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Feigenblatt oder Meilenstein?

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Der UN-Sicherheitsrat hat am 6. Oktober 1992 einstimmig eine Resolution verabschiedet, in welcher Generalsekretär Boutros Ghali dringendst aufgefordert wird, eine unparteiische Expertenkommission zur Prüfung der Berichte über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und insbesondere in Bosnien und der Herzegowina einzusetzen.

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Der UN-Sicherheitsrat hat am 6. Oktober 1992 einstimmig eine Resolution verabschiedet, in welcher Generalsekretär Boutros Ghali dringendst aufgefordert wird, eine unparteiische Expertenkommission zur Prüfung der Berichte über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und insbesondere in Bosnien und der Herzegowina einzusetzen.

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Die Kommission wird sich dabei auf Informationen von Seiten der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft und humanitärer Organisationen ebenso stützen können wie auf Ermittlungsergebnisse, wie sie etwa die Mission des Sonderbeauftragten der UN-Menschenrechtskommission, des früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazo-wiecki, im Kriegsgebiet erbracht hat. Geprüft werden sollen vor allem Verstöße gegen die Genfer Konventionen, einschließlich der vor allem der serbischen Seite zur Last gelegten ethnischen Säuberungen und Massenhinrichtungen in Konzentrationslagern.

Die tatsächliche Bedeutung der Bildung . einer solchen Untersuchungskommission muß freilich derzeit offen bleiben. Einerseits ist sie ein weiterer Schritt auf der vom Sicherheitsrat schon mit einer Resolution vom 13. Juli eingeschlagenen Linie, die persönliche Verantwortlichkeit jener herauszustellen, die Kriegsverbrechen begangen, zu solchen angestiftet oder doch zugelassen haben. Daß dies vor allem einen abschreckenden Effekt (hauptsächlich auf die serbische politische und militärische Führung) haben soll, hat der UN-Delegierte der USA neuerlich unterstrichen.

Andererseits haben zwar mehrere Delegierte im Sicherheitsrat gefordert, Schuldige auch tatsächlich vor Gericht zu stellen, doch hat sich der Sicherheitsrat selbst zum weiteren Vorgehen noch nicht geäußert und der UN-Generalsekretär alle Überlegungen in Richtung eines internationalen Kriegsverbrecherprozesses als verfrühte Spekulationen bezeichnet. Welche Möglichkeiten gibt es nun, eines internationalen Verbrechens schuldige

Personen zur Rechenschaft zu ziehen?

Das Völkerrecht unterscheidet zwischen (einfachen) völkerrechtlichen Delikten und internationalen Verbrechen. Verantwortlich für die ersteren ist allein der Staat als solcher; allfällige Sanktionen richten sich daher gegen die Gesamtheit der Staatsangehörigen, der staatlichen Einrichtungen und Güter. Bei den letzteren tritt die persönliche Verantwortlichkeit jener hinzu, denen das verbrecherische Handeln zurechenbar ist.

Historisch haben sich die Individualsanktio-nen zuerst für Kriegsverbrecher durchgesetzt, während darüber hinausgehende Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen den Frieden erst allmählich zu allgemeiner Anerkennung gelangten, wobei in diesem Zusammenhang vor allem die Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg und Tokio bahnbrechend gewesen sind. Abgesehen aber von der Billigung, die das Nürnberger Tribunal sowohl hinsichtlich seiner Rechtsgrundlage als auch seiner Urteile seitens der UN-Generalversammlung 1946 erfahren hat, ist das internationale Verbrechen in der Folge völkerrechtlich weder in seinen Voraussetzungen noch in seinen Konsequenzen umfassend verankert worden. Nur die Kriegsverbrechen im erwähnten Sinn machen hier eine gewisse Ausnahme, weil die Genfer Konventionen von 1949 auch strafrechtliche Bestimmungen enthalten, die als Kriegsverbrechen zu qualifizierende Tatbestände (darunter etwa auch Massenvertreibungen der Zivilbevölkerung) aufstellen und jedem Vertragsstaat das Recht geben, solche Verbrechen unabhängig davon zu bestrafen, wo sie begangen wurden.

Entscheidend ist der politische Wille

Weitere derartige Tatbestände sind in einem 1977 abgeschlossenen Zusatzprotokoll zu den Konventionen von 1949 enthalten. Was die Verbrechen gegen die Menschlichkeit anlangt, so fallen jedenfalls der Völkermord (Konvention von 1948) und wohl auch die Apartheid (Konvention von 1973) darunter. Als Verbrechen gegen den Frieden wurde von der UN-Generalversammlung auch der Aggressionskrieg qualifiziert (Prinzipiendeklara-

tion 1970; Aggressions-Resolution 1974).

Weitergehende Anläufe für einen Internationalen Kodex betreffend Verstöße gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit oder eine Zusammenstellung der als internationale Verbrechen zu qualifizierenden Tatbestände, wie sie in den Satzungsentwürfen für eine Kommission zur Untersuchung internationaler Verbrechen beziehungsweise für einen Internationalen Strafgerichtshof enthalten ist, sind bisher ergebnislos geblieben.

Mangels einer internationalen Instanz zur Verfolgung und Bestrafung internationaler Verbrechen ist diese den Staaten und in der Praxis oft dem Heimatstaat des Schuldigen überlassen. Es ist klar, daß im letzteren Fall oft politische Gründe einer wirksamen Verfolgung im Wege stehen. Darüber hinaus legen viele Staaten den in ihrer eigenen Rechtsordnung enthaltenen strafrechtlichen Grundsatz nulla poena sine lege eng aus und betrachten eine bloß im Völkerrecht bestehende, nicht auch im eigenen Strafrecht ausdrücklich enthaltene Norm nicht als ausreichende Grundlage für eine Strafverfolgung.

Aus allen diesen Gründen wäre die rasche Schaffung einer Ständigen internationalen Untersuchungskommission und eines Gerichtshofs für internationale Verbrechen wünschenswert. Dies zu tun, läge heute vor allem an der UNO, doch könnten auch entsprechende regionale Institutionen (zum Beispiel für Europa) durch Vertrag der interessierten Staaten gebildet werden (etwa im Rahmen der KSZE). Entscheidend hiefür ist immer nur der politische Wille. Auf diesen wird es auch im Anlaßfall ankommen. Sollte die neue UNO-Kommission nur der erste Schritt zu einer institutionellen Bekämpfung internationaler Verbrechen sein, so würde sie einen Meilenstein der internationalen Rechtsentwicklung darstellen. Andernfalls wäre sie nur ein Feigenblatt zur Bemäntelung des von der internationalen Gemeinschaft bisher in Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien gezeigten Mangels an Solidarität mit den Opfern.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Völkerrecht und internationale Beziehungen der Universität Linz.

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