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Mir gefällt diese alte päpstliche Provinzstadt Avignon ungemein. Und noch jedesmal hat sie mir irgendeine nette Ueberraschung gebracht. Hier ihre letzte Ueberraschung: Vor einigen Tagen fiel mir nahe der berühmten Brücke ein großmächtiges Plakat mit handgemalten, farbenfrohen Buchstaben ins Auge. Da hieß es:

Am Donnerstag abend war ich unter den ersten, die den Saal des großen Cafe Mogador betraten. Der Saal war geräumig, aber als ich kam, waren, da und dort verteilt, im ganzen erst ein Dutzend Menschen anwesend, fast nur alte Leute. Um 21.30 Uhr war noch die Hälfte der Plätze unbesetzt. Um 22 Uhr erschien auf dem Podium, das für den Redner aufgebaut war, Herr Pierre-Louis Gourjat, ein untersetzter Fünfziger mit einem schwarzen Bart, der sein Gesicht von einem Ohr zum anderen umrahmte. Er trug einen schwarzen Ueberrock mit Astrachankragen. Von seiner langen Rede bringe ich hier nur die Stellen, die mir als besonders eindrucksvoll im Gedächtnis blieben:

„Laßt euch nicht die Köpfe verwirren \. den täglichen Expektorationen der Redner, die immer wieder aus vollem Hals und in verdächtiger Eintönigkeit das Wort .Friede' hinausschreien. Nach unseren politischen Grammophonplatten zu schließen, die von den Zeitungen und vom Rundfunk ins Weite getragen werden, wollen alle Regierungen den Frieden, streben alle Parteien nach Frieden, träumen alle Verantwortlichen, die Generale und Admirale inbegriffen, nur vom Frieden. Verlaßt euch nicht auf so heuchlerisches Gerede und auf so trügerische Aufrufe. Wir haben dies alles schon gehört, fast das gleiche in den Jahren 1914 und 1938, und sie waren doch Vorspiel und Prolog zu langen, schauderhaften Kriegen, die die Welt auf den Kopf gestellt haben. Wenn eure politischen und militärischen Führer zuviel vom Frieden reden, kann es nur Schreck und Entsetzen geben.

Auch heute ist, wenn man dem offiziellen und offiziösen Geschwätz Gehör leiht, der allgemeine, endgültige Friede leitender Gedanke jedes Volkes und jeder Partei. Im Norden wie im Süden, im Westen wie im Osten, unter Schwarzen und Roten, unter Grauen und Blauen ist keiner, der nicht den Frieden herbeiwünschte, der nicht für den Frieden arbeitete, der uns nicht den Frieden vorpredigte. Und gerade diese Einmütigkeit ist es, die mich mit Schrecken erfüllt.

In den seltenen Zeitspannen, in denen wirklich Friede herrschte, sprach niemand vom Frieden: man sprach höchstens von Kriegen, von den Kriegen aus trauriger Vergangenheit.

Ihr wißt wohl, wie unsere Präsidenten un Minister in allen Ländern der Erde den Frieden vorbereiten. Ihre Methode besteht darin, daß sie immer mehr und immer mörderischere •Waffen erzeugen und eine stets wachsende Zahl von Männern in der Kunst unterweisen lassen, ihresgleichen umzubringen. Im Grunde handeln sie so wie einer, der erklären wollte, das sicherste Mittel zur Vermeidung von Feuersbrünsten sei das Anhäufen von Stroh, Werg und Petroleum in einer Fabrik von Sprengstoffen und .Feuerwerkskörpern. Ihr wißt es ja alle: Versammelt man Millionen von Feuerwaffen in geringer Entfernung voneinander, so genügt ein Zündholz — also ein Mißverständnis, ein Vorwand, ein Funke Irrsinn —, und ein Weltbrand ist entfacht.

Um diese ungeheure Gefahr aufzuhalten, um einen neuen Krieg zu verhindern, der das Ende unserer Zivilisation und vielleicht die Vernichtung unseres gesamten Menschengeschlechtes bedeuten würde, genügen nicht propagandistische Flugblätter, Manifeste, Kongresse, Umzüge und das Hochhalten pazifistischer Symbole. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, beide wirksam und das Uebel an der Wurzel fassend, aber niemand hat den Mut, sie vorzuschlagen.

Die erste Möglichkeit bestünde in einer tiefgehenden völligen Umwandlung der Menschenseelen — ich meine hier alle Menschen auf dieser Erde —, einer Umwandlung ihres Denkens und Fühlens, so daß endlich jeder Mensch überzeugt und davon durchdrungen wäre, daß der Weg der Gewaltanwendung und des Kollektivmordes das sinnloseste, roheste, verbrecherischste Mittel ist, das man sich vorstellen kann, um die Völker einig zu machen. Aber ein solches Werk geistiger Erneuerung werde nicht nur eine starke Autorität und einen geeigneten technischen Aufbau verlangen, sondern auch Hunderte von Jahren beanspruchen, indes doch der Zusammenbruch leider Gottes schon bedrohlich nahe ist.

Es ist also notwendig, zu einem anderen Mittel zu greifen, das sich leichter und rascher wirksam machen läßt. Haltet euch zwei Tatsachen vor Augen, die sehr bemerklich und ganz unbestreitbar sind. Zum ersten: Es wäre nicht möglich, die für unsere Vernichtung bestimmten Waffen ohne die Arbeit unzähliger Techniker und Werkleute herzustellen. Zum zweiten: Diese Techniker und Werkleute sind immer bereit, ihre Arbeit aus mannigfachen Gründen zu unterbrechen, wegen Lohn- und Disziplinar-fragen, aus politischem oder ideologischem Protest, gelegentlich auch aus viel unbedeutenderen Beweggründen.

