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Lateinamerikanische Mafia

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Der in Washington veröffentlichte „Welt-Opium-Bericht 1972“ hat als Erzeugerländer den Fernen und den Nahen Osten, als Transitländer die südostasiatischen Häfen, Spanien und Kanada in den Vordergrund gestellt. Die Aufdeckung zahlreicher Rauschgiftskandale in mehreren lateinamerikanischen Ländern deutet aber darauf hin, daß Lateinamerika das frühere Rauschgiftizen-trum Marseille weitgehend ersetzt hat.

Die Vereinigten Staaten suchen mit den lateinamerikanischen Ländern neue Verträge abzuschließen, in denen die drei „Modeverbrechen“ Terrorismus, Flugzeugentführung und Rauschgifthandel als Ausliefe-runigsgründe anerkannt werden.

Dieses Problem ist besonders im „Fall Ricord“ akut geworden. Erst, als die nordamerikanische Regierung drohte, die Wirtschaftshilfe für Paraguay einzustellen, entsprach der paraguayische Appellationsgerichtshof dem Auslieferungsantrag gegen den 61jährigen Auguste Joseph Ricord. Er war 1950 in Frankreich als Kollaborateur der Gestapo zum Tode verurteilt worden, dann aber nach Paraguay geflohen. Dort legte er sich sieben Restaurants zu, war aber im „Hauptberuf“ König des Rauschgifthandels, der fünf Jahre lang, nach den Angaben der US-Behörden, 2,5 Milliarden Dollar jährlich umsetzte. Mit Ricord sollen Jaques David (alias „Le beau Serge“) und Michel Nicoli zusammengearbeitet haben. Sie wurden bei der Aufdeckung einer brasilianischen „Cosa Nostra“ verhaftet Man fand David mit einem gefälschten uruguayischen Diplomatenpaß in einem kleinen Hotel des brasilianischen Ortes Feira de Santana. Er wurde ..von den Polizeibehörden Frankreichs, der USA und Marokkos gesucht. Er soll einen der führenden Funktionäre des Pariser Rauschgiftdezernats, den Kommissar Maurice Galibert, im Jahre 1966 getötet haben und an der Ermordung des marokkanischen Politikers Ben Barka beteiligt gewesen sein. Die Polizei behauptet auch, daß er zu den uruguayischen „Tupamaros“ und zu den argentinischen Guerilleros Verbindung gehabt habe.

Als Führer der brasilianischen Mafia wurde der Italiener Tom-masco Buscetta verhaftet, der jedoch nach unbestätigten Meldungen in die südbolivianische Grenzstadt Santa Cruz fliehen konnte. Er betrieb in Säo Paulo ein Unternehmen, für das 250 Taxis liefen. Anfang 1972 soll er mit einem Dutzend anderer Gangster in einem der elegantesten Hotels von Rio „getagt“ haben, um zu beraten, wie Brasilien zum Umschlagplatz für den Räuschgiftschmuggel aus Südostasien nach den USA gemacht werden könnte. Die Polizeibehörden glauben, daß sich die „Union Corse“ (die korsische Mafia) in Brasilien mit der italie-nisch-nordamerikanischen Cosa

Nostra verbündet hat. Eine der Hauptfiguren dieser Gruppe, Lucien Sarti, ist kürzlich bei einer Schießerei mit mexikanischen Polizeibeamten getötet worden. Er lebte in Rio mit dem früheren Mannequin Helena Ferreira, die jetzt verhaftet wurde. Sie sagte aus, daß einer der führenden brasilianischen Kriminalbeamten, Nelson Duarte, der sie beide verhaftet hatte, sie beide nach einigen Tagen gegen Zahlung von 40.000 Dollar freigelassen habe. Duarte bestreitet nicht die Freilassung, wohl aber die Bestechung.

„Le beau Serge“ soll jedem der vier Polizisten, die ihn verhaftet hatten, 100.000 Dollar geboten haben, wenn sie ihn zum Flughafen O Galeäo statt ins Gefängnis brächten. Es half ihm — ausnahmsweise — nichts. Die Mitglieder der Bande besaßen zum Teil uruguayische Papiere; sie hatten sich falsche uruguayische Geburtsscheine besorgt und kamen so alsbald in den Besitz echter uruguayischer Polizeiausweise. Freilich mußten sie zu diesem

Zweck selbst nach Uruguay kommen. Der inzwischen abgesetzte brasilianische Konsul in der uruguayischen Grenzstadt Chuy, Antonio Sä Neto, arbeitete ohnedies mit der Mafia zusammen.

Inzwischen hat die brasilianische Bundespolizei die 17 verhafteten Mitglieder der Mafia nach Brasilia gebracht, wo sie in einer Kaserne unter militärischer Bewachung stehen. Dabei scheint man weniger ihre Befreiung als ihre Beseitigung zu befürchten, weil wesentliche Elemente der Rauschgiftbande, die noch in Freiheit sind, sich begreiflicherweise gefährdet fühlen.

Aber der Rauschgifthandel umfaßt ganz Amerika. Argentinische Kriminalbeamte hatten in Erfahrung gebracht, daß 60 Kilo reines Heroin im Werte von 45 Millionen Dollar an Bord des nordamerikanischen Frachters „Mormacaltair“ nach den USA unterwegs seien. Die Beamten flogen nach Rio und fanden mit ihren brasilianischen Kollegen das Herein in einem Laderaum des Schiffes. Desgleichen flogen Mitglieder der nordamerikanischen Behörde zur Bekämpfung des Rauschgifthandels nach Santiago de Chile. Dort wurde das „größte und besteingerichtete Kokainlaboratorium“ des Kontinents in dem Badeort Algarrobo aufgedeckt. Eine ähnlich große Produktionsstätte wurde in dem chilenischen Badeort Mirasol ausgehoben.

Außer Chile sind Bolivien und Peru Zentren der Kokainproduktion. In den letzten Monaten wurden Dutzende von Kokainhändlern auch in den Hauptstädten Perus, Kolumbiens und Venezuelas verhaftet. Während die interamerikanische Zusammenarbeit sonst auf fast allen Gebieten schleppend und unzulänglich ist, zeigt sie im Kampf gegen die Subversion und den Rauschgifthandel sichtbare Erfolge.

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