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Die gleichen Argumente wie im Ostblock

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Gleichzeitig mit US-Präsident Jimmy Carters Offensive zur Verteidigung der Menschenrechte beobachtet man eine steigende Aktivität europäischer Parlamentarier und kirchlicher Stellen für die „Befreiung politischer Gefangener“ in lateinamerikanischen Staaten. Dabei wird zuweilen den Botschaften vorgeworfen, sich nicht genügend einzusetzen. In der ganzen Frage besteht eine alarmierende Unklarheit über die Voraussetzungen und die Chancen der Einschaltung ausländischer Diplomaten.

Das „Juristen-Komitee“, das in Rio de Janeiro die Linie der Menschenrechts-Kommission der „Organisation Amerikanischer Staaten“ (OAS) festlegt, will die Folterungen als „internationale Verbrechen“ kennzeichnen. Keine amerikanische Regierung bestreitet, daß Folterungen und Entführungen als Verletzungen der Menschenrechte anzusehen und zu verfolgen sind. Aber die „Konvention“ in dieser Frage dürfte wenig effizient sein, denn es fehlen eine interamerikanische übernationale Kriminalpolizei, ein Staatsanwalt, der die Einzelfälle verfolgt und ein internationaler Gerichtshof, der Strafen verhängen und vollstrecken kann.

Gewiß sind in Brasilien verschiedene Strafverfahren gegen Mitglieder der Militärpolizei und der Kriminalpo-

ližei wegen der Folterung, Entführung oder Ermordung von politischen Gegnern eröffnet worden. Es sind auch Strafurteile ergangen, aber ihre Vollstreckung ist bisher in fast allen Fällen vereitelt worden. , 9jw nsbsiiit

Gęgen den früheren Chef der chilenischen Geheimpolizei DINA, General Manuel Contreras, soll ein Strafverfahren vor der chilenischen Militarjustiz wegen der Entführung von 69 „Verschwundenen“ eingeleitet werden. Aber zwischen dem Ermittlungsverfahren und der Vollstreckung eines Urteils liegt ein weiter Weg. Außerdem ist der Verdacht nicht unbegründet, daß Contreras in ein Strafverfahren in Chile verwickelt werden soll, um mit dieser Begründung seiner von USA beantragten Auslieferung wegen des Falles Letelier, des in Washington ermordeten früheren chilenischen Außenministers unter Präsident Allende, auszuweichen.

Meist werden Folterungen einfach bestritten. Im übrigen ist es eine im Ausland schwer verständliche Tatsache, daß Folterungen und Entführungen in lateinamerikanischen Ländern, etwa in Brasilien und Argentinien, von radikalen und brutalen Kräften der Bundes- oder Militärpolizei auch gegen den Willen der Regierungen vorgenommen werden. Und oft entgehen die uniformierten Verbrecher durch die Gruppensolidarität ihrer Vorgesetzten einer wirksamen Strafverfolgung. In diesen Fällen bestreiten die Regierungen kaum das Interventionsrecht der diplomatischen Vertretungen, sondern bemühen sich aufrichtig, wenn auch oft vergeblich, um eine sachgemäße Aufklärung.

Besonders ist die Situation bei Personen, die aus politischen Gründen in Haft sind. Hier ist die Nationalität aus- schlaggebehd. Wenn es sich eindeutig um ausländische Staatsangehörige handelt, bestreitet keine Regierung, daß die Konsulate den Verhafteten besuchen, ihm einen Verteidiger stellen und Eingaben zu seinen Gunsten machen dürfen. Soweit es um Abkömmlinge von Ausländern geht, die in Südamerika geboren sind, ist das Interventionsrecht fraglich; sie gelten als Staatsbürger ihres Geburtslandes. Für politisch Verfolgte, die auch keine nachweisbaren ausländischen Eltern oder Großeltern haben, besteht keine legale Interventionsbefugnis für ausländische Stellen.

Das schließt nicht aus, daß Kollektivschritte ausländischer Berufsverbände und dergleichen zugunsten eines inhaftierten Kollegen Beachtung finden. Weniger bewirkt die Intervention von „Amnesty International“, denn bei fast allen lateinamerikanischen Regierungen ist diese Organisation in Mißkredit geraten.

Die Zahl der „politischen Gefangenen“ ist völlig unklar. Als ih der englischen Presse berichtet wurde, es gäbe in Argentinien 40.000, antwortete Präsident Jorge Videla, daß die Gefängnisse „nur“ 5000 Personen faßten und die Hälfte davon schon von der früheren Regierung eingekerkert worden sei. Der argentinische Innenminister General Albano Harguindeguy be- hayptete Ende Juli, es gäbe keine „politischen Gefangenen“, sondern nur Kriminelle in Argentinien.

In der Frage der Menschenrechte verteidigen sich die fanatisch antikommunistischen Militärregierungen und die totalitären Ostblockstaaten mit dem gleichen Argument: Niemand werde wegen seiner Gesinnung, sondern nur wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ eingesperrt und verurteilt. In der Auslegung dieses Begriffes sind die Gesetzgebung und vor allem die Rechtssprechung sehr vage. Nicht nur jede oppositionelle Gruppenbildung, sondern schon jede Äußerung kann darunter fallen. Außerdem verfahren die Militärgerichte häufig rückwirkend, sodaß Leuten, die vor Jahren den damals legalen kommunistischen Parteien, Gewerkschaften oder linken Studentenverbänden angehörten, jetzt „marxistische Verschwörung“ zur Last gelegt wird.

Zweifellos weitet sich die globale Bekämpfung politischer Willkür aus. In diese Kerbe schlägt auch die Auseinandersetzung der argentinischen Regierung mit der „Menschenrechtskommission der OAS“. Diese verlangt bis zum 29. Oktober Antwort darauf, ob sie an Ort und Stelle eine Untersuchung über die Verletzung der Menschenrechte, besonders über die verschwundenen Personen, durchführen darf.

In Buenos Aires ist man zur Diskussion mit der Kommission bereit, will ihr aber das Recht verweigern, nach Belieben Gefängnisse zu besuchen und mit Häftlingen und deren Angehörigen zu sprechen. Sie sieht darin eine unzulässige Einmischung in ihre souveränen Rechte. Man spricht davon, daß sie sich von der OAS in ähnlicher Weise distanzieren könnte, wie es de Gaulle von der NATO tat.

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