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Widerstand wirft Probleme auf

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Die gekürzte Taschenbuchausgabe gründet sich auf den dokumentarischen Bericht von 1953, ist mit Einbegleitungen Ricarda Huchs und Martin Niemöllers versehen und schöpft aus Originalberichten von Widerstandsgruppen, aus amtlichen Quellen, Briefen, Gerichtsakten, Gestapodokumenten, zumeist entnommen dem Hamburger „Archiv Walter Hammer“. Diese erstmalige allgemeine Darstellung der deutschen Widerstandsbewegung erstreckt sich auf den Widerstand aus dem Glauben, auf die bürgerliche Opposition, den militärischen Widerstand, den Widerstand der Arbeiter und die Rolle der Intellektuellen. Statistiken, Justizdokumente, Tagebücher und andere Zeugnisse sind in Anhängen, weit mehr als 1000 Namen im Register, angeschlossen. Der Zweck der Publikation besteht in dem Versuch, nachzuweisen, daß nicht alle Deutschen dem Nationalsozialismus verfallen waren, daß daher von einer Kollektivschuld nicht gesprochen werden dürfe, daß sich der Widerstand nicht bloß im 20. Juli 1944 entlud, sondern vor- und nachher wirksam war, daß der Widerstand weder als Hoch- noch als Landesverrat angesehen werden könne, daß er weiter das Kriegsende beschleunigt, dadurch weitere Opfer erspart habe und daß schließlich aus allen diesen Gründen die Opfer des Widerstandes zu ehren seien. Die Zahl der unmittelbaren und mittelbaren Opfer des Widerstandes wird wohl nie exakt festgestellt werden können: „Die Gesamtzahl der in Konzentrationslagern Inhaftierten wird sich mit 7,820.000 errechnen lassen ... Insgesamt darf man die Zahl der nach einem Urteil Hingerichteten auf etwa 32.500 schätzen ... wurden vom 16. August 1939 bis zum 31. Jänner 1945 genau 24.559 Wehrmachtsangehörige zum Tode verurteilt... die Hinrichtungen der letzten Kriegsmonate sind nicht mehr erfaßt ... Es gab eine ganze Armee von Straf- und BeWährungseinheiten.. .

Wer immer sich mit dem lautlosen Aufstand in Deutschland befaßt, wird sich mehrfach vor neue Probleme gestellt sehen und erkennen, daß diese mit einer vorläufigen historischen Darstellung nur aufgeworfen, nicht aber gelöst sind. Grundlegende Erwägungen drängen sich dem Leser auf: Schon das Widerstandsrecht, das in der Verfassungsgeschichte älterer Zeiten kein Unbekannter ist, rollt derart schwerwiegende Detailfragen auf, daß man eine gesetzliche Verankerung wohl nicht sobald wird erwarten können. Widerstand ist statthaft, ja sogar ein unbestrittenes Recht in einem vom Feind durch Krieg okkupierten Land, im eigenen, vom Feind freien Land ist er aber nach den Gesetzen Hochverrat, solange das Recht nicht von den Trägern der Staatsgewalt selbst offenkundig gebrochen wird. Unendlich weit erscheint noch der Weg bis zur Einrichtung eines entscheidungsberechtigten Forums, das einen Widerstand im gegebenen Fall als zulässig erklären könnte und bis zur Erweiterung der Schullehrpläne durch die Frage, wer unter bestimmten Umständen eine Revolution entfesseln darf. Solche Bedenken haben es vermutlich verhindert, daß die Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 das Widerstandsrecht nicht deklarierte und daß sich das sogenannte „Wiener Manifest“ von 1956 nur zur vorsichtigen Formulierung eines „Rechtes auf politische Opposition“ bereitgefunden hat.

Kritisch gestaltet sich das Widerstandsproblem beim Militär (S. 102 bis 126), obzwar gerade dort in den meisten Staaten eine sehr klare Lage geschaffen ist. Es schreiben nämlich die Reglements eindeutig vor, daß ein Befehl, der offensichtlich ein Verbrechen oder Vergehen im Auge hat, nicht befolgt werden darf. Natürlich gehört in gewissen Fällen — ganz besonders mitten in einem Krieg gegen äußere Feinde — Mut dazu, von solcher Ermächtigung Gebrauch zu machen. Im Großdeutschen Reich war groteskerweise gerade den Generälen der Ungehorsam leicht gemacht; bekanntlich hat Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ alle Wege geebnet: „In einer Stunde, da ein Volkskörper sichtlich zusammenbricht... bedeuten Gehorsam und Pflichterfüllung... doktrinären Formalismus... wenn anderseits durch Verweigerung von Gehorsam die Errettung eines Volkes vor seinem Untergang ermöglicht würde.“ Diese Haltung forderte Hitler schon von einert Divisionskommandanten — um so mehr galt es für die höchsten Militärs, aber bei ihnen trennten sich die Geister. Die große Mehrzahl blieb systemtreu, eine Minderheit — und an deren Spitze nur ein nicht aktiver General, Ludwig Beck — versuchte den Umsturz von oben: „Mit Recht sahen sie in dem Eingreifen des militärischen Führerkorps den letzten Ausweg.“ Doch auch in diesem Kreis regten sich Gewissensfragen, denn „jahrhundertelange Tradition und die Erziehung... hatten revolutionäre Ideen und damit Begriffe wie Meuterei und Tyrannenmord aus dem

Wörterbuch des deutschen Soldaten gestrichen“. Heute steht man fast ratio» vor der Verpflichtung, gerecht zu sein: Niemand wird leugnen, daß Männer, wie Graf Staufenberg, Ewald von Kleist oder Henning von Treschkow, gebührende Achtung verdienen — was soll aber mit deren Brüdern oder Söhnen geschehen, die als Helden, vielleicht für Tapferkeit hoch ausgezeichnet, im Kampf gegen den äußeren Feind ihr Leben ließen? Wer vereint nun den als Hochverräter Hingerichteten mit dem als Held Gefallenen in gemeinsamer Ehrung?

Ein anderer Zwiespalt: Kollektivschuld wurde bisher immer für den Besiegten ausgesprochen. Wer könnte das Erbe des Hitler-Reiches unter dessen Bevölkerung nach Schuld und Schuldlosigkeit aufteilen?

Anders ist es natürlich mit der auf das Organisationsdelikt bezogenen Kollektivschuld, die mit Recht umstritten ist und daher in der Praxis ganz von selbst nur in der Ahndung von Einzeltaten ihre Sühne gefunden hat.

„Der lautlose Aufstand“ ist ein wertvolles Buch, nicht allein für die Erforschung der geschichtlichen Wahrheit, nicht bloß für das Streben nach Gewährung von Achtung und Recht für Menschen, die sich reinsten und edelsten Zielen auf beiden Fronten in korrektem Verhalten verschrieben hatten, es ist durch die Aufbereitung aller aus dem Chaos geborenen Probleme ein Wegweiser zu einer Generalreform, die eine Wiederholung des Geschehens von 1933 bis 1945 verhüten soll.

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