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Giftige Flut

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Hohe westeuropäische Polizeibeamte beobachten mit wachsender Besorgnis die immer größere Verbreitung geschmuggelten Kokains. Eine Hauptursache der Überflutung Europas mit Kokain ist, daß “einige lateinamerikanische Regierungen den Rauschgiftfabrikations- und Schmtiiggelorganisationen Vorschub leisten. Zu dieser Uberzeugung kam man auf der Interpol-Konferenz, die in April in Caracas stattfand.

Eine Ursache der Steigerung des Kokainschmuggels nach Europa besteht darin, daß der Schmuggel nach den Vereinigten Staaten schwieriger geworden ist. Die südamerikanischen und mexikanischen Veredelungslaboratorien und die führenden Unternehmer, die hinter den südamerikanischen und europäischen Schmuggelketten stehen, haben die Produktion erhöht und die Schleichwege verbessert, in der Annahme, daß die Nachfrage in den USA wachsen werde. Diese Spekulation ist jedoch fehlgegangen, weil die amerikanischen Kontrollorgane die Hoffnungen auf steigenden Absatz teü-weise durchkreuzt haben. Jedenfalls ist der Rauschgiftschmuggel nach den USA merklich zurückgefallen. Die Schmuggler hielten daraufhin nach neuen Märkten Ausschau. Sie fanden sie in Europa und in einigen lateinamerikanischen Ländern.

Das Kokain verursacht keine physiologischen Veränderungen, die dazu führen würden, daß der menschliche

Körper widerstandslos nach neuen Dosen verlangt. Psychologisch führt es jedoch, besonders bei der Jugend und bei seelisch unausgeglichenen Personen, zum Verlust aller moralischen Hemmungen. Unter der Reizwirkung des Kokains fühlt sich der Rauschgiftsüchtige stark und potent. Wenn der Süchtige dann längere Zeit hindurch Kokain zu sich nimmt, werden die Schleimhäute der Nase und des Mundes, aber auch der Magen zugrunde gerichtet. Es kann ein organischer Zusammenbruch, Kräfteverfall, ja sogar der Tod eintreten.

In Lateinamerika lag Kokain immer schon in großen Mengen aufgestapelt. Es wurde in Bolivien und in Peru produziert und im Rohzustand peruanischen oder chilenischen Laboratorien zur Weiterverarbeitung übergeben. Europäische, lateinamerikanische und nordamerikanische Kontrollorgane haben bei beschlagnahmten Kokainsendungen festgestellt, daß sie meistens aus modern ausgerüsteten Laboratorien in Chile stammten.

In höheren chilenischen Regierungskreisen wird offenbar eine janusköpflge Politik im Hinblick auf Rauschgiftverarbeitung und -Schmuggel betrieben. Während einige Schmuggler auf Anweisung der chilenischen Regierung vor Gericht gestellt wurden, gibt es merkwürdige Ausnahmefälle, in denen die Rauschgiftschmuggler seitens der chilenischen Regierung durchaus nicht gestört werden. Diese Schmuggler scheinen die politischen Sympathien der Allende-Regierung zu genießen.

Zweifellos gibt es eine chilenische Protektionspolitik in bezug auf einzelne Drogenlaboratorien, die unter dem Verdacht stehen, daß sie das aus Peru, Bolivien und eventuell über brasilianische, uruguayische, paraguayische und argentinische Kanäle in Chile eintreffende Kokain weiterverarbeiten. Einzelne chilenische Regierungsbeamte unterstützen den Kokainstrom nach Westeuropa. Die Rauschgiftspezialisten haben in Caracas festgestellt, daß oft hochrangige Offiziere, Zoll- und Einwanderungsbeamte, ja sogar aktive Diplomaten die Rolle des Frachters übernommen haben, ebenso Parlamentsabgeordnete, Richter höchster Gerichtshöfe und lateinamerikanische Senatoren. Zahlreiche panamesische Diplomaten betätigen sich munter am Rauschgiftschmuggel. Bei der Interpol wird Panama als Umschlagplatz des lateinamerikanischen Rauschgiftschmuggels nach Europa angesehen.

Die Rauschgiftschmuggler können nur schwer identifiziert werden. Oft sind ihre Papiere von den zuständigen südamerikanischen Behörden ganz regelrecht ausgestellt.

Auch die Korruption gewisser lateinamerikanischer Gerichte erleichtert den Schmugglern das Handwerk. Einzelne Gerichtsangestellte stehen im Dienst internationaler Rauschgiftkartelle. Es ist außerordentlich schwierig, eine legale Basis gegen verhaftete „vornehme“ Schmuggler zu finden. Ein schreiendes Beispiel dafür ist der großangelegte internationale Heroin- und Kokainschmuggel des Augusto Ricart, der voriges Jahr in Paraguay verhaftet wurde. Vor seiner Auslieferung wurde Staatspräsident Anfredo Stroessner derart unter internationalen Druck gesetzt, daß das Oberste Gericht Paraguays einige Stunden vor der Auslieferung den Beschluß faßte, den „Schmugglerkönig“ wegen drohender diplomatischer Verwicklungen nicht auszuliefern.

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