, als er die Todesstrafe nur zuläßt, wenn die konkrete Ordnung des Zusammenlebens erschüttert würde, also dann nicht, wenn diese Ordnung anders gewährleistet werden kann (Moraltheologie 1878).

Begründung mit Gemeinwohl

Das Dictionarium Morale et Canonicum faßt als Stand der Lehre (1966) zusammen, daß die Todesstrafe naturrechtlich grundsätzlich als solche zulässig und keinesfalls verboten sei, und zwar nicht nur in Ausnahmesituationen wie Aufruhr oder Aufstand. Über ihre Anwendung sei nach Gesichtspunkten der Opportunität zu entscheiden. Dies sei Lehre der Theologen seit Ambrosius (339-397) und Augustinus (354-430) über Thomas, Kardinal Johannes de Lugo (1580-1652), Ludwig Molina (1545-1600) oder Alfons de Liguori (1696-1787) bis zur Gegenwart. Doch sei die Erlaubtheit der Todesstrafe nur mit dem Gemeinwohl zu begründen.

Der neue „Weltkatechismus” verbietet die Todesstrafe nicht, obwohl dies während der Vorbereitung zu Kritik geführt hat. Daraufhin ist die ursprüngliche Fassung überarbeitet worden. Sie findet sich im Abschnitt über die Notwehr. Begründet wird die Zulässigkeit der Todesstrafe mit dem Gemeinwohl: „Aus diesem Grund hat die überlieferte Lehre der Kirche die Rechtmäßigkeit des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt anerkannt, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in schwerwiegenden Fällen die Todesstrafe auszuschließen. Aus analogen Gründen haben die Verantwortungsträger das Recht, diejenigen, die das Gemeinwesen, für das sie verantwortlich sind, angreifen, mit Waffengewalt abzuwehren” (2266). Anschließend empfiehlt der Katechismus „unblutige Mittel” als den „konkreten Bedingungen des Gemeinwohles” besser entsprechend und der „Menschenwürde angemessener”.

Aus der Einfügung in den Abschnitt

über die Notwehr geht hervor, daß nur ein äußerster Staatsnotstand, wenn überhaupt, eine derartige Maßnahme rechtfertigen kann, so wie Gegner der Todesstrafe, etwa Beccaria selbst, sie für solche Ausnahmesituationen nicht verwerfen, ebenfalls nicht Linsenmann. Der Hinweis auf die „konkreten Bedingungen” dürfte im Einklang mit den Theologen besagen, daß es keine abstrakte, absolute, im Naturrecht oder in der Sittenordnung gründende, zwingende Notwendigkeit gibt, die Todesstrafe anzuwenden, stets beschränkt auf Fälle absichtlicher und schuldhafter Tötung.

Man verstünde den Katechismus falsch, wollte man in die kompromißhaft erscheinenden Formulierungen die versteckte Duldung einer Verhängung der Todesstrafe durch Diktatoren hineinlesen. Eher dürfte daraus zu entnehmen sein, im Lichte der von Johannes XXIII. mit „Pacem in ter-ris” 1963 für die Kirche rezipierten Menschenrechtstradition, daß der moderne Rechtsstaat westlicher Prägung ohne Todesstrafe auskommen sollte. Dafür spricht, daß in jüngster Zeit mehrere regionale Episkopate gegen die Todesstrafe votiert haben (Frankreich 1978, USA 1980, Ghana 1987).

Der Autor ist Ordinarius für Moraltheologie an der Universität Graz.

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