6839497-1975_35_07.jpg
Digital In Arbeit

Nur ein Spannungskaleidoskop

Werbung
Werbung
Werbung

Vom 25. bis 29. August tagen in der peruanischen Hauptstadt Lima die Außenminister aus über 80 sogenannten „blockfreien Staaten“. Der Versuch, die Länder, die sich weder an Washington noch an Moskau gebunden fühlen, unter einen Hut zu bringen, bietet außerordentliche Schwierigkeiten. Die asiatischen, nahöstlichen, afrikanischen und lateinamerikanischen Länder haben so wenig gemeinsam, daß sie sich in erster Linie auf theoretische Programmerklärungen über die Verteidigung der Rohstoffpreise und der politischen Unabhängigkeit beschränken müssen. Anderseits gibt ihnen aber das Stimmenverhältnis in der UN eine Kraft, die zu ihrer weltpolitischen Bedeutung außer Verhältnis steht. So sehen arabische Kreise in der Konferenz von Lima die Chance, die „blockfreien Länder“ paradoxerweise als „Block“ gegen Israel zu mobilisieren. Die islamischen Staaten haben vorigen Monat in der saudiarabischen Hauptstadt Jedda einen dahingehenden Beschluß gefaßt. Nun ist auch die Haltung der lateinamerikanischen Länder Israel gegenüber durch die Petroleumwaffe der Araber verändert worden. Staaten, wie Brasilien, Uruguay oder Mexiko, die entscheidend zur Bildung des Staates Israel beigetragen und seither „spezielle Beziehungen“ zu ihm unterhalten haben, sind in gewissem Grade zu einer neutraleren Haltung abgerutscht und unterstützen die arabische Forderung nach totaler Räumung der im Krieg 1973 besetzten Gebiete. Aber der mexikanische Präsident Luis Echeverria, der gerade als Vermittler zwischen beiden Fronten des Nahostkonflikts aufgetreten ist, und der Gastgeber, der peruanische Außenminister General Miguel Angel de La Flor, haben mit aller Deutlichkeit erklärt, daß sie diese Frage nicht aufgerollt sehen wollen. Da auch auf der afrikanischen Konferenz in Campala keine Einigung über einen UN-Ausschlußantrag gegen Israel zustande kam und Ägypten nach den Erklärungen Sadats sich gegen eine solche Maßnahme stellt, dürfte die scharfe Richtung unter den Arabern keine ernst zu nehmende Chance auf der Konferenz von Lima haben. Im übrigen dient diese „Außenministerkonfe-renz“ vor allem der Vorbereitung der „Fünften Konferenz der Staatschefs der blockfreien Länder“, die im nächsten Jahr in Colombo (der Hauptstadt von Sri Lanca, früher Ceylon) stattfinden soll. Die Themen der Konferenz, die Nahost, Südafrika, Lateinamerika, Cypern, Indo-china und die Umbildung des Indischen Ozeans in eine Friedenszone einschließen, sind so weit gezogen, daß eine wirksame Verhandlung in fünf Tagen unter über 80 Teilnehmerstaaten ausgeschlossen erscheint. Dagegen kann man an dem Umfang der Solidaritätserklärungen die Tendenz der UN-Mehrheit ablesen.

Eine Wirkung der Konferenz ist, daß sich alle bemühen, Konfrontationen zu vermeiden und bestehende Spannungen zu entschärfen. In diese Richtung deuten Kissingers Erklärungen, daß die USA jetzt die 200-Meilen-Grenze, wenn auch nicht als militärische, so doch als Wirtschaftszone anerkennen, womit sie einen chronischen Konflikt unter anderem mit Peru und Ekuador aus der Welt schaffen.

Eine Einheitsfront der blockfreien Länder ist auch in der Panama-Frage zu erwarten. Um sie zu schwächen, hat Kissinger die Wiederaufnahme der Verhandlungen für September angekündigt. Vor allem hat Peru, dessen ■ linke Militärregierung stark umkämpft ist, als gastgebender Staat ein dringendes Interesse daran, sich als „friedliebende Kraft“ in Lateinamerika zu beweisen. Immer wieder tauchen Gerüchte auf, in denen Peru und Chile als potentielle Gegner eines neuen Lateinamerika-Krieges hingestellt werden. Um sie zu entkräften, hat Peru jetzt Chile und Bolivien den Abschluß eines Nichtangriffspakts vorgeschlagen. Damit wird zugleich ein Problem berührt, über das sich ebenfalls eine Einheitsfront Lateinamerikas zu bilden scheint: Bolivien verlangt, daß Chile ihm den Weg zum Pazifik, den es ihm im Salpeterkrieg 1883 genommen hat, wieder eröffnet. Die Verhandlungen in dieser Richtung sind theoretisch weit gediehen, haben aber praktisch keine klare Lösung ergeben. So erklärte der bolivianische Botschafter in Chile, Guillermo Gutierrez, daß sein Land vor 1980 den Ausgang zum Meer haben werde, mußte aber zugeben, daß man über Einzelheiten noch nicht darüber gesprochen hatte. Vor der Lösung dieses Problems will aber Bolivien über einen Nichtangriffspakt nicht verhandeln. So dürfte die Lima-Konferenz ein interessantes Kaleidoskop der Weltspannungen zeigen, ohne sie zu steigern oder zu lösen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung