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Weder Isolierung noch Integration

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Der chilenische Luftwaffengeneral Gustavo Leigh, Mitglied des „Regierungsausschusses“, erklärte kürzlich: „Die augenblickliche nordamerikanische Außenpolitik könnte den Traum Bolivars, die lateinamerikanische Einheit, Wirklichkeit werden lassen.“

Man muß sich fragen, ob es sich bei dieser Äußerung um ein ironisches Bonmot, einen Warnschuß oder eine Propezeihung handelt. Auf den ersten Bück könnte man die intensive diplomatische Tätigkeit, die Argentinien zur inneramerikanischen Annäherung entfaltet, als Ouvertüre für eine allamerikanische Blockbildung anse- hen. Die Reisen des Präsidenten Generalleutnants Videla nach Chile, Perú, Bolivien, Paraguay, Uruguay, Venezuelä und Brasilien, sowie die schnellen Gegenbesuche des peruanischen Präsidenten General Francisco Morales Bermüdez, des chilenischen Generals Augusto Pinochet, des paraguayischen Generals Alfredo Stroess- nerund des urugayischen Dr. Aparicio Méndez zeigen das emsige Bemühen der argentinischen Müitärregierung, der drohenden Isolierung Lateinamerikas entgegenzuwirken. Dem gleichen Ziel dienen die Fahrten der Außenminister von Venezuela und Ekuador nach Buenos Aires und die Reisen des argentinischen Außenministers Admiral César A. Guzetti nach Uruguay, Perú, Bolivien, Chile, Ekuador, Kolumbien, Panamá und anderen mittelamerikanischen Staaten. Die Tatsache, daß fast alle diese Regierungen offene oder verschleierte Militärdiktaturen sind, die in den USA wegen systematischer „Verletzung der Menschenrechte“ diskriminiert werden, gäbe auch Raum für die Vermutung, daß Leigh die zutreffende Richung der inneramerikanischen Entwicklung vorausgesagt hat.

Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, daß der für das lateinamerikanische Panorama traditionelle Gegensatz zwischen Argentinien und Brasilien und damit ihr Kampf um die Hegemonie in der Zone überwunden zu sein scheint. Argentinien hat sich in der Auseinandersetzung mit den USA über den deutsch-brasilianischen Atomvertrag ostentativ und gegen alle Erwartung an die Seite Brasiliens gestellt; auch wird die langjährige Streitfrage um die Ausnutzung des Flusses Paraná jetzt Gegenstand von Verhandlungen. So deutet vieles darauf hin, daß sich das lateinamerikanische Gleichgewicht verlagert. Während seit dem Ersten Weltkrieg Brasüien der engste Alliierte der USA war, scheint es jetzt zu einer Annäherung zwischen den beiden größten bisher konkurrierenden Staaten Lateinamerikas zu kommen. Freilich ergibt sich dabei ein überraschendes Hemmnis. Auch Brasilien wollte seine bisher schlechten Beziehungen zu Venezuela verbessern und bereitete den Besuch den brasilianischen Außenministers Aze- redo da Silveira in Caracas vor. Dieser Besuch ist jetzt abgesagt worden. Der führende venezolanische Senator Ramón Vasquez klagte Brasilien an, „imperialistische Ziele“ zu verfolgen und weiter den alten Traum zu nähren, „sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in eine Weltmacht zu verwandeln“.

Vor allem stellte sich der venezolanische Präsident Carlos Andrés Pérez in seiner Jahresbotschaft an den Kongreß in beiden Streitfragen (dem Atomvertrag und den Menschenrechten) an die Seite Carters. Es bleibt abzuwarten, ob Videla seinen für Juni 1977 angekündigten Besuch in Caracas absagt oder die neue Freundschaft mit Brasüien im Keim erstickt.

Der argentinische Präsident bestreitet eine Änderung seiner Haltung gegenüber den USA. Es wäre absurd und paradox, sagt er, zu einer Konfrontation mit «Jen USA um die Prinzipien zu geraten, über die beide Teüe sich völlig einig seien, nämlich über die Wahrung der Menschenrechte. Nun gehört es zum Wesen der Außenpolitik, daß gerade ihre interessantesten Entwicklungen in langsamen und leisen diplomatischen Schritten vor sich gehen. aber man darf Videla glauben, daß er erkennt, wie grotesk es wäre, wenn der „Traum Bolivars“ unter dem Zeichen des Vorwurfes von Folterungen Wahrheit würde.

Die weitere Entwicklung hängt von der Art und der Intensität des D ruckes ab, den die USA entfalten. Auf der einen Seite hat der neue Unterstaatssekretär für Lateinamerika, Clarence Todman, bei seinem „Hearing“ vor dem Senat erklärt, das Problem, das durch die Ablehnung der MUitärhüfe durch sechs lateinamerikanische Staaten (Argentinien, Brasüien, Uruguay, Chüe, Guatemala und El Salvador) entstanden sei, würde sich von selbst lösen. Er versicherte sogar (in offensichtlichem Gegensatz zu Carters bisherigen Erklärungen), daß die USA die 1975 zwischen Kissinger und Aze- vedo da Süveira vereinbarten automatischen büateralen Konsultationen fortsetzen würden. Auf der anderen Seite soü das jetzt im Kongreß behandelte „Amendment Reuss“ den Weg dafür öffnen, daß die Carter-Regierung die Kredite der Weltbank gegen „Verletzer der Menschenrechte“ sper- rejr kann. Bei der Gewährung des neuen Weltbank-Kredites von 105 Millionen Doüar an Argentinien hat der nordamerikanische Delegierte zwar auf diesen Vorwurf hingewiesen, aber nicht gegen seine Gewährung gestimmt. Während sich die diskriminierten Länder mit Waffen leicht anderwärts eindecken können, wäre die Blockierung der internationalen Darlehen für sie eine schwere Gefahr. Weiters hängt die Finanzwirtschaft Brasiliens von den nordamerikanischen Banken ab. Von den 23,3 Müliarden Doüar Auslandsschuld sind 17 Müliarden von Banken geliehen, 60 Prozent davon von nordamerikanischen. Aber der brasilianische Finanzminister Mário Henrique Simonsen vertraut darauf, daß „den Bankier die Zahlungsfähigkeit des Schuldnerlandes interessiert und nicht seine Innenpolitik“.

Obwohl eine fiannzieüe Abschnürung Lateinamerikas durch die USA das Büd verändern würde, ist man vorläufig von einer Isolierung des Halbkontinents so weit entfernt wie von seiner Integration.

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