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Sicherheitskräfte, die Unsicherheit schaffen...

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Verzweiflung, Angst und Nervosität nach der Entführung Aldo Moros und der Ermordung seiner fünf Leibwächter ließen in Teilen der italienischen Bevölkerung den Ruf nach „Selbstjustiz-Kommandos“ laut werden. Nicht allzu laut, aber doch nicht überhörbar. „Todesschwadronen“ heißen diese Mordkommandos in Brasilien. Auf das Konto dieser Verschwörerbande, die überwiegend aus Kriminalbeamten besteht, gehen Dutzende von grausamen Morden.

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Verzweiflung, Angst und Nervosität nach der Entführung Aldo Moros und der Ermordung seiner fünf Leibwächter ließen in Teilen der italienischen Bevölkerung den Ruf nach „Selbstjustiz-Kommandos“ laut werden. Nicht allzu laut, aber doch nicht überhörbar. „Todesschwadronen“ heißen diese Mordkommandos in Brasilien. Auf das Konto dieser Verschwörerbande, die überwiegend aus Kriminalbeamten besteht, gehen Dutzende von grausamen Morden.

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Anfang März wurden in den Vororten von Rio de Janeiro sechs Erschossene aufgefunden. Damit beträgt die Zahl der von der „Todesschwadron“ Ermordeten in diesem Jahr nach Angaben der lokalen Presse bereits 74. Einige Tage vorher erklärte General Brum Negreiros, ranghöchster Sicherheitsbeamter von Rio, vor Journalisten: „In den letzten Wochen fanden wir 56 Personen, die erschossen oder zu Tode gefoltert worden waren.“ Für ihn existiere die „Todesschwadron“ aber nur „in der Einbildung einiger Kinder“. Auf die Denunziation des Admirals a. D. Julio de Sä Bierrenbach, Mitglied des Obersten Militärgerichts, versprach Negreiros, die Todesfälle und Folterungen politischer Häftlinge im Gefängnis von Rio de Janeiro untersuchen zu lassen.

Fast gleichzeitig wurde der Führer der „Todesschwadron“, der berüchtigte Polizeikommissar Sergio Fleury, wieder einmal von einer Mordanklage freigesprochen. Nun haben die Torturen und Morde in den brasilianischen Militärgefängnissen nichts mit der „Todesschwadron“ zu tun. Diese besteht aus Beamten der Kriminalpolizei, die auf eigene Initiative grausame Justiz üben.

Auf einem anderen Blatt stehen die Verfolgungsmethoden der Militärpolizei. Sie soll „subversive Elemente“ zu Geständnissen zwingen. Obwohl Präsident General Ernesto Geisel nach der Ermordung des Journalisten Wladimir Herzog und eines Arbeiters im Militärgefängnis der 2. Armee in Sao Paulo ein Exempel statuierte, indem er den Kommandanten pensionierte, die Offiziere in entlegene Garnisonen versetzte und die unmittelbaren Täter verhaften ließ, reicht seine Autorität offensichtlich nicht aus, um die Fortsetzung dieser Methoden in den Militärgefängnissen zu unterbinden.

In dieser Beziehung besteht eine interessante Parallele zur Tätigkeit der argentinischen „AAA“. Hier sind es Mitglieder der Bundespolizei, die unter Mißbrauch ihrer Polizeigewalt Personen entführen und ermorden, die sie selbst zu „gefährlichen Links-Elementen“ gestempelt haben. Präsident Generalleutnant Jorge R. Videla und sein Innenminister General Albano Hargu-indeguy erklärten wiederholt, daß sie Links- und Rechtsextremisten für gleich gefährlich halten, wie immer sie sich auch nennen mögen. Ob die Zahl der Entführten in Argentinien wirklich 20.000 Personen beträgt, wie behauptet wird, läßt sich nicht feststellen. Jedenfalls veröffentlichte die Regierung auf Grund einer Intervention der USA die Namen von etwa 3000 politischen Gefangenen, die in Strafanstalten einsitzen. Damit gibt das Regime jedoch den Frauen und Kindern jener Verschwundenen, die nicht in den Listen enthalten sind, keine Klarheit über deren Verbleib. Die Verantwortung für ihr Schicksal wird lediglich auf Kräfte abgeschoben, die die Regierung offensichtlich nicht beherrschen kann.

Zwar entspricht es dem Staats- und Völkerrecht, daß die Regierung eines Landes für Ubergriffe seiner Vollzugsorgane moralisch, juristisch und politisch haftet, aber in einigen südameri- < kanischen Ländern verletzen Gruppen innerhalb der Sicherheitskräfte die Disziplin und werden so zum hervorragendsten Element der Unsicherheit. Das ist nur möglich, weil die „Kameraden“ oder „Kollegen“ sie aus Solidarität in falschem „Korps-Geist“ decken.

Die führenden Männer der lateinamerikanischen Regimes bestreiten die Mißbräuche nicht, setzen sie in ihrer Bedeutung zudem noch übermäßig herab. In dieser Hinsicht ist für Brasilien wie für Argentinien die Antwort bezeichnend, die General Joao Bapti-sta de Figueiredo - heute Chef des Geheimdienstes, im nächsten Jahr voraussichtlich neuer Präsident Brasiliens - auf die Frage eines Reporters

gab, ob es nicht auch Fälle gäbe, in denen die Verteidiger der Gesetze die individuellen Freiheiten nicht respektieren würden: „Solche Fälle gibt es in Brasilien wie in allen Ländern der Welt... Auch in Staaten, die man heute als Mutterländer der Menschenrechte ansieht, kommt es täglich vor, daß die staatliche Autorität ihre Grenzen überschreitet. Jede Polizei tut das. Es wird versucht, diese Übergriffe zu vermeiden.“

Er vergaß hinzuzufügen, daß - im Gegensatz zu den rechtsstaatlichen Regimen - in Argentinien und Brasilien kein Fall in die Öffentlichkeit gedrungen ist, in dem Mörder, Entführer oder Folterknechte auf Seiten undisziplinierter Staatsorgane, die sich politische Opfer für ihre „Selbstjustiz“-Maßnahmen ausgesucht hatten, bestraft worden sind

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