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Probleme des Kriegsrechtes in der Scholastik

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Die Erforschung der Geisteskultur des Mittelalters, der sich in den letzten Jahrzehnten das historische Interesse in steigendem Maße zugewandt hat, konnte auch den bedeutenden Anteil heraussteilen, den die Scholastik zum Ausbau des modernen Kriegs- und Völkerrechtes beigesteuert hat. Nicht erst Hugo Grotius ist als sein Begründer anzusehen, sondern die Scholastiker, namentlich die beiden spanischen Theologen Victoria und Suarez, die noch der Spätscholastik zuzurechnen sind, sind hier bahnbrechend gewesen. Fast alle einschlägigen Probleme, wie Humanisierung der Kriegführung, Schiedsgericht, Kolonialkrieg, Freiheit des Verkehrs und der Meere, die Frage der Interdependenz der Staaten usw., sind von ihnen behandelt worden. So wenn etwa zum letztgenannten Problem der berühmte Victoria zum ersten Male die Forderung erhoben hat, daß man auch von einem gerechten Kriege Abstand nehmen müßte, wenn aus ihm voraussichtlich ein Weltbrand entstehen würde.

Wir möchten im folgenden nur drei Fragen des scholastischen Kriegsrechtes berühren, die für die Jetztzeit erhöhte Aktualität besitzen, und zwar die Erlaubtheit*neuartiger, besonders verderblich wirkende r W a f f e n, das Problem der Kriegsgefangenen und die Behandlung des besiegten Gegners.

Bei den Scholastikern machen sich frühzeitig Tendenzen bemerkbar, die auf eine Milderung der Kriegsschrecken abzielen und dem wilden Menschenmorden Einhalt zu gebieten versuchen. Dies erhellt am besten aus der ablehnenden Haltung mehrerer Autoren zum Gebrauch von gewissen Waffen, die in ihrer Zeit als besonders mörderisch galten. So erinnert Kardinal Heinrich von Ostia an eine auf der dritten Lateransynode (1039) erflossene und auf dem zweiten Laterankonzil (1037) erneuerte Bestimmung, die den Gebrauch der Armbrust, der Schleudermaschinen, ihre Herstellung und ihren Verkauf unter der Strafe der Exkommunikation verbietet. Innozenz III. hatte den Gebrauch dieser neuen Waffen abermals verboten, als König Philipp August eigene Armbrustkompagnien in seinem Heere aufstellte. — In der Auslegung dieser Bestimmung gehen die Moralisten und Kanonisten in ihren Meinungen auseinander. Doch sdieinen sie im allgemeinen die Verwendung dieser Waffen in Kriegen unter Christen nicht zuzulassen, wohl aber im Kriege gegen die Sarazenen, wie zum Beispiel Ramon von Pennafort das annimmt, während Goffredus von Trani, Bartholomäus von Pisa und andere ihre Verwendung auch im Kriege gegen Christen nicht ablehnen, wofern dieser gerecht wäre. Ramon Lull, der rastlos die Kreuzzugsidee propagierte, begrüßt die neue Waffe sogar und betont, daß die Christen durch sie nun endlich den Sarazenen überlegen wären; andere glauben

allerdings, daß in einem ungerechten Kriege diese Schleudermaschinen nicht einmal gegen die Ungläubigen angewendet werden dürften.

Der unheilvolle Einfluß des römischen Rechtes machte sich in der Scholastik zunächst auch in der Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen geltend. Nach ihm wurde der Kriegsgefangene ein Sklave und ein Eigentum des Siegers. Die älteren Autoren, sogar Albert der Große und Thomas von Aquin, halten mit Berufung auf Aristoteles an diesem Rechtssatze fest, wenn sie auch unter Sklaverei die mildere Form der Leibeigenschaft meinen und die Achtung der Menschenwürde auch im Sklaven fordern. Nur der geistesgewaltige Dun Scotus eilt hier seiner Zeit weit voraus und zieht dieses Versklavungsrecht für Gefangene ernsthaft in Zweifel. Die späteren Autoren bemerken mit einer stereotyp wiederkehrenden Formel, daß die Versklavung der Gefangenen nach dem Rechte zwar begründet sei, fügen aber hinzu, daß sie zu ihrer Zeit unter den Christen im Wege des Gewohnheitsredites abgeschafft wäre und betonen, daß man dieser Auffassung folgen müsse. Man merkt es den Autoren zwisdien den Zeilen heraus an, wie sie in dieser Frage den inneren Zwiespalt zwischen rechtlichem Können und moralischem Dürfen nicht völlig überwinden konnten; jedenfalls entsprach die Praxis noch lange nicht dieser neuen, vom christlichen Geiste inspirierten Anschauung. Christliche Gefangene wurden trotz alledem audi von Christen getötet, verkauft und zu den Galeeren oder Bergwerken verurteilt und verschmachteten oder verhungerten oft genug in den Kerkern ihrer Feinde. Die Tötung der Gefangenen scheint wohl das häufigste gewesen zu sein; am' Leben erhielt man am ehesten die Vornehmen wegen des Lösegeldes. So ließ Heinrich V. nach der Schlacht von Acin-court 5000 Gefangene töten und noch nach der Schlacht von Worcester (1651) wurden 7000 Gefangene als Sklaven in die indischen Plantagen oder in die afrikanischen Bergwerke geschickt. Den ungläubigen Kriegsgefangenen gegenüber, ja sogar Frauen und Kindern und auch Christen, wenn sie im Bunde mit Ungläubigen gekämpft hatten, wurde von der Scholastik das altherkömmliche Recht der Versklavung geltend gemacht. Wenn auch im Laufe der Zeit gefangene Christen nicht mehr verkauft werden durften, so hielt man jedenfalls noch lange an der rechtlichen Gewohnheit, die auch die Scholastik anerkannt hat, fest, für die Befreiung von Gefangenen, selbst für Frauen und Kinder, ein Lösegeld zu fordern, wobei die schmählichsten Erpressungen vorkamen. Denn der Gefangene, det im Mittelalter nicht Gefangener des Staates, sondern desjenigen war, in dessen Hand er fiel, wurde als ein Teil der Beute betrachtet. So sah der gjößere Teil der in der Schlacht von Poltawa (1709) in Gefan-

genschaft geratenen Schweden die Heimat

nie wieder, weil diese wegen der finanziellen Erschöpfung außerstande war, sie auszulösen.

Wenn demnach die scholastische Auffassung in der Frage der Kriegsgefangenen hart erscheinen mag, so muß doch anerkannt werden, daß die Autoren sich dafür eingesetzt haben, die Härten zu mildern und für eine humane Behandlung der Gefangenen eingetreten sind. Jedenfalls hat die Scholastik das Recht der Versklavung nicht auf die friedliche Zivilbevölkerung, Frauen, Kinder und Unbewaffnete, ausgedehnt, während man nach mittelalterlichem Kriegsrecht kein Bedenken trug, solche Personen in fremde Länder zu deportieren, wo sie in Gefangenschaft oder Leibeigenschaft ihr Leben fristen mußten Erkennt doch in späterer Zeit noch Hugo Grotius die Versklavung der Kriegsgefangenen als zu Recht bestehend an.

Besonderes Interesse verdient die Frage der Behandlung des besiegten Gegners, wobei vorausgesetzt ist, daß dieser im Unrecht war. An Stelle der Willkür in der mittelalterlichen Kriegführung setzt hier die Sdiolastik das Prinzip der Proportioniertheit zwischen Schuld und Strafe. Auch die Scholastik anerkennt die harten Rechte des Siegers, wie Gebietsabtretungen, Restitution für alle Schäden und Bestrafung, ja sogar Hinrichtung der Hauptschuldigen, rofern mit Recht zu befürchten wäre, daß sie erneut den Frieden stören. So erwähnen die Autoren öfters die Hinrichtung des unglücklichen Konradin durch Karl von Anjou. Sogar der maßvolle Victoria hat im Prinzip daran festgehalten; nicht aber dürfe der Sieger alle Schuldigen hinrichten, weil ein solches Verfahren ' inhuman und mit dem Geiste des Christentums unvereinbar wä)re. Der vornehm denkende Suarez glaubt, daß man in dem Falle, wo die Größe der Chr es erfordere, die Hauptschuldigen in die Gefangenschaft abführen und ihre Güter konfiszieren könnte. Victoria will aber in der Frage nicht sosehr die Gerechtigkeit als vielmehr die Humanität zu Worte kommen lassen. Nach seinem Dafürhalten sei es oft möglich, daß der feindliche Herrsdier im guten Glauben gekämpft habe; in diesem Falle dürfe er vom Suger nicht wie ein Schuldiger behandelt werden und über eine gebührende Entschädigung hinaus dürfe nichts von ihm gefordert werden. Dasselbe gelte in höhcrem Maße noch zumeist von den feind'idien So'daten, wenn sie auch in einem an und für sich ungerechten Kriege mitgekämpft hätten.

Niemals sollte sich der Sieger einem wilden Siegestaumel hingeben, sondern Mäßigung und christliche Bescheidenheit an den Tag legen; er übt ja das Amt eines Sdiieds-richters zwischen zwei Staaten aus und wenn die Schuldigen einmal die gerechte Strafe ereilt habe, dann sollte er das Unglück des besiegten Landes möglichst zu lindern %nd zu beschränken suchen. Namentlich den Untertanen gegenüber sollte er Milde walten lassen, weil sie ja oft in gutem Glauben an die Gerechtigkeit ihrer Sache gekämpft und daher hicht als Schuldige behandelt werden sollten. In dieser Rücksichtnahme auf die Untertanen des besiegten Staates zeigt sich der Fortschritt gegenüber manchen früheren Autoren, wie etwa Cajetano, und der mittelalterlichen Praxis überhaupt, di die Untertanen des Gegners als Feinde präsumierte, und die Annäherung an den modernen, vor allem bei Rousseau vertretenen Standpunkt, wonach der Krieg nicht von Mensch zu Mensch, sondern v'o n Staat zu Staat geführt wird. Unmenschlich wäre es nach Victoria, wollte man ein besiegtes Volk dem Untergange preisgeben. Ein Jahrtausend früher hatte bereits der heilige Augustin gefordert, daß man unter keinen Umständen einem besiegten Volke die Freiheit nehmen oder einfach sein Territorium annektieren dürfe, es wäre denn, daß jenes seine Freiheit mißbraadien oder den Frieden bedrohen könne.

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