Mein Vorschlag nun, der einfach ist wie das Ei des Columbus, baut sich aus diesen zwei Tatsachen auf. Im gegebenen Augenblick, auf Grund eines Syndikatsbeschlusses, der von den Werktätigen der ganzen Welt angenommen und befolgt wird, müßten alle, die mittelbar oder unmittelbar an der Erzeugung von Kriegsgeräten beteiligt sind, die Arme kreuzen, ihre Arbeitsplätze und Werkstätten verlassen und den allgemeinen Ausstand im Namen des Friedens ausrufen. Es ist aber nötig, daß dieser hochheilige Ausstand in allen Ländern gleichzeitig durchgeführt werde, im Orient wie im Okzident, und in sämtlichen Fabriken, in denen Kriegsmaterial erzeugt oder zugerüstet, wird.

In den Ausstand werden zu treten haben die Handarbeiter und Aufseher, die Ingenieure und Beamten, alle, die Gewehre und Geschütze, Brand- und Atombomben, Panzerwagen, Sprengstoffe, Kreuzer und Unterseeboote, Flugzeuge

verschiedener Arten, Säbel und Bajonette, Helme und Dolche anfertigen. Kein einziger von ihnen allen darf ausgenommen sein. Heutzutage sind diese Arbeiter bereit, in den Ausstand zu treten, um eine Lohnerhöhung oder eine Herabsetzung der Arbeitszeit zu erreichen. Aber auch für sie selbst ist der von mir vorgeschlagene Ausstand ohne Vergleich wichtiger. Sie müssen bedenken, daß die furchtbaren Dinge, die sie mit ihren Händen erzeugen, schon morgen gegen sie selbst, gegen ihre Kinder und Brüder, gegen ihre Häuser und ihre Städte zur Anwendung kommen werden. So arbeiten sie im Schweiße ihres Angesichtes an der baldigen Zerstörung alles dessen, was ihnen am meisten lieb ist: die Familie, das Heim, das Leben. Wer könnte da, wenn er nur ein wenig Ueberlegung aufbringt, seine Zustimmung versagen?

Und was können die Regierungen und die großen Staaten gegen einen solchen Zusammenschluß tun? Man kann wohl mit einem Teilausstand fertig werden, der sich auf eine bestimmte Industrie oder auf eine bestimmte Gegend beschränkt, wie aber sollte ein Millionenstreik, der an einem und demselben Tage in allen Ländern der Erde ausgerufen wird, verhindert oder niedergekämpft werden?

Dieser allgemeine Ausstand wird die Regierungen zum Nachgeben zwingen. Die einmütige Auflehnung aller Völker wird dann unschwer erreichen, daß die schon erzeugten Waffen zerstört werden und daß künftighin jedwede Anfertigung von Mitteln zur Vernichtung des Menschen als ungesetzlich gilt. Die Kriegsschiffe werden zu Transportdampfern umgebaut, die Waffenfabriken zur Erzeugung von Gegenständen des Alltagslebens eingerichtet werden; Gewehre und Kanonen, Kartätschen und Bomben, Sprengstoffe und Panzerwagen werden unter feierlichen Festzeremonien ins Meer versenkt werden. Nur infolge eines solchen Abkommens und nur auf diesem Wege wird den Friedensreden ein wirklicher Friedenszustand der Menschheit entsprechen. Es bedarf nur eines geringfügigen Zusatzes, um den berühmten Appell eines Karl Marx aufzugreifen: .Arbeiter der Kriegsindustrien auf der ganzen Welt, vereinigt euch, wenn ihr wirklich den Frieden wollt!'

Vielleicht*wird der oder jener meinen wollen, er könne meinen so lebenswichtigen Vorschlag mit einem sehr einfachen Einwand widerlegen: Wie werden während des Ausstandes und nach diesem die Millionen von Arbeitern leben kön-den, die jetzt davon leben, daß sie den Tod vorbereiten? Dieser Einwand überrascht mich nicht, aber er schreckt mich auch nicht. All die übrige Menschheit, die unter dem Alpdruck der Vernichtung lebt, ist daran interessiert, daß der gewaltige allgemeine Ausstand als sicheres Versprechen der Rettung gelinge. So werden auch alle glücklich sein, den Arbeitern aus der Kriegsindustrie für ihren und der Ihrigen Unterhalt Lebensmittel und Geld in Form von Beihilfen und Taggeldern zu widmen. Und nach dem Sieg der Friedensrevolte, wenn die Regierungen und Bürger nicht mehr das unerträgliche Joch der Militärausgaben zu tragen haben, wird es ein leichtes sein, für das allgemeine Wohl neue Industrien zu schaffen, in denen die Arbeiter, die bisher in den Industrien für Menschenmord und Zerstörung tätig waren, neue Beschäftigung finden können. Es geht hier für uns alle um Leben und Tod. Ich habe das einzige wirksame Mittel vorgeschlagen, das dem Leben Sieg über den Tod geben kann. Wir wollen nun sehen, ob die Proletarier und ihre Führer imstande sein werden, meinen Vorschlag zu verstehen und zu verwirklichen. Wollt ihr wirklich Frieden? Dann zertrümmert für immer, was der Kriegführung dient!“

Zu meiner großen Verwunderung begeisterte die feurige Ansprache des Herrn Pierre-Louis Gourjat die spärliche Zuhörerschaft im großen Cafe Mogador nicht sehr. Der Applaus war schwach und vereinzelt; einige ältere Herren lächelten oder grinsten höhnisch. Einer von ihnen ließ sich mit lauter Stimme vernehmen: „Dieser Herr Gourjat ist ein Narr. Die Behörden sollten ihn den Psychiatern zur Behandlung übergeben.“

Aus „Das schwarze Buch“, Verlag Herold, Wien.

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