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Regierung geht mit Vorsprung in die Zielgerade

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Die politische Szene Spaniens war während der vergangenen Wochen von wesentlichen Entwicklungen sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene gekennzeichnet. Das zeitliche Zusammentreffen dieser Entwicklungen ist für das Land von eminenter Bedeutung.

Im Inneren hat sich, wie jedermann weiß, die von den jüngsten Terroranschlägen verursachte Spannung auf sehr glückliche Weise gelöst. Ohne einen Schuß abgeben zu müssen, gelang es der Madrider Polizei, in einer brillanten Aktion den Vorsitzenden des Staatsrats, Dr. Jose M. Oriol, und General Emflio Vülaescusa zu befreien, die Entführer festzunehmen und auf diese Weise die GRAPO lahmzulegen, eine marxistisch-leninistische Organisation, die sich mit Hüfe von Raubüberfällen selbst finanzierte und deren Zugehörigkeit zum internationalen roten Terrorismus bei dieser Gelegenheit nachgewiesen werden konnte. Die Polizeiaktion gegen Links, deren Verlauf übrigens an die altbekannten Schemata von Kriminalfilmen eriii- nerte, wurde unmittelbar darauf ergänzt durch die Entdeckung und Verhaftung einer rechtsextremen Terrorbande, die sich hauptsächlich aus italienischen, von der Interpol gesuchten Neofaschisten zusammensetzte, der aber auch Mariano Sänchez Covisa, der Führer der „Christkönigs-Guerril- leros”, angehörte. Die Bande hatte, wie sich herausstellte, mitten in Madrid eine geheime Fabrik für Waffen und Sprengstoffe betrieben, da sie sich dieses Kriegsmaterial, im Gegensatz zu den Linksextremen, nicht aus dem Ausland beschaffen konnte und es daher in Eigenregie herstellen mußte. Noch weiß niemand, ob die Ermordung kommunistischer Rechtsanwälte im Jänner auf das Konto der soeben aus gehobenen rechtsextremen Gruppe geht, da die Untersuchungen noch im Gange sind, doch dürften weitere Enthüllungen über Zusammenhänge zwischen dem internationalen Terrorismus und spanischen Extremistengruppen nicht lange auf sich warten lassen.

Unterdessen nähern sich die innenpolitischen Reformen mit einem gewissen Beschleunigungsfaktor ihrem Endstadium. Das wesentlichste bis jetzt erreichte Nahziel ist zweifellos der Regierungsbeschluß über die Zulassung politischer Parteien, soweit diese nicht totalitäre Tendenzen vertreten oder von internationalen Zentralen gelenkt werden. Voraussetzung für die Zulassung ist nunmehr lediglich eine Meldung an das Innenministerium. Die unmittelbare Folge dieser Liberalisierung war das Auftauchen zahlreicher Gruppen, die sich bisher geweigert hatten, um ihre Legalisierung als Partei anzusuchen, unter ihnen die Liberalen, die Sozialdemokraten, die „Historischen Sozialisten”, die Reformsozialisten und eine unübersehbare Zahl von Splitterorganisationen kommunistischer Tendenz. Wie bekannt, erhielten die kommunistischen Bewerber, mit ihnen aber auch, was in den internationalen Medien kaum erwähnt wurde, die Carlisten und die Falange, den ministeriellen Bescheid, ihr Ansuchen sei dem Obersten Gerichtshof vorgelegt worden, der innerhalb eines Monats ohne weiteren Instanzenzug über die Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Programme zu entscheiden habe. Die Regierung sei nämlich nicht zu der Überzeugung gelangt, daß die Programme der erwähnten Bewerber auch tatsächlich demokratischen Voraussetzungen entsprächen.

Dieser Regierungsbeschluß bedeutete vor allem für den PCE, den Par- tido Comunista Espanol, der bereits seine Kandidatenliste veröffentlicht hatte, keinen geringen Rückschlag und keinen geringen Zeitverlust im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen. Im Gegenzug organisierte der PCE, dessen eurokommunistisches Bekenntnis zur Demokratie in Spanien niemand ernst nimmt, das von den internationalen Medien prompt zu einem Propagandaschlager hochgespielte Treffen Carillos mit Marchais und Berlinguer in Madrid.

Wahlbündnisse mehrerer Parteien ergaben sich übrigens bereits vor der Proklamierung des Wahlgesetzes, dessen Formulierung die Regierung Suä- rez mit den Vorsitzenden der größerer} Parteien abzustimmen gesucht hat, handelt es sich bei diesem Gesetz doch sozusagen um den Grundstein der gesamten Reform.

In letzter Zeit sah sich die Regierung zwecks Überwindung der Energiekrise und der wirtschaftlichen Depression allerdings auch zur Aufstellung eines höchst unpopulären, aber um so notwendigeren Sparprogramms gezwungen. Dem Mißvergnügen auf wirtschaftlichem Gebiet stehen jedoch beachtliche außenpolitische Fortschritte gegenüber. Der Besuch des Königspaares bei Papst Paul VI., vom Vatikan unter Aufbietung feierlichen Zeremoniells mit stärksten Akzenten versehen, brachte die Lösung aller noch bestehenden Spannungen zwischen Kirche und Staat sowohl, wie die gegenseitige Anerkennung der geistlichen Gewalt einerseits und der weltlichen anderseits, auf der Basis voller Unabhängigkeit. Der baldige

Abschluß eines Konkordats, das dem neuen Stand der Dinge Rechnung trägt, dürfte in absehbarer Zeit bevorstehen.

Nicht ohne Bedeutung ist auf außenpolitischem Gebiet die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Sowjetrußland und anderen Ländern des Ostblocks, wobei lediglich Versuche, auch mit Albanien und der DDR zu einer Regelung zu gelangen, ohne Erfolg blieben. Während die Herstellung normaler Beziehungen zu Albanien eher unwahrscheinlich bleiben dürfte, brach die Regierung Suärez mit einem nationalen Tabu und empfing kürzlich eine ostdeutsche Delegation in Madrid, was wohl demnächst zum Austausch von Diplomaten führen dürfte. Die Reaktion der spanischen Öffentlichkeit war, abgesehen von der extremen Rechten, durchaus positiv.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die spanische Reform nunmehr in ihre Zielgerade eingeschwenkt ist.

